Mathilde Möhring (1906)

Theodor Fontane: Mathilde Möhring. Nach der Handschrift neu herausgegeben von Gabriele Radecke. Berlin: Aufbau 2008 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 20) – Nachweise von Zitaten erfolgen unter Angabe der Kapitel- und Seitenzahl (z.B. 12/91 = 12. Kapitel, S. 91). In dieser Ausgabe sind die Kapitel 9, 10 und 11 jeweils in zwei Unterkapitel a und b geteilt.

Der Roman blieb unvollendet. Erhalten ist die erste Niederschrift aus dem Jahr 1891, deren Überarbeitung Fontane sich erst Jahre später, im Winter/Frühjahr 1896, vornahm, aber schon bald wieder abbrach (vgl. Kommentar, S, 151-158). In einer von Joseph Ettlinger besorgten Textfassung erschien der Roman erstmals 1906 in der Zeitschrift »Die Gartenlaube«. Der Text der Großen Brandenburger Ausgabe folgt in Orthographie und Interpunktion der Handschrift Fontanes.

Arzt

Der namenlos bleibende Arzt in Woldenstein stellt bei Hugo eine Lungenentzündung fest und begegnet Mathildes Nachfrage, »ob es was zu bedeuten habe« mit einem Lächeln und dem Wort ›einigermaßen‹, das Mathilde nicht gefällt (15/107). Einige Wochen später ist, »ehe noch der Arzt es feststellen konnte«, klar, dass Hugo einen Rückfall hat, an dem er kurz darauf stirbt (15/111).

Bella, Fräulein

Freundin und angebliche Verlobte von Rybinski, die dieser Heiligabend zur Verlobung von Hugo und Mathilde mitbringt und die sie einige Tage später noch einmal beim Abendessen im Restaurant Hiller treffen. Bella ist sehr hübsch und lacht gern; sie gefällt besonders Rechnungsrat Schultze, dessen Anzüglichkeiten sie offenbar ebenso wenig stören wie Rybinski. Frau Runtschen erzählt, dass Bella Ulrike nach der Feier ein sehr großzügiges Trinkgeld von einem Taler gegeben habe – aus Rybinskis Portemonnaie (vgl. 9b/57). Indem Bella, »die die ganze Kunstfrage großartig superior behandelte«, Rybinski jedes schauspielerische Talent abspricht, kommt sie unbewusst Mathilde darin zu Hilfe, Hugos Schwärmerei für das Theater einzudämmen (10a/62).

Birnbaum, Doktor

Der Arzt, der bei Hugo die Masern feststellt und in der Zeit seiner Rekonvaleszenz die Verlegung in ein anderes Zimmer empfiehlt (vgl. 7/40), die Maßnahme also, aus der sich der engere Kontakt Hugos mit Mathilde ergibt und die letztlich zur Verlobung führt. Der Arzt äußert sich Hugo gegenüber sehr positiv über die »Herzensbildung« der Möhrings und Mathildes Bildung überhaupt (7/43), ein Lob, das Hugo kurz darauf in Mathildes vernünftigen Ansichten zu einem Text von Zola, den sie ihm vorlesen soll, bestätigt findet (vgl. 7/44).

Der Name des Arztes wechselt im Manuskript von Birnbaum (7/41) zu Bolle (7/44), und auch bei dem etwas später erwähnten Doktor Stubbe (9a/54) scheint es sich um dieselbe Person zu handeln (vgl. Kommentar, S. 334).

Cousinen

Zwei namenlos bleibende, ›halb polnische und sehr hübsche‹ Cousinen von Hugo, die zur Hochzeit eingeladen werden und über die es heißt, dass »jede mal auf Hugo gerechnet hatte« (12/87). Sie sind jedoch ebenso wenig eifersüchtig auf Mathilde wie diese umgekehrt auf sie, scherzen nur, setzen sich schließlich neben Pastor Hartleben, der sie sehr graziös findet, und erzählen ihm vom katholischen Leben in Owinsk.

