Mann, der eigentümliche (der besondere Mann, der Besondere, der Rindsäugige)

Während der Heimreise von Charran nach Kanaan, an einer Furt des Jabbok bei Peni-el, gerät Jaakob in »unruhig bewölkter Nacht« mit einem »eigentümlichen« Mann in ein »Ringen auf Leben und Tod«, das bis zum Morgenrot dauert (IV, 95 f.; vgl. Genesis 32, 25 ff.). Der Mann hat in der Tat eigentümliche Merkmale: Weit auseinanderstehende »Rindsaugen, die nicht nickten«, ein »Gesicht, das, wie auch die Schultern, poliertem Steine glich«, und einen Körper, »der nicht zum Sitzen eingerichtet war« (IV, 96).

Er versetzt dem »traumstark und ausdauernd aus unvermuteten Kraftvorräten der Seele« kämpfenden Jaakob (IV, 96) zuletzt jenen Schlag gegen die Hüfte, von dem Jaakob »hinkte sein Leben lang wie ein Schmied« (V, 1555), und gibt ihm den Namen »Jisrael, ›Gott führt Krieg‹« (IV, 95). »Ehrentitel« (IV, 95) wie »Ehrenhinken« (V, 1740), setzt Jaakob forthin ein, wenn es Eindruck zu machen gilt.

Der mysteriöse Kampf am Jabbok gibt ihm das nötige Selbstvertrauen für das Wiedersehen mit Esau, das kurz darauf stattfindet (vgl. IV, 145-151). Anders als 25 Jahre zuvor, bei der Flucht aus Beerscheba, wo ihm solche Stärkung erst nachträglich – nach der schmachvollen Begegnung mit Esaus Sohn Eliphas – zuteil wurde (vgl. Beth-el), nimmt er dieses Mal »die Haupterhebung und große Herzstärkung vorweg« und zieht dem betrogenen Bruder getrost und »im tiefsten gewappnet gegen jede Erniedrigung« entgegen (IV, 145).

Die psychologische Deutung des Geschehens korrespondiert mit dessen Charakterisierung als Traum. Allerdings ist es »kein luftiger und vergehender« Traum, »sondern ein Traum, so körperheiß und wirklichkeitsdicht, daß doppelte Lebenshinterlassenschaft von ihm liegengeblieben war, wie Meeresfrucht am Land bei der Ebbe: das Gebrechen von Jaakobs Hüfte [...] und zweitens der Name« (IV, 95).

Band IV: 145. – Vgl. auch 95 f., 132, 145, 154, 351, 365, 383, 528, 539, 634.
Band V: 1747. – Vgl. auch 1544, 1555, 1641.

Vgl. auch Israel. – Zur mythologischen Deutung des Kampfes am Jabbok fand TM bei Jeremias I (323 f.) Anregungen, dort (und S. 316) auch Hinweise zu der Verbindung zwischen Hinken und Schmied sowie auf die Parallele zur Geschichte von Isis und Rê.

Die Ausstattung des ›eigentümlichen Mannes‹ mit ›Rindsaugen‹ und den Eigenschaften einer Statue (die ›poliertem Steine‹ gleichenden Schultern) ist dunkel. Bei der Beschreibung von Jaakobs großem Traum von der Himmelsleiter werden die Cherubim u.a. »gekrönte Kühe« genannt (IV, 142); darin folgt TM wohl Mereschkowskij, der die »Cherubim, die den Thron Adonais, des höchsten Gottes tragen«, als »geflügelte assyrisch-babylonische Stiere, Kherubu« beschreibt (211). Das entspricht der Vision des Hesekiel (Hesekiel 1, 1 ff.), in der die vierköpfigen Keruben, die den Gottesthron tragen, Stierfüße und neben Menschen-, Löwen- und Adlerkopf auch einen Stierkopf haben. – Nach Jeremias I (548) wird Jahwe in religiösen Dichtungen wiederholt mit dem Stier-Symbol (dem Tier des Marduk) charakterisiert; vgl. dazu auch Jeremias I (272, 308) zur Übersetzung des Gottesnamens »saddai« (in Genesis 17,1; 28,3; 49,25 u.a.) mit »Stier«. Auch Benzinger (326) hält für möglich, dass der Stier bei den Israeliten als Gottessymbol diente.

In einer der bei Gorion nacherzählten Versionen handelt es sich bei Jaakobs Gegner um den Erzengel Michael (der auch auf Jaakobs Angst vor der bevorstehenden Begegnung mit Esau anspielt; vgl. Gorion III, 15 f.). – Ebenfalls Gorion folgt, worauf Fischer (326) hinweist, die Erwähnung des starren Hüftgelenks (IV, 96): »der Engel Hüfte ist nicht beweglich, weil sie niemals sitzen« (Gorion III, 17).

Fehlenden (oder mangelnden) Lidschlag (IV, 96) zeigt auch der Mann auf dem Felde (IV, 537), eine Hermes-Nabu-Figur, die mit den Engeln in den »oberen Rängen« zudem durch ihre Rolle als Himmelsboten und Wächter (IV, 540 f.) und durch ihre kaum verhohlene Verachtung für den Menschen verbunden ist (vgl. IV, 47 f. und IV, 541-544). Fischer ist überzeugt, dass der Mann auf dem Felde »zugleich der Engel vom Kampf am Jabbok ist« (418). Die Auskunft, dass Gesicht und Schultern des Mannes »poliertem Steine« gleichen, hält Fischer (326) dagegen für eine Vorausdeutung auf Josephs Begegnung mit der Sphinx, die auch durch das »Motiv des Namen-Nennens« mit der Jabbok-Geschichte verbunden sei.

Letzte Änderung: 18.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück