Peteprê (Potiphar)
Peteprê oder Potiphar, wie Joseph »bei sich selbst den Namen zu sprechen pflegte« (IV, 809), ist ein hoher Beamter am Hof Amenhoteps III., Ehemann Mut-em-enets, Sohn von Huij und Tuij und Josephs erster Dienstherr in Ägypten, dem er (wie der Erzähler umständlich errechnet) zehn Jahre lang dient (IV, 822), bevor Peteprê ihn notgedrungen und wider Willen ins Gefängnis werfen lässt.
Bei Josephs Ankunft in Ägypten ist der Hausherr »vielleicht vierzig Jahre alt, oder fünfunddreißig« (IV, 807), ein »überaus großer und dicker Mann mit kleinem Munde« (IV, 806). Seine »Turmesgröße« und »Säulenbeine« erinnern Joseph an seinen Bruder Ruben, und doch »war diese Leibesmassigkeit ganz anderer Art als die des heldischen Bruders: sehr fett nämlich überall, besonders aber in Gegend der Brust, die doppelhügelig unter dem zarten Batiste des Obergewandes vorsprang und beim unnötig unternehmenden Absprung vom Wagen nicht wenig geschwappt hatte. Ganz klein war der Kopf, im Verhältnis zu dieser Höhe und Fülle, und edel gebildet, mit kurzem Haar, kurzer, fein gebogener Nase, zierlichem Munde, einem angenehm vorspringenden Kinn und lang bewimperten, stolz verschleiert blickenden Augen.« (IV, 807)
Potiphar ist einer der »Großen über den Großen« Ägyptens (IV, 718). Amenhotep III. »hatte ihm hoch das Haupt erhoben« (IV, 842) und viele Titel verliehen. Er »hieß Wedelträger zur Rechten und Freund des Königs. Seine Hoffnung, eines Tages ›Einziger Freund des Königs‹ zu heißen (wovon es nur wenige gab), war begründet. Er war Vorsteher der Palasttruppen, Oberster der Scharfrichter und Befehlshaber der königlichen Gefängnisse« (IV, 843). Aber alle diese Titel sind »leere oder fast leere Gnadentitel«, denn Peteprê übt keines dieser Ämter wirklich aus, sie sind vielmehr eine »Ehrenfiktion, bei deren Aufrechterhaltung in seinem Selbstbewußtsein nicht nur der treue Mont-kaw, sondern alle Welt und alle äußeren Umstände ihn stündlich unterstützten, die er aber dennoch insgeheim und ohne es selbst zu wissen als das empfinden mochte, was sie war, nämlich als Unwirklichkeit und hohlen Schein« (IV, 843). Joseph ahnt früh, dass die »Hohlheit der Ämter« nur ein »Gleichnis […] für diejenige einer wurzelhafteren Würde« sein könnte (IV, 844), was sich alsbald bestätigt: Als »Stummer Diener« der greisen Eltern des Wedelträgers erfährt er, dass die »Ehegeschwister« Huij und Tuij ihren Sohn bald nach seiner Geburt entmannen ließen, um das aus der inzestuösen Ehe hervorgegangene »Dunkelsöhnchen« in Anpassung an die neue religiöse »Tagesordnung« zu einem »Lichtsohn« zu machen, der dem »Reineren« geweiht und dem »Gebrodel« der Zeugung entzogen sein sollte (IV, 861-873).
Entsetzt über die »Gottesdummheit« der Eltern (IV, 873) und voller Erbarmen mit ihrem »schnitzerhafte[n] Opfer« versteht Joseph nun vollends, dass und warum Peteprê »der Würdenstütze und Schmeichelei« seiner Umgebung so »äußerst bedürftig« ist, und nimmt sich vor, es Mont-kaws »schmeichelnde[r] Dienertreue« nachzutun (IV, 876). Gelegenheit dazu bekommt er alsbald bei seiner ersten Begegnung mit Potiphar im Dattelgarten: Er redet vor ihm über die ›Zerrissenheit der Welt im Geschlecht‹ und die ›Erhabenheit‹ des wahrhaft zeugenden Göttlichen über solche Zerrissenheit, dass Potiphar warm ums Herz wird (IV, 889) und Mont-kaw mit geröteten Augen auf den »Knaben« blickt, »der etwas tat, was zu tun ihn selbst, den Vorsteher, [...] die Liebe zum edlen Herrn gelehrt hatte, der es aber auf viel höhere, zartere und wirksamere Weise tat« (IV, 893). Wenig später wird Joseph zum Leib- und Lesediener seines Herrn bestellt, der im Speisegemach hinter seinem Stuhl steht und ihm nach den Mahlzeiten in der Säulenhalle als Vorleser dient. Und Mont-kaw schließt einen »Bund« mit Joseph, »daß wir einverstanden sein wollen im Dienst und in der Liebe des Herrn, Peteprê's« (IV, 903). Das »Wohlgefühl, das der ebräische Sklave dem Freunde Pharao‘s immer aufs neue zu erregen wußte« (V, 925), macht Joseph binnen Kurzem zum tröstlich-unentbehrliche[n] Leibdiener« seines Herrn (V, 927).