Gepäckträger

Ein Gepäckträger am Bahnhof Friedrichstraße, dem Mathilde, als sie aus Woldenstein zurückkehrt, ihren Koffer übergibt. Er spricht sie zunächst mit »Fräulein« an, verbessert sich aber sogleich, da er sie von früher kennt (16/114). Bei Mathildes Anblick sinniert er über den Einfluss des Geldes auf die äußere Erscheinung: »Was doch nich das liebe Geld alles thut; hat sich schmählich rausgemausert.« (Ebd.)

Goschin, Graf

Ein über siebzigjähriger, etwas ungehobelt wirkender polnischer Graf, den Mathilde in Woldenstein auf dem Silvesterball kennengelernt hat. Am Neujahrstag lädt er sie zu einer Schlittenfahrt auf dem zugefrorenen Schwanenteich und Fluss ein. Statt den kranken Hugo nach Hause zu bringen, nimmt Mathilde die Einladung an, denn der Graf »war der reichste und angesehenste Mann der ganzen Gegend« (14/104). Graf Goschin ist »encha[n]tiert« und findet Gefallen an der jungen Frau (ebd.), die er – allerdings erfolglos – mit seinem Geplauder über das freizügige und erfreulich wenig preußische Berlin zu unterhalten versucht. Der Graf ist es auch, der nach einem Blick auf den kranken Hugo der Landrätin schon am Tage der Schlittenfahrt prophezeit: »Woldenstein kann sich nach einem neuen Burgemeister umsehn.« (14/107) Auf Hugos Beerdigung schiebt er alles auf den Arzt, dann wieder erklärt er, »er hab es schon am Neujahrstage gewußt« (15/112). Nach dem Tod ihres Mannes bietet er Mathilde eine Stelle als Hausdame bei sich an, »natürlich mit Gehalt«, wie sie im Brief an die Mutter betont (15/113).

Großmann, Aurelie

Schwester von Hugo, die mit der Mutter in Owinsk lebt. Sie kommt mit der Mutter und den zwei Cousinen zur Hochzeit, außerdem richten sie und Hugos Mutter die Wohnung in Woldenstein ein. Die Figur selbst kommt nicht zu Wort, aber Hugo denkt darüber nach, wie seine Schwester wohl auf die Nachricht von seiner Verlobung reagieren wird. Er hält Aurelie zwar für »ein sehr gutes Mädchen und auch nicht eng und nicht kleinlich, aber sie hat doch so 'n sonderbares Honoratiorengefühl«, aus dem heraus sie, so Hugos Befürchtung, über seine Verbindung mit der Tochter seiner Zimmerwirtin »die Nase rümpfen« werde (10b/69). Auch vermutet er, dass Aurelie sich über Mathildes mangelnde Attraktivität wundern wird (vgl. ebd.). Die Reaktion, die Hugo von seiner Schwester erwartet, ist seinen eigenen früheren Gedanken über Möhrings mithin sehr ähnlich.

Großmann, Frau

Mutter von Hugo, die mit mit ihrer Tochter Aurelie in Owinsk lebt und mit dieser und den beiden Cousinen zur Hochzeit von Hugo und Mathilde kommt. Außerdem richtet sie gemeinsam mit Aurelie die Woldensteiner Wohnung für das Paar ein. Die Figur selbst kommt nicht zu Wort, sie scheint aber nicht besonders kultiviert zu sein, denn zu Beginn des Romans erzählt Hugo, der eben erst von einem Heimatbesuch zurückgekommen ist, seinem Freund Rybinski, dass »die ewige Klagerei« von Mutter und Schwester sowie deren mangelndes Kunstverständnis nicht gerade nach seinem Geschmack seien, und »wenn ein Tanzbär auf den Markt kommt dann ist es als ob die Wolter gastirte« (4/21).

