Innstetten, Geert von

Effis Ehemann, preußischer Baron, Landrat im pommerschen Kessin, später Ministerialrat in Berlin, ein »schöner Mann« (4/37), »schlank, brünett und von militärischer Haltung« (2/18). Als junger Leutnant der Ziethenschen Husaren in Rathenow hatte er, »noch keine Zwanzig«, erfolglos um Luise von Briest geworben (1/11). Gleich danach hatte er den Abschied genommen und Juristerei studiert. Nachdem er am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen und das Eiserne Kreuz erhalten hatte, wurde er, gefördert durch Bismarck, Landrat im Kreis Kessin.

Nun, zu Beginn der Geschichte, fast 20 Jahre nach seiner vergeblichen Werbung um Luise von Briest, hält der inzwischen 38-Jährige um die Hand ihrer 17-jährigen Tochter Effi an, nachdem beide sich zwei Tage zuvor zum ersten Mal gesehen haben (vgl. 2/18). Gleich nach der am selben Tag vollzogenen Verlobung reist er zurück nach Kessin und sieht seine Braut erst am Hochzeitstag wieder. Die etwa dreimonatige Verlobungszeit überbrückt er mit täglichen Briefen, die Effi schon bald langweilen (vgl. 4/33 f.). Sie halten »das rechte Maß« (4/37), für Effis Geschmack zu sehr, denn, so lässt sie ihre Mutter wissen, das meiste darin »könnt‘ ich auf dem Schulzenamt anschlagen lassen« (4/36).

Innstetten ist das Muster eines preußischen Beamten, pflichtbewusst, korrekt, »ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien«, was Effi freilich mehr Furcht als Bewunderung einflößt (4/38), dazu ehrgeizig, zwar kein Streber, denn »dazu ist er zu wirklich vornehm«, aber ein »Carrieremacher« (5/44), dem die Gunst Bismarcks über alles geht.

Damit kann er zwar Effis Ehrgeiz befriedigen, nicht aber ihren »Hang nach Spiel und Abenteuer« (5/44), für den er wenig Sinn hat. »Für die stündliche kleine Zerstreuung und Anregung, für alles, was die Langeweile bekämpft, diese Todfeindin einer geistreichen kleinen Person, dafür wird Innstetten sehr schlecht sorgen«, befürchtet Luise von Briest schon am Tag nach der Hochzeit, und diese Befürchtung erweist sich als ebenso berechtigt wie ihre Vermutung, dass Innstetten »sich nicht einmal recht mit der Frage beschäftigen [wird], wie das wohl anzufangen sei« (ebd.).

Tatsächlich fehlt ihm das Verständnis für Effis Bedürfnisse, er nimmt sie zwar wahr, aber nicht ernst (vgl. etwa 20/202) und ordnet sie ganz seinen dienstlichen Verpflichtungen unter, denen er selbst noch die gemeinsamen Abende opfert (vgl. 13/120). So lässt er seine junge Frau vermissen, was sie am meisten braucht: »Huldigungen, Anregungen, kleine Aufmerksamkeiten« (13/119). Er ist »lieb und gut«, aber kein Liebhaber. »Er hatte das Gefühl, Effi zu lieben, und das gute Gewissen, daß es so sei, ließ ihn von besonderen Anstrengungen absehen.« (Ebd.) Effi selbst deutet seine Zurückhaltung als Ausdruck seiner Korrektheit und gesellschaftlichen Ambitionen: »Du bist eigentlich […] ein Zärtlichkeitsmensch und unterm Liebesstern geboren […]. Du willst es bloß nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und verdirbt einem die Karriere.« (15/143)

Seinem Umgang mit ihren Ängsten in seinem »Spukhaus« (12/116) fehlt freilich jede Zärtlichkeit. Er versagt ihnen das nötige Verständnis, ja mehr: Wenn man Crampas glauben darf (wofür einiges spricht), benutzt er die Chinesengeschichte und den vermeintlichen Spuk als »Erziehungsmittel«, als »eine Art Angstapparat aus Kalkül«, der seine Frau während seiner Abwesenheit »in Ordnung […] halten« soll (17/157). Diese Kränkung wird Effi, so sehr sie sich auch darum bemüht, nie ganz vergessen (vgl. 18/173; 20/202; 21/215; 33/325).

Nach seiner Beförderung zum Ministerialrat und dem Umzug nach Berlin ist Innstetten »ernsthaft gewillt«, Effi ein »gesellschaftlich angeregteres« Leben zu bieten (25/260 f.), was nach anfänglichen Schwierigkeiten auch gelingt (vgl. 25/262 f.). Das Paar verlebt glückliche Jahre, genießt die allseitige Sympathie der ersten Gesellschaft.