Unter den Büchern seiner reichhaltigen Bibliothek, aus denen Joseph ihm vorliest, gehört das »Lied des Lebensmüden« zu den von Peteprê besonders bevorzugten Texten, er lässt es sich »oft und immer wieder« vorlesen (V, 920).
Die Führung des Hauswesens und die Bewirtschaftung der Ländereien überlässt der »Titeloberst« ganz seinem Hausmeier Mont-kaw, dem er blind vertraut. Mit Ausnahme »der Unterhaltung seiner Leibesmasse durch Essen, derjenigen seines Mannesbewußtseins durch die Jagd in den Sümpfen und derjenigen seines Geistes durch die Bücher« (V, 928) nimmt er »sich keiner Sache an: aus feiner Vornehmheit, aus der Uneigentlichkeit seines Wesens, die ihn die praktischen Wirklichkeiten des Lebens scheuen ließ, und aus Vertrauen in die Liebe und Fürsorge der anderen für ihn, den heiligen Fleischesturm« (V, 929). Nach Meinung des Erzählers kann er von Glück sagen, dass ihm solches Maß an »träger Vertrauensseligkeit« dank der unbedingten Dienertreue seines Verwalters nicht zum Nachteil ausschlägt. »Allzusehr pochte und baute Potiphar auf die zärtliche und tiefgerührte Ergebenheit, die jedermann seiner heiklen und heiligen Verfassung als Sonnenhöfling entgegenbringen mußte, – dies Urteil zu fällen, können wir uns schon an dieser Stelle nicht enthalten.« (ebd.)
In religiösen Fragen scheint Peteprê, anders als seine Frau, die kritische Haltung des Hofes gegen die Übermacht der Amunsleute zu teilen (IV, 835; V, 941). Wenn der Oberpriester Beknechons mit großem Gepränge auf seinem Anwesen erscheint, um Mut-em-enet zu besuchen, lässt er sich in der Regel verleugnen (V, 946). Auch die von Mut und Dûdu initiierten Vorhaltungen Beknechons wegen der Bevorzugung eines ausländischen Sklaven, Josephs, lässt er gleichmütig an sich abprallen (V, 980 f.). Als aber Mut-em-enet ihn von dem Vorhaben, für sein nächstes Gastmahl eine Truppe babylonischer Tänzerinnen zu engagieren, abzuhalten versucht, weil Beknechons daraus einen Skandal machen könnte, reagiert er verstimmt und hält ihr vor, sie rede wie der »Plappervogel von Punt mit gelöster Zunge, der‘s oft gehört hat und nachkakelt, was nicht auf seinem Acker gewachsen« (V, 1042). Als Eni gar zu weinen beginnt, ist der »Titelgemahl« außer sich vor Sorge – nicht um seine Frau, sondern um seine Ruhe (V, 1044).
Die Sorge steigert sich zu ärgerlicher Bestürzung, als Mut ihn in ihrer Liebesnot dazu auffordert, den »ebräischen Knecht« (V, 1049) zu entlassen (V, 1056). Schon hier ahnt er die wahren Gründe ihres Wunsches, aber die Anwesenheit des »stärkenden Jünglings« gilt ihm mehr als ihre »Furcht vor sich selbst« (V, 1188). Später, als Dûdu ihm das vorgebliche Liebesverhältnis Josephs und Muts hinterbringt, sagt ihm sein Herz, »das der Gerechtigkeit […] fähig war« (V, 1187), dass er damals, »indem er die Frau sich selber auslieferte, es herausgefordert (hatte), daß sie beide einander ihm vorzögen und ihn verrieten« (V, 1188). Auch davon aber möchte er, weil es »mit Ärger gepaart« wäre, nichts wissen: »konnte man ihn nicht trotzdem in Ruhe lassen?« (V, 1189). Deshalb und weil er die wahren Absichten des verhassten Zwischenträgers durchschaut, verprügelt er Dûdu, dass der »wie ein Ferkel kreischte« (V, 1200).
So naht schließlich »Petepre's peinlichste Feststunde«, auf die er im Grunde immer schon »unbestimmt gefaßt gewesen« ist, »nur unkund ihrer Einzelheiten, die aber weitgehend von ihm abhingen, wenn es soweit war, – und siehe, er gestaltete sie nobel« (V, 1263): Als Mut-em-enet Joseph vor ihm verklagt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als Joseph zu verurteilen, doch spricht er ein gerechtes, ja schonungsvolles Urteil (V, 1274).
Der zuletzt zum »Ernährer« Ägyptens aufgestiegene Joseph sieht »seinen Herrn und Richter, der ihn mit Wohlwollen ins Gefängnis warf« (V, 1493), nicht wieder, denn Peteprê hat sich nach Amenhoteps III. Tod »mit dem Titel und Rang eines Einzigen Freundes ins Privatleben zurückgezogen. Er ging nicht mehr zu Hofe, brauchte es jedenfalls nicht mehr zu tun und hat es an den Tagen von Josephs Vergoldung aus einem Taktgefühl, das ihm durchaus zu eigen war, augenscheinlich vermieden.« (V, 1495) Sofern aber »im Lauf der Jahre ein Zusammentreffen bei irgendeiner feierlichen Gelegenheit dennoch sich ereignet haben« sollte, mutmaßt der Erzähler, »so kann man überzeugt sein, daß es sich ohne ein Wimperzucken, in vollkommener Diskretion und beherrschtester Ignorierung der Vergangenheit auf beiden Seiten abspielte« (1495 f.).
Mut-em-enets »Verhältnis zu Potiphar hatte durch die vorzügliche Weisheit, die dieser bei der Katastrophe bewiesen, eher an Wärme gewonnen, als daß es unter dem Vorgefallenen gelitten hatte. Daß er wie ein Gott gerichtet, erhaben über das Menschenherz, dafür wußte sie ihm Dank und war ihm fortan eine untadlig ergebene Ehrengemahlin.« (V, 1496)
Potiphars weitläufiges Anwesen mit der vornehmen Villa, dem Frauenhaus, den Wohnungen für das Gesinde, den Wirtschaftsgebäuden und Kornspeichern wird ausgiebig und detailreich beschrieben. Das Herrenhaus »mit übermaltem Säulenportal, schönen Gesimsen und dreieckigen, nach Westen offenen Windkaminen auf dem Dache« (IV, 782) ist »reichlich und überflüssig« gebaut (IV, 849). Es verfügt über drei Säulenhallen, deren östliche, die »Vorhalle«, Joseph bei seinem ersten Gang ins Haus staunend betrachtet. Sie hat sieben Türen aus »rotem Holz mit edlem und breitem Schmuckwerk darüber. Rundsäulen trugen sie, ebenfalls rot und aus Holz, schimmernd poliert, mit steinernen Basen und grünen Häuptern; der Fußboden aber der Halle stellte den Himmel der Sternbilder dar, hundertfältig von Figur« (IV, 848). Alle Räume sind mit vornehmen Möbeln und erlesenen Dekorationen versehen, die Wände mit Wandmalereien geschmückt.
Unter der von der Empfangshalle zum Oberstock führenden Treppe liegt Mont-kaws und später Josephs Zimmer, das »Sondergemach des Vertrauens«. Neben einer »zierlichen, fellbedeckten Bettstatt auf Tierfüßen, deren Kopfbrett die Bilder schlummerbeschützender Gottheiten, des krummen Bes und Epets, des schwangeren Nilpferdes, zeigten«, ist es mit Truhen, einem »steinernen Waschgerät«, einem Kohlenbecken und einem Lampenständer ausgestattet, und Joseph »dachte bei sich, daß man hoch aufsteigen müsse im Vertrauen, um es in Ägyptenland zu solcher Sonderbehaglichkeit zu bringen« (IV, 848).