Großmann, Hugo

Untermieter bei Möhrings und Mathildes späterer Ehemann. Zu Beginn der Romanhandlung ist er 26 Jahre alt und Jurastudent vor dem ersten Examen; bei seinem Tod ca. anderthalb Jahre später ist er Bürgermeister im preußischen Provinzstädtchen Woldenstein.

Hugo hat einen schwarzen Vollbart, der ihn älter erscheinen lässt, als er ist; er ist breitschultrig, »und überhaupt so recht das was gewöhnliche Menschen einen schönen Mann nennen« (2/9).

Sein Studium, für das er mit 26 Jahren auch schon recht alt ist, interessiert ihn nicht und das Lernen fürs Examen macht ihm große Mühe. Mathilde stellt schon am ersten Tag fest, dass seine Fachbücher »fast zu gut« eingebunden sind und so »sonntagsch« aussehen, »als ob sie nicht viel gebraucht wären«, während ein Schiller »voller Lesezeichen und Eselsohren« steckt (3/19 f.). Statt der juristischen Fachbücher, die jeden Morgen von einer dünnen Staubschicht überzogen sind, liest er Romane und Theaterstücke, die er mit Bleistiftmarkierungen und Kommentaren versieht. Besonders angetan hat es ihm Calderóns »Das Leben ein Traum« (5/28). Sein Freund Rybinski attestiert ihm, »ganz das schwärmerisch Schwabblige« zu haben, das einen guten Karl Moor abgeben würde (4/25), und Mathilde hält Hugo später in Woldenstein einmal vor: »Du bist immer wie im Traum, Hugo.« (12/92)

Von Beginn an nimmt Mathilde an Hugo seine Schwäche und den Hang zur Bequemlichkeit wahr. Die Bedenkzeit, die er sich ausbittet, bevor er das Zimmer mietet, erkennt sie als bloßes Aufschieben der Entscheidung; sie sagt der Mutter voraus, dass er das Zimmer mieten wird, weil es ihm zu lästig ist, weitere Zimmer zu besichtigen, und »weil er keinen Muck hat, weil er ein Schlappier ist« (2/12). Auch Rybinski warnt seinen Freund Hugo nicht zufällig vor »Schlapperei« und »Bequemlichkeit« (4/26).

Aus dem Gespräch mit Rybinski wird deutlich, dass Hugos verstorbener Vater auch schon Probleme mit seinem Jura-Studium hatte und auf das zweite Examen verzichtet hat, um stattdessen eine Bürgermeisterstelle in einer Provinzstadt anzunehmen (bgl. 4/23). Hugo wird denselben Weg gehen.

Wiewohl selbst aus eher bescheidenen Verhältnissen, ist Hugo nicht frei von Dünkel. So stört ihn an seiner Mutter und seiner Schwester die mangelnde kulturelle Bildung; ebenso ist es ihm unangenehm, mit Möhrings zusammen ins Theater zu gehen. Rybinskis spöttische Bemerkung, er wolle sich bei Mathilde einschmeicheln, kontert er mit den Worten: »So weit sind wir doch noch nicht 'runter.« (4/27) Die alte und etwas ungepflegte Runtschen ist ihm vollends zuwider, was Mathilde jedoch als Ablehnung des Niederen und damit als gutes Zeichen wertet.

