Märchen von den zwei Brüdern
Bei Josephs Einlieferung ins Gefängnis Zawi-Rê erzählt Mai-Sachme das Märchen von den zwei Brüdern Bata und Anup (V, 1313 f.), das auch Joseph, wie er bei dieser Gelegenheit kundgibt, dem Potiphar öfter vorgelesen hat. Es ist das ›Muster‹ seiner eigenen Geschichte mit Mut-em-enet. Darin spielt die Frau des Anup die Rolle der erfolglosen und mit Verleumdung sich rächenden Verführerin. Das Märchen »ist eine vorzügliche Fiktion und ist ein Muster«, meint Mai-Sachme, »musterhaft und gleich einer Gußform des Lebens« (V, 1313).
Da Joseph das Märchen kennt, erzählt Mai-Sachme es nur bruchstückhaft. Dass es das ›Muster‹ der Geschichte von Joseph und Mut-em-enet ist, kann der Leser zunächst nur ahnen. Später beauftragt Mai-Sachme seinen Gefangenen, es »auf feinem Papyrus mit schwarzer und roter Tinte luxuriös abzuschreiben, wozu er ihn nicht nur wegen seiner schmuckhaften Handschrift, sondern auch persönlich und seinem Schicksale nach besonders geeignet fand« (V, 1331).
Mai-Sachme macht mehrere Versuche, die Geschichte von Joseph und Mut-em-enet in poetischer Form zu Papier zu bringen, es »geschah aber immer, daß er beim Schreiben in die musterhafte Geschichte von den zwei Brüdern hineingeriet und diese noch einmal schrieb, woran seine Versuche scheiterten« (V, 1332).
Das Märchen von den zwei Brüdern ist durch den so genannten »Papyrus d'Orbiney« (aus der 19. Dynastie, um 1185 v. Chr.) überliefert, der heute im British Museum liegt. TM kannte die Geschichte aus der Übersetzung bzw. Nacherzählung bei Erman/Ranke (441-443; vgl. hier verfügbaren Auszug) und aus der in seiner Bibliothek befindlichen Sammlung altägyptischer Märchen von Steindorff (Märchen und Geschichten der alten Ägypter. Hrsg. von Ulrich Steindorff. Berlin: Propyläen [1925], S. 97-114). – TM lässt das Verhältnis zwischen dem Totengott Anup und dem Anup des Märchens offen, Mereschkowskij (107) setzt beide ineins. Vermutlich handelt es sich hier um eine profanierte Göttergeschichte.