In dem großen, in weiß und himmelblau gehaltenen Speisezimmer, in dem Joseph dem Hausherrn aufwartet, ist alles »zierlich und schön, voll heiteren Schmuckes und Überflusses« (V, 914). Die weißen Wände sind »von gemalten Friesen umlaufen unter der ebenfalls weißen und von himmelblauem Gebälk durchzogenen Decke, an welches die bunten Häupter der hölzernen, blau bemalten, auf weißen Rundbasen stehenden Säulen des Saales stießen« (V, 914). In der Mitte des Raumes steht »eine umfängliche Anrichte, hochauf bedeckt, wie Amuns Opfertisch, mit Speisen, [...] deren es viel zu viele waren, als daß sie von den vier Erhabenen auf der Estrade nur annähernd hätten verzehrt werden können: mit Röstgänsen, Bratenten und Rindskeulen, Gemüsen, Kuchen und Broten, mit Gurken, Melonen und syrischem Obst in üppiger Schaustellung« (V, 915).
Während Mut-em-enet und die beiden Alten kaum etwas zu sich nehmen und »nur aus Kultur zu Tische« sitzen, isst »Pharao's Freund […] viel mit seinem zierlichen Munde, von allem Angebotenen, denn einen Fleischesturm hatte er zu unterhalten«, und auch dem Wein spricht er kräftig zu, »denn der Wein erwärmte ihm wohl das Gefühl seiner selbst und ließ ihn glauben, daß er [...] ein rechter und wirklicher Truppenoberst sei« (V, 916). Hin und wieder unterhält Gottliebchen die Herrschaften bei den Mahlzeiten, indem er »in seinem Knitterstaat um die große Anrichte herum schnurrige Tänze« aufführt, und in einem »entfernten Winkel kauerte meistens ein alter Harfenspieler, der mit dürren Krummfingern sacht in die Saiten griff und undeutliche Murmellieder sprach. Er war blind, wie es sich für einen Sänger gehörte, und konnte auch etwas weissagen, obwohl nur stockend und ungenau.« (V, 917)
Das Herrenhaus grenzt mit zwei Seiten an einen ausgedehnten Garten, in dem Peteprê häufig lustwandelt. Im Baumgarten stehen die »schönsten Sykomoren, Dattel- und Dumpalmen, Feigen-, Granat- und Perseabäume […] in Reihen auf grüner Grasnarbe«, zwischen denen zahlreiche, mit Grundwasser gefüllte Becken eingelassen sind (IV, 827) und »Wege aus rotem Sand« hindurchgehen (IV, 852). Ein Weingarten und ein Gemüsegarten schließen sich an, »liebliche Blumenfelder« säumen eine Platanenallee und umgeben den Gartenpavillon (IV, 852).
In diesem zwischen den Bäumen, an einem künstlichen Lotusteich gelegenen »Lusthäuschen« wartet Joseph den Eltern seines Herrn als »Stummer Diener« auf, und alles, was er dort sieht, erregt sein Wohlgefallen: »Es war Kultur, was auf ihn herniederlächelte, und Abrams später Enkel, der Jaakobsjüngste, etwas verweltlicht wie er war, geneigt zur Neugierssympathie und zu Jungentriumphen der Freiheit, hatte seine Freude daran mit heimlichem Rückblick auf den allzu geistlichen Vater, der all diese Bildmacherei mißbilligt hätte.« (IV, 853)
Das Häuschen ist außen »von weißen, rotkannelierten Säulchen flankiert« und im Inneren mit ›lustigen und natürlichen Malereien‹ bedeckt. Sie zeigen »reizende Nachahmungen von Spann- und Hängegewinden« aus allerlei Blumen, aber auch Szenen »heitersten Lebens«: »man sah eine Eselherde, aus der man es iahen zu hören meinte, einen Fries fettbrüstiger Gänse, eine grünblickende Katze im Schilf, stolzierende Kraniche in feiner Rostfarbe, Leute, die schlachteten und Rindskeulen und Geflügel im Opferzuge trugen, und andere Augenweide mehr« (IV, 853).
Die Beschreibung von Potiphars Garten stützt sich vermutlich überwiegend auf Erman/Ranke (203-211), teils auch auf Wiedemann (272-279) und Blackman (8-10).
Die Abbildungen verweisen auf Bildvorlagen, die bei der Gestaltung der Figur und der Schauplätze Pate gestanden haben könnten (vgl. dazu auch Wysling, S. 258 f., 264-267): (1) Kalksteinstatue des Hem-iunu. – (2) Empfangshalle eines vornehmen Hauses in Amarna. – (3) Opfertisch mit Baumgöttinnen. – (4) Vornehme Damengesellschaft mit blindem Harfenspieler. – (5) Garten mit Teich. – (6) Gänse von Meidum und andere Wanddekorationen. – (7) Blinder Harfenspieler.