Zu seiner Bequemlichkeit und Entscheidungsschwäche gesellt sich eine labile Konstitution, er kränkelt leicht und erholt sich nur langsam. Nach nicht einmal einem Jahr Ehe mit Mathilde stirbt er. Zunächst liefert jedoch seine Masern-Erkrankung den Grund für seine vorübergehende Umquartierung in die Möhringsche Stube, wo Mathilde sich wochenlang um ihn kümmert und ihm vorliest. Am Ende seiner Rekonvaleszenz steht »es bei Hugo fest, daß Thilde die Frau sei, die für ihn passe« (8/45). Denn Hugo hält sich zwar für »einen aesthetisch fühlenden und mit einer latenten Dichterkraft ausgerüsteten Menschen«, ist aber doch auch bescheiden und hat »kein rechtes Vertrauen zu seinem Wissen und Können« (ebd.). Nach wochenlanger Pflege durch Mathilde ist er sich sicher, dass sie genau das hat, was ihm fehlt, und macht ihr den Heiratsantrag. Auch Mathilde ist später davon überzeugt, aus Hugo das gemacht zu haben, was er geworden ist und was er werden konnte – Jurist mit erstem Examen und schließlich Bürgermeister. Sie hält ihn zum Lernen für das Examen an, und auch in Woldenstein ist sie es, die seine Schritte leitet und dafür sorgt, dass er sich einen guten Namen macht und allseits beliebt wird.

Hugo würde sich zwar manchmal eine etwas lebensfreudigere und leidenschaftlichere Frau wünschen, auch merkt er schnell, dass sie den Ton angibt, und spürt das »Unheldische« seiner Situation, andererseits ist er aber froh, jemanden zu haben, der ihn leitet, da es ihm selbst an der nötigen Willenskraft fehlt (11a/74). Auf dem Sterbebett sind seine früheren Bedenken geschwunden, er sieht in Mathilde nun »nichts als die rührige, kräftige Natur, die sein Leben bestimmt und das Bischen was er war durch ihre Kraft und Umsicht aus ihm gemacht hatte« (15/111 f.). Sie wird später darüber sinnieren, ob er vielleicht »lieber nicht hätte heirathen sollen. Er sah so stark aus mit seinem Vollbart, aber er war nur schwach auf der Brust und ich bin ganz sicher, es hat ihm geschadet« (17/123).

Nach Hugos Tod behält Mathilde gegen den Willen ihrer Mutter seinen Namen mit der Begründung, sie sei stolz auf ihren Status als Frau und Witwe. Und doch wird im Hause Möhring von Hugo »selten gesprochen, seine Photographie hängt aber mit einer schwarzen Schleife über der Chaise longue, und 2 mal im Jahre kriegt er nach Woldenstein hin einen Kranz« (17/125).

Hartleben, Pastor

Pastor Hartleben ist der Geistliche, der Mathilde und Hugo traut und auch an dem anschließenden »kleinen Festmahle« teilnimmt (12/87). Dort hält er »eine gefühlvoll humoristische Rede, die besser war als die Traurede in der Kirche«, und überlässt sich ansonsten amüsiert der Unterhaltung mit den zwei hübschen Cousinen von Hugo, die sich unter anderem über die Geistlichen in Owinsk verbreiten (ebd.). Im Anschluss sinniert er darüber, dass in Bescheidenheit und »leichtsinnigem Gottvertraun« doch eigentlich »Besseres als in der Sicherheit und dem Anspruch derer [steckt], die sicher sind, für ihren Gott was gethan zu haben« (12/88).

Hausmädchen

Das Hausmädchen der Schultzes, das vom Hausherrn selbst ausgewählt worden ist, hält sich gerade im Treppenhaus auf, als Hugo am Neujahrstag von seinem Spaziergang zurückkommt. Sie trägt ein ›kokettes Häubchen‹ und eine »Tändelschürze« und verunsichert Hugo, indem sie ihn zwar »sehr artig, aber mit einem Gefühl von Ueberlegenheit über ihn oder eigentlich über Thilde« grüßt (10b/70 f.).

Isenthal, Herr

Mitinhaber der jüdischen Firma ›Silberstein und Isenthal‹ in Woldenstein, die nach Hugos Antrittsrede ein Ständchen für ihn anregt und organisiert. Die Konservativen nehmen nicht daran teil, da Silberstein und Isenthal Anhänger der Fortschrittspartei sind (vgl. 12/90). Isenthal widerspricht gern – nicht zuletzt seinem Partner, als dieser Hugo lobt. Wie die anderen Woldensteiner Bürger respektiert jedoch auch er Mathilde sehr und sagt sogar »huldigend: ›sie hat was von unsre Leut‹« (vgl. 14/100).

