Asnath

Josephs Frau, Tochter des Potiphera, des Sonnenpriesters von On. Echnatôn selbst wählt sie für Joseph aus, und er »hätte nicht höher greifen können« (V, 1514), denn die Tochter des obersten Sonnenpriesters ist die »Jungfrau der Jungfrauen«, der »Inbegriff des Mädchens«, dessen Jungfräulichkeit »mit einem besonderen Panzer und Schilde der Heiligkeit« umgeben ist (V, 1515). Deshalb gilt die Heirat mit der »Schildjungfrau« (V, 1518) als etwas »nahezu Unerhörtes und grenzte ans Sakrileg« (V, 1514): Der Bräutigam »beging nach allgemeiner Auffassung ein göttliches Verbrechen – wobei die Hauptbezeichnung durch das Beiwort gemildert, veredelt und gewissermaßen aufgehoben wurde« (V, 1515). Den Eltern der »Sonnentochter«, insbesondere der Mutter obliegt bei den Hochzeitsfeierlichkeiten die Attitüde schwerer Trauer und tiefen Grolls über den »Raub«, und ein Ehevertrag wird aufgesetzt mit der Bestimmung, dass die Tochter »für einen gewissen, gar nicht geringen Teil des Jahres zu den Sonneneltern zurückkehren solle, um wieder als Jungfrau bei ihnen zu leben« (ebd.).

Asnaths Name hat mit der Göttin Neith von Sais im Delta zu tun, er bedeutet »Die der Neith Gehörige«. Als »erklärte Schutzbefohlene dieser Gewappneten« schmückt Asnath Haar und Kleidung mit dem Zeichen der Göttin, einem »Schild mit zwei kreuzweise darauf genagelten Pfeilen« (V, 1516). Trotz dieser Insignien der Wehrhaftigkeit ist die »Schildjungfrau« ein überaus »sanftes und fügsames« Mädchen, »und gerade die Vereinigung heilig-spröder Versiegeltheit mit einer ausgesprochenen Neigung zum Mit-sich-geschehen-Lassen und zum duldenden Hinnehmen ihres weiblichen Loses war das Kennzeichen für Asnaths Charakter« (V, 1516).

Ihr Gesicht ist »einmalig-lieblich«, und lieblich ist auch ihr Körperbau mit einer »schmal und wespenartig eingezogene[n]« Taille und »ausladendem Becken«. Ihr »starrender Busen und Arme von schlankem Ebenmaß mit großen Händen, die sie gern völlig ausgestreckt trug, vollendeten das bernsteinfarbene Bild dieser Jungfräulichkeit« (V, 1517).

Dass sie, wie einige Schriftgelehrte behaupten, gar nicht das Kind Potipheras sei, sondern ein Findelkind, nämlich das von Jaakob verstoßene Kind Dinas und Sichems, hält der Erzähler für eine »Interpolation und fromme Finte« (V, 1519), erfunden und erdichtet, um den heiklen Punkt an Josephs Heirat zum Verschwinden zu bringen, den Umstand, dass es eine »Heirat mit Scheol, eine Ismael-Heirat« ist (V, 1518).

Joseph und Asnath sind einander »vom ersten Augenblick an sehr zugetan und ein Wohlgefallen das eine dem anderen«, so dass auch die Liebe, die »bei einer solchen von anderen beschlossenen Staatsheirat [...] nicht am Anfang der Dinge« stehen kann, sich mit der Zeit findet (V, 1526). Dass Asnath nach Menasse und Ephraim auch weiterhin nur Söhne zur Welt bringt, betrübt sie sehr. Sie ist »geradezu versessen« auf eine Tochter und »hätte am liebsten lauter Töchter gehabt. Denn begierig war sie, die Schildjungfrau wiederzugebären, die sie gewesen, war«. Ihre wie ihrer Mutter Unzufriedenheit in diesem Punkt sorgt für eine »leichte, aber dauernde, wenn auch natürlich in den Schranken der Rücksicht und Zuneigung gehaltene Eheverstimmung« (V, 1533).

Die Deutung des Namens fand TM bei Jeremias I (340), den Hinweis auf Neiths Schild-Zeichen bei  Steindorff I (144). Die Figur ist eine Komposition aus ägyptischen und griechischen Mythologemen, zu der TM vor allem durch Karl Kerényis Aufsatz über Kore/Persephone (Kore: Zum Mythologem vom göttlichen Mädchen. In: Paideuma, 1/1940, Heft 8, S. 341-380) angeregt wurde, wie sein Brief an Kerényi vom 7. September 1941 bezeugt: Dass bei Josephs Hochzeit »Jungfräulichkeit auf Jungfräulichkeit trifft, schien mir Grund genug, eine Art Mysterium daraus zu machen, bei dem ich kecklich oder, wenn Sie wollen, unverfroren, einiges Demetrisch-Eleusinische benutze« (Kerényi/Mann, 99). Das Motiv der geraubten Jungfrau ist dem Raub der Persephone aus dem Demeter-Hymnus nachgebildet, ebenso die im Ehevertrag festgelegte Heimkehr des Mädchens zu seinen Eltern für eine bestimmte Zeit im Jahr. Die »fromme Finte« von Asnaths Identifikation mit Dinas Tochter kannte TM vermutlich aus Gorion (III, 236 ff.), auch wenn dort nicht von einem Schilfkorb die Rede ist. Näheres und Weiteres zu den zahlreichen mythologischen Bezügen der Figur wie auch der Hochzeitszeremonien bei Berger (237-242). – Die Beschreibung der äußeren Erscheinung Asnaths ist unverkennbar von der kleinen Statuette der Imeret-Nebes inspiriert (s. Abb.).

Abb.: Holzstatuette der Imeret-Nebes (12. Dynastie) aus dem Rijksmuseum van Oudheden (Leiden).

Letzte Änderung: 28.12.2014   |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück