Rienäcker, Botho Baron von

Junger Adeliger, »Premierlieutenant im Kaiser-Kürassier-Regiment« in Berlin (16/114), der sich im Frühjahr 1875 in die Näherin Lene Nimptsch verliebt und mit ihr einige Wochen lang eine beglückende Liebe erlebt, dann aber, Anfang Juli, das Verhältnis mit ihr schweren Herzens aufgibt und, dem Druck der Familie nachgebend, seine reiche Cousine Käthe von Sellenthin heiratet. Mit dieser Heirat bewahrt er das vom Ruin bedrohte väterliche Gut und saniert das Familienvermögen, das seine Mutter und er selbst nicht klug verwaltet haben, denn beide leben über ihre Verhältnisse: »er hat 9000 jährlich und giebt 12 000 aus«, urteilt sein Kamerad Pitt (8/55).

Wie Lene hellsichtig erkennt (vgl. 5/36), liebt er sie zwar aufrichtig, ist aber zu schwach, um dem Druck der gesellschaftlichen Erwartungen standzuhalten. Ähnlich, wenn auch gerade umgekehrt mit Blick auf seine ›Schwäche‹ für Lene, urteilt Leutnant von Wedell: Rienäcker sei »fürs Natürliche« und trotz seiner kräftigen Statur »schwach und bestimmbar und von einer seltenen Weichheit und Herzensgüte« (8/56). Letztere begründen denn auch seine Liebenswürdigkeit, bestimmen seinen liebevollen Umgang mit Lene, seine Warmherzigkeit gegenüber ihrer Mutter und sein unprätentiöses Verhalten im Umgang mit den Dörrs.

Die Reflexionen, die seiner Entscheidung für den Abschied von Lene vorausgehen (vgl. 14/105-108), wie auch seine Äußerungen in einem Gespräch mit seinem Kameraden Rexin drei Jahre später (vgl. 23/172-176) lassen allerdings erkennen, dass seine Entscheidung nicht nur persönlicher Schwäche geschuldet ist, sondern mit dem Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Normen und individueller Identität zu tun hat, dessen Überwindung nicht nur eine Frage der Stärke oder Schwäche des Einzelnen ist. Bothos Einsicht, dass »das Herkommen unser Thun bestimmt« (14/108), schließt die Einsicht ein, dass der Bruch mit ihm Selbstentfremdung zur Folge hat, weil es das Selbstverständnis zutiefst prägt: Wer mit »Stand und Herkommen« bricht, so warnt er Rexin, wird »über kurz oder lang sich selbst ein Gräuel und eine Last sein« (23/175). Diese Erkenntnis begründet das pessimistische Resümee, das er am Tag seiner Trennung von Lene zieht und das seine Entscheidung nicht als eine zwischen Glück und Unglück, sondern zwischen zwei Formen des Unglücks kennzeichnet: »Wer ihm [dem Herkommen] gehorcht, kann zugrunde gehn, aber er geht besser zugrunde als der, der ihm widerspricht.« (14/106)

Die im September 1875 geschlossene Ehe mit Käthe von Sellenthin ist kein Unglück, aber auch kein Glück. Käthe mit ihrer immer guten Laune ist »unterhaltlich«, aber »oberflächlich und ›spielrig‹«, so dass sich mit ihr »kein ernstes Wort« reden lässt und Lene »mit ihrer Einfachheit, Wahrheit und Unredensartlichkeit« ihm »öfters vor der Seele« steht (17/123 f.). Auf die drei Jahre seit seiner Trennung von Lene zurückblickend gesteht er sich ein, dass die Freude, die ihm das Zusammensein mit Käthe gebracht hat, »doch keine rechte Freude gewesen« sei: »Ein Bonbon, nicht viel mehr. Und wer kann von Süßigkeiten leben!« (23/171)

Die Begegnung mit Gideon Franke berührt ihn tief. Er fährt zum Jakobi-Kirchhof hinaus, um Frau Nimptsch, von deren Tod er durch Franke erfahren hat, den versprochenen Immortellenkranz aufs Grab zu legen (22/163). Zurückgekehrt, holt er Lenes Briefe und den Blumenstrauß, den sie ihm bei ihrem Ausflug nach Hankels Ablage gepflückt hatte, aus dem Geheimfach seines Schreibtischs hervor und beginnt sie noch einmal zu lesen, aber »es that ihm zu weh«. In der Hoffnung, mit den Erinnerungsstücken auch die schmerzlichen Erinnerungen selbst loszuwerden, verbrennt er die Briefe und zuletzt, nach einigem Zögern, auch den vertrockneten Blumenstrauß, den Lene damals auf sein Geheiß, aber unter Protest (»Haar bindet«; 11/76) mit einem ihrer Haare gebunden hatte, und fragt sich, ob er nun frei sei. »Will ich’s denn? Ich will es nicht. Alles Asche. Und doch gebunden.« (22/167)

Als Käthe ihm aus der Zeitung Lenes und Gideon Frankes Heiratsanzeige vorliest und sich dabei über die Namen mokiert, entgegnet er: »Was hast Du nur gegen Gideon, Käthe? Gideon ist besser als Botho.« (26/190)

Zur Datierung der Ereignisse vgl. die Schematische Darstellung der Zeitstruktur des Romans.