Zu den Namen Silberstein und Isenthal und zur Fortschrittspartei vgl. Kommentar, S. 368-370.

Kegelspieler

Ein Mann, der, wie rückwendend erzählt wird, an Mathildes 17. Geburtstag in Halensee mit anderen gekegelt und den Mathilde »ganz deutlich« sagen gehört hat, dass sie »ein Gemmengesicht« habe (1/7). Für Mathilde war das ›ein unvergeßlicher Vorgang‹, und sie denkt an diese Bemerkung zurück, wenn ihr Zweifel an ihrem Charme kommen (vgl. ebd.).

Krieghoff

Portier im Hause Schultzes. Möhrings treffen ihn, als sie aus dem Theater zurückkommen, und werden von ihm gleich auf das besuchte Theaterstück angesprochen, von dem ihm seine Tochter Ida erzählt hat. Er ist gerade dabei, das Gas zu löschen, leuchtet ihnen jedoch »in einem Anfall von Wohlwollen« noch ein Stück die Treppe hinauf (5/34).

Lämmel, Pastor

Der Geistliche, der bei Hugos Beerdigung die Trauerrede hält, wie Mathilde in ihrem Brief an die Mutter berichtet. Sie erwähnt auch, dass »selbst Pastor Lämmel zufrieden war« mit Silbersteins Worten an Hugos Grab und ihm die Hand gegeben habe, was offenbar einem Juden gegenüber nicht selbstverständlich ist (15/113).

Lehrer

Der katholische Lehrer in Woldenstein gehört unter den angesehenen Bürgern offenbar zu denen, die zunächst nicht von Hugos Qualitäten überzeugt sind – wahrscheinlich hat er konfessionell begründete Vorbehalte. Aber »[a]uch der katholische Lehrer war gewonnen, nachdem auf Thildens Anregung eine Gehaltszulage beantragt und bewilligt war« (14/99).

Möhring, Adele (geb. Printz)

Mutter von Mathilde, Witwe. Sie wohnt mit Mathilde in Berlin in der Georgenstraße 19 in einer 3-Zimmerwohnung, von der sie seit dem Tod ihres Mannes ein Zimmer untervermietet. Adele Möhring ist eine einfache Frau, die ihrem Vermieter Schultze zufolge »höchstens eine Müllertochter sein« kann (1/7). Sie ist sparsam und lebt in der beständigen Sorge, in finanzielle Not zu geraten, daher ist eine ihrer Lieblingswendungen »wo soll das herkommen« (3/20). Frau Möhring hat nicht oder doch nur kurz die Schule besucht, denn ihr Vater »wollte von Schule nichts wissen« (3/15). Ihre mangelnde Bildung äußert sich u. a. darin, dass sie Fremdwörter nicht versteht, nach dem Theaterbesuch die Handlung des Stücks wie ein Geschehen aus der Wirklichkeit behandelt und Schultze, der zwar reich, aber kein Akademiker ist, für den höchsten Gast der Verlobungsfeier hält. Die Chaiselongue, die Mathilde für ihre rheumageplagte Mutter angeschafft hat, benutzt sie fast nie, um das gute Möbelstück zu schonen. Mathilde hält ihr vor, »überhaupt so was Kleines und Aengstliches« zu haben, und fordert sie auf, »sich nicht zu klein [zu] machen« (10a/65). Für Frau Möhring ist umgekehrt Mathildes Entscheidung, die alte Runtschen, die Hugo nicht sehen mag, in die Küche zu verbannen und statt ihrer Ulrike bedienen zu lassen, eine Form, sich größer machen zu wollen, als man ist; sie sieht darin einen unangebrachten Hochmut und hat Mitleid mit Frau Runtschen. Mathilde ist die Kleinbürgerlichkeit ihrer Mutter oft ein wenig unangenehm. Sie macht ihr Vorwürfe: »Sieh, Du schadest uns. Ich habe Dir neulich gesagt, wir seien keine ›kleinen Leute‹, die Runtschen sei kleine Leut‘, und das ist auch richtig, aber wenn Du immer gleich so weimerst, dann sind wir auch ›kleine Leute‹.«(10b/68) Deshalb möchte Mathilde die Mutter auch nicht zu Weihnachten nach Woldenstein einladen; zu groß ihre Sorge, Frau Möhring könnte sich (und damit auch Mathilde und Hugo) in der Gesellschaft blamieren: »Nein, dazu ist mir Mutter zu schade, daß sie sie hier auslachen. Und dann Hugo auch unsretwegen.« (14/101)