Als Innstetten mehr als sechs Jahre später durch Zufall von Effis Verhältnis mit Crampas erfährt (vgl. 27/273-275), sieht er sich vor eine Entscheidung gestellt, die ihm nur die Wahl zwischen zwei Übeln übriglässt. Zwar ist sein »Lebensglück« in beiden Fällen »hin« (27/277), aber doch auf unterschiedliche Weise. Duell und Ehescheidung bringen Unglück über ihn und alle Beteiligten, entsprechen aber der Standesnorm und sichern ihm damit die Anerkennung seines gesellschaftlichen Umfelds und seiner Karriere. Stille Hinnahme des Treuebruchs würde zwar, solange sie geheim bleibt, die äußere gesellschaftliche Position nicht gefährden, wohl aber die innere. Denn gesellschaftliche Normen sind in Innstettens Augen nichts nur Äußerliches, sondern Teil der persönlichen Identität, weshalb gesellschaftliche Achtung und Selbstachtung eng zusammenhängen. Ein Leben in dem Bewusstsein, etwas in den Augen der Gesellschaft Verächtliches getan zu haben, würde deshalb am Ende zu Selbstverachtung führen: »die Gesellschaft verachtet uns, und zuletzt thun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf« (27/278). Dieses Übel erscheint ihm größer als das andere, er entscheidet sich für die normenkonforme Variante, für Duell und Ehescheidung.

Diese Entscheidung fällt er »ohne jedes Gefühl von Haß oder gar von Durst nach Rache« gegen Crampas, und er fällt sie, obwohl er Effi liebt und sich, »mir selbst zum Trotz, in meinem letzten Herzenswinkel zum Verzeihen geneigt« fühlt (27/277). Aber »jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß.« (27/278)

Allerdings fällt Innstetten seine Entscheidung übereilt und nimmt sich dadurch selbst die Möglichkeit, sie zu revidieren. Das gibt ihr einen ironischen Akzent. Bis zu dem Augenblick, da er nach Wüllersdorf schickt, um ihn darum zu bitten, ihm beim Duell zu sekundieren (vgl. 27/275 f.), hatte er, wie er zu spät erkennt, »das Spiel noch in der Hand, konnt' ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt stecke ich in einer Sackgasse« (27/279). Denn nun hat »mein Unglück und, was schwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwisser und nach den ersten Worten, die wir hier gewechselt, hat es einen ganzen. Und weil dieser Mitwisser da ist, kann ich nicht mehr zurück« (27/279).

Diesem Argument kann sich selbst Wüllersdorf, der ihm bis dahin eindringlich abgeraten hat, nicht verschließen: »Ich finde es furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben recht. […] Die Welt ist einmal, wie sie ist […]. Das mit dem ›Gottesgericht‹, wie manche hochtrabend versichern, ist freilich ein Unsinn, nichts davon, umgekehrt, unser Ehrenkultus ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unterwerfen, solange der Götze gilt.« (27/280)

Nach dem Duell beschleichen Innstetten sogleich wieder Zweifel, der Blick des sterbenden Crampas geht ihm nach, der ihm nach seinem Eindruck hatte sagen wollen: »Innstetten, Prinzipienreiterei ... Sie konnten es mir ersparen und sich selber auch.« Und ihm »klingt so ‘was in der Seele«, dass er »vielleicht recht« hatte (29/287).

Die Zweifel hindern ihn freilich nicht, seiner Tochter Annie Vorbehalte gegen ihre Mutter einzupflanzen und sie für den von der Ministerin, der Gattin seines Vorgesetzten, erwirkten Besuch bei Effi abzurichten »wie einen Papagei« (33/325), so dass die Begegnung von Mutter und Tochter missglückt.

Sein Dasein aber ist »leer und öde« (35/338). Am Tag seiner Ernennung zum Ministerialdirektor steht für ihn fest: »Mein Leben ist verpfuscht« (35/340). Die Auszeichnung freut ihn nicht mehr, seine Einstellung zu »Gunstbezeugungen von oberster Stelle« (35/337) hat sich verändert, und an »das, was man ›das Glück‹ nenn[t]«, mag er nicht mehr glauben. Der mit gleicher Post bei ihm einlaufende Brief Roswithas mit der Bitte, Rollo nach Hohen-Cremmen zu schicken, belehrt ihn jedoch »schmerzlich, daß es ein Glück gebe, daß er es gehabt, aber daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne« (35/338).

Seinem Kollegen Wüllersdorf bekennt er, daß er aus »dieser ganzen Geschichte« heraus möchte, womit er die Gesellschaft selbst meint, die er als die letzte Ursache seines Unglücks betrachtet und mit deren »Strebungen und Eitelkeiten« er deshalb am liebsten »überhaupt nichts mehr zu thun haben« möchte. Er versteigt sich zu der Idee, nach Afrika zu gehen, »weg von hier, weg und hin unter lauter pechschwarze Kerle, die von Kultur und Ehre nichts wissen. Diese Glücklichen! Denn gerade das, dieser ganze Krimskrams ist doch an allem schuld.« (35/340)

Wüllersdorf hält dagegen, plädiert für »hier bleiben und Resignation üben« (35/341) und dafür, das »kleine Glück« zu suchen, das etwa im Anblick blühender Veilchen oder des blumengeschmückten Luisendenkmals, in einem Ballettabend oder drei Seideln Bier liege, lauter »Hülfskonstruktionen«, die den Tag zu überstehen helfen könnten. Innstetten »nickte halb zustimmend« (35/342).

Bei allem Mitgefühl, das der Erzähler auch für Innstetten postuliert, überlässt er das letzte Wort über ihn doch seiner Heldin, die zuletzt, kurz vor ihrem Tod, zwar festgestellt wissen will, dass Innstetten »in allem recht gehandelt« habe, ihre Würdigung seines Charakters aber mit einer Einschränkung versieht: »er hatte viel Gutes in seiner Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist« (36/348).