Rudolph

Der Bruder Claras ist von Geburt an blind, ein Schicksal, mit dem er oft hadert. In seinem Harfenspiel gibt er seinem Leiden Ausdruck. Seine Schwester, die ihn seit dem frühen Tod der Eltern umsorgt, liebt er über alles und mehr wie ein Liebhaber denn ein Bruder. Nicht nur der uneingestandene inzestuöse Aspekt dieser Liebe, sondern auch deren Ichbezogenheit wird vollends erkennbar an seiner exaltierten Reaktion auf die Entdeckung, dass sie Pfarrer Eisenhardt liebt. Mit der Androhung seines Selbstmords zwingt er sie, vom Tage ihrer Heirat an jeglichen Kontakt zu ihm abzubrechen (vgl. 29). Fortan lässt er sich von einer Magd versorgen und vertieft sich Harfe spielend in sein Selbstmitleid. Selbst als der Schwager ihn ein Jahr später aufsucht, um ihn an das Sterbebett seiner Schwester zu rufen, wird er zunächst wieder ein »Opfer seiner wilden leidenschaftlichen Gefühle« (39), beschuldigt seinen »Nebenbuhler« (37) des Mordes und will ihm an die Gurgel gehen (vgl. 33), bevor er sich fasst und bereit findet, zur Schwester zu gehen. Er sinkt vor der Sterbenden in die Knie, bittet sie um Vergebung (vgl. 35) und entspricht ihrem Wunsch nach Versöhnung mit dem Pfarrer (vgl. 36 f.). Als sie gleich darauf stirbt, verliert er erneut jede Fassung und wirft sich laut schreiend auf den leblosen Körper (vgl. 37). Er und Eisenhardt leben, verbunden im gemeinsamen Leid, noch »viele Jahre« freudlos dahin, bis der »Schmerz wie ein nimmersatter Wurm ihr Leben aufgezehrt« hat und »der Tod, der jahrelang ihre Bitten verhöhnte, […] den Gesetzen der Natur Gehorsam leisten« muss (40). Beide sterben an demselben Tag.