Nimptsch, Lene

Junge Näherin, Ziehtochter der alten Frau Nimptsch. Beide leben in einem gemieteten Häuschen auf dem Anwesen der Gärtnerei Dörr. Im Frühjahr 1875 verliebt sie sich in den adeligen Offizier Botho von Rienäcker und erlebt mit ihm einige Wochen lang eine beglückende Liebe, bis er, Anfang Juli, das Verhältnis mit ihr beendet, um aus Familienrücksichten seine reiche Cousine Käthe von Sellenthin zu heiraten. Lene ist sich von Anfang an darüber im Klaren, dass ihre Liebe keine Zukunft hat, weil sie nicht nur die ständischen Schranken kennt, sondern auch mit feinem Gespür Bothos Charakter erfasst. Sie weiß, dass er nicht die Kraft haben würde, seine Liebe gegen seine Mutter »oder das Gerede der Menschen, oder die Verhältnisse« oder »vielleicht alles drei« zu behaupten: »Du liebst mich und bist schwach.« (5/36) Sie will das Glück mit ihm genießen, solange es dauert.

Ihr gemeinsamer Ausflug nach »Hankels Ablage« Ende Juni wird zum Höhe- und Tiefpunkt ihrer Liebe zugleich. Denn durch das unverhoffte Eintreffen von drei Kameraden Bothos mit ihren ›Damen‹ wird ihr stilles Glück jäh unterbrochen, und die »Verhältnisse« der drei Herren markieren nicht nur (für den Leser) die Andersartigkeit ihrer Liebesbeziehung, sondern spiegeln auch (für Lene) die Sicht der Gesellschaft auf ihr Verhältnis zu Botho wie in einem Zerrspiegel: Die drei ›Damen‹ Isabeau, Margot und Johanna, ihres Namens (ihrer Identität) entkleidet und mit »Necknamen« aus Schillers »Jungfrau von Orleans« benannt, sind professionelle Mätressen, und Botho, der das Spiel mit den Namen mitmacht und Lene als »Agnes Sorel« vorstellt (13/90), tut ein Übriges, um Lene mit der kränkenden Rolle zu konfrontieren, die die Gesellschaft für ein standesungleiches Liebesverhältnis wie ihres normalerweise vorsieht. Bedrückt kehrt das Paar in die Stadt zurück, und Lene, das baldige Ende ahnend, versichert Botho noch einmal: »Daß ich diesen Sommer leben konnte, war mir ein Glück und bleibt mir ein Glück, auch wenn ich von heut ab unglücklich werde.« (14/100)

Am Tag darauf erhält Botho den Brief seiner Mutter, in dem sie ihn drängt, Käthe von Sellenthin zu heiraten (vgl. 14/102-104), und am Abend des nächsten Tages nehmen beide voneinander Abschied. Lene, ohne ihren Schmerz zu verhehlen, macht ihm den Abschied leicht und zerstreut seine Schuldgefühle (vgl. 15/112). Die Charaktereigenschaften, die Botho an ihr vor allen anderen liebt, bestimmen auch hier ihr Verhalten: »Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit« (14/106).

Nach der unverhofften Begegnung mit Botho und Käthe in der Lützowstraße im Oktober aber bricht sie zusammen (vgl. 16/121 f.). Um solche Begegnungen künftig zu vermeiden, setzt sie den Umzug in eine Wohnung am Luisenufer durch, der im Frühjahr 1876 erfolgt. Hier erholt sie sich, hat allerdings seit ihrem Zusammenbruch eine weiße Strähne in ihrem Haar (vgl. 17/129). Ein Jahr später zieht Gideon Franke in die Nachbarwohnung ein. Er macht ihr im darauffolgenden Sommer einen Heiratsantrag, den sie positiv, aber zugleich mit einem offenen Bekenntnis ihres ›Vorlebens‹ beantwortet (vgl. 19/141). Seinen Plan, Botho von Rienäcker aufzusuchen, unterstützt sie mit der scherzhaften Warnung, Botho werde »zu gut von ihr sprechen« (20/151). Im Juni 1878 stirbt ihre Ziehmutter, im August desselben Jahres findet die Hochzeit mit Franke statt.

Zur Datierung der Ereignisse vgl. die Schematische Darstellung der Zeitstruktur des Romans.