Liscov, Abraham

Besitzer des Katers Murr, früherer Erzieher und nun Freund von Johannes Kreisler, Ehemann der verschwundenen Zigeunerin Chiara, »Maitre de Plaisir des Irenäusschen Hofes« und ironischer »Schwarzkünstler« (48). Er hat »schneeweißes Haar« und dazu »Rabenschwarze [sic] Augenbraunen« (22).

Als Sohn eines Orgelbauers lernte er unter Zwang den Beruf des Vaters, den er »bisweilen tief verachtete, zu anderer Zeit aber hoch in den Himmel erhob, so daß man nicht recht wußte, was er eigentlich wollte« (126). Ein »durchdringender Verstand, ein tiefes Gemüt« sowie die »ungewöhnliche Erregbarkeit des Geistes« prägen sein Wesen (129). Auch in Kreislers Familie wurde zwar mit »hoher Bewunderung« von ihm gesprochen, nur seine »tollen Grillen« sorgten immer wieder für Irritation. Aber das Kind Johannes Kreisler ließ sich von seinem beißenden Spott nicht abschrecken und gewann durch eine schlagfertige Erwiderung, mit der er die Musik in Schutz nahm, seinen Respekt. Einige Jahre begleitete Abraham den musikalischen Werdegang des Jungen, ehe er ihn plötzlich und ohne Begründung verließ: »Aber nun renne ich fort, und lasse dich im Stich« (131).

Nach dem Tod des Magiers Severino entdeckte Abraham Chiara, das ›unsichtbare Mädchen‹ aus dessen Orakel. Er befreite sie und brachte sie mit den Mitteln aus Severinos Nachlass unter. Als sie ihn nach einem Jahr aufsuchte, ließ er sich von ihr überreden, das Orakelkunststück mit ihr wieder aufzuführen, weil die Rolle des ›unsichtbaren Mädchens‹ ihr »zum Bedürfnis geworden« war. Bald darauf wurden beide ein Paar (194). Seit ihrem plötzlichen Verschwinden bereut er es, ihrem Wunsch nachgegeben zu haben: »beim Handwerk mußtest Du bleiben, Orgeln bauen und nicht den Hexenmeister spielen und den Wahrsager. – Sie hätten sie mir nicht gestohlen« (403). Während er Kreisler erzählt, dass er Chiara nie wiedergesehen habe, berichtet der Abt, dass Liscov unter dem Namen Severino nach Neapel gereist sei, um sie zu suchen. Es heißt weiter, dass er tatsächlich Spuren von ihr fand, »da ihm jene alte Zigeunerin in den Weg kam, Magdala Sigrun geheißen« (454). Von der Zigeunerin hat er das Amulett bekommen, das er Kreisler im Laufe der Geschichte als »Waffe« gegen Hektor aushändigt (229). Die heftige Reaktion Hektors bei der Begegnung mit Abraham bestätigt, dass die beiden sich kennen.

Abraham versucht, seinen »Herzensfreund« Kreisler in Sieghartshof als Kapellmeister unterzubringen (145). Dem Fürsten versichert er zu diesem Zweck, dass Kreislers Herkunft standesgemäß sei und dass der Musiker nicht verrückter sei als er selbst. Mit Scherenschnitten, die er während eines langweiligen Gesellschaftsabends anfertigt, führt er Kreislers Erzählungen aus seiner Kindheit an und ermahnt ihn: »Aber lügt nicht Johannes« (102).

Sein Einfluss am Hof erregt den Unmut der Rätin Benzon, die ihre Pläne gefährdet sieht. Tatsächlich sabotiert er nach Kräften ihr ehrgeiziges Vorhaben, ihre Tochter Julia mit dem Prinzen zu verheiraten, weil er von Kreislers Liebe zu Julia weiß. Bei dem Fest zum Namenstag der Fürstin möchte er Julias Verlobung mit Ignatius platzen lassen, denn die Intrige der Benzon steckt ihm »im Halse und droht« ihn »zu ersticken« (455). In einem Brief am Ende des Romans fordert er Kreisler auf, die Abtei zu verlassen und zu diesem Fest zu kommen. (455). Im ersten Fragment der zyklischen Kreisler-Biographie blicken die beiden Männer zurück auf dieses Fest, und Abraham macht Kreisler Vorwürfe, weil er nicht da war und alles unnütz gewesen sei.

Zu Ende des Festes hat er den kleinen Kater Murr »aus purer uneigennütziger Menschenliebe« (35) gerettet und mitgenommen. So verbringt der Kater sein Leben bei Meister Abraham, bis dieser ihn wegen einer Reise in Kreislers Obhut gibt. Als Professor Lothario ihn auf Murrs schriftstellerische Ambitionen aufmerksam macht und ihm vorwirft, mit seinem Kater die »wunderlichsten Experimente« zu unternehmen, lacht er ihn zunächst aus. Allerdings beobachtet er Murr danach mit einigem Misstrauen und verschließt zu dessen Verdruss den Bücherschrank. Dennoch pflegt er den Kater freundlich, wann immer dieser zerrupft und hungrig von seinen Abenteuern zurückkehrt, und Murr ist der Meinung, dass der Meister mit »gebildeten Katern umzugehen« weiß (298). Allerdings ist er auch gelegentlich ernsthaft beleidigt, wenn Abraham über ihn lacht, sein Streben nach Geistesbildung nicht ausreichend würdigt oder gar blockiert.