Den Haushalt betreffende Entscheidungen (wie die Wiedereinstellung der Runtschen) überlässt Frau Möhring weitgehend ihrer pragmatischen Tochter. Auch als Hugo das Zimmer besichtigt, übernimmt Mathilde, die etwas später hinzukommt, »wie selbstverständlich das Wort« (2/11). Nach der Lektüre des Briefes, in dem Frau Möhring sich für die Weihnachtsgeschenke bedankt, nennt Mathilde sie eine »weimrige, alte Frau«, aber sie sieht auch »das Gute, daß sie mir immer freie Hand gelassen hat« (15/110). Für Rybinski ist Frau Möhring »doch noch sehr Mutter aus dem Volk«, und Hugo, dem es gesagt wird, widerspricht dieser Einschätzung nicht (5/29). In der Woche nach der Verlobung, in der Hugo und Mathilde täglich ausgehen, würde Hugo denn auch lieber ohne Frau Möhring gehen, aber zur Weihnachtspantomime kommt sie nach anfänglicher Unschlüssigkeit mit, als sie hört, dass ›Schneewittchen‹ gegeben wird (10a/61). Beim Droschkenausflug am nächsten Tag war es »rührend die alte Frau zu sehn; am meisten freute sie sich über die vielen Flaggen und Fahnen, aber blos über die großen. Von den vielen kleinen meinte sie, sie sähen aus wie Taschentücher auf der Leine« (ebd.).

In Unkenntnis von Hugos Krankheit sieht Frau Möhring in ihrem Brief an die Tochter seinen Tod voraus und verursacht Mathilde damit ein ungutes Gefühl (vgl. 15/109 f.). Nach Hugos Tod wünscht sie sich, dass Mathilde wieder heiratet, und versucht, von der Tochter intime Details aus ihrem Eheleben zu erfahren, was Mathilde sehr unpassend findet (vgl. 17/119 und 123). Frau Möhring bedauert auch, dass Mathilde das Angebot des Grafen, bei ihr als Hausdame zu arbeiten, nicht angenommen hat, ganz offensichtlich mit dem Hintergedanken, dass auch mehr daraus hätte werden können – ein Gedanke, den sie aber verwirft, als sie hört, dass der Graf katholisch ist (vgl. 17/121). Für Frau Möhring bleibt es am Ende weitgehend beim Alten: Sie wohnt mit Mathilde in der Georgenstraße, nur dass sie jetzt nicht mehr untervermieten müssen, weil Mathilde als Lehrerin genug Geld verdient, um beide zu ernähren.

Möhring, Herr

Der mit Mitte 40 verstorbene Ehemann von Adele Möhring war Buchhalter in einem Kleider-Exportgeschäft. Bei seinem Tod hatte Vermieter Schultze »Kündigungsgedanken« (1/6), denn durch diesen Tod gerieten Witwe und Tochter in finanzielle Schwierigkeiten und mussten untervermieten, um über die Runden zu kommen. Möhring starb an einem Palmsamstag, genau einen Tag vor Mathildes Konfirmation (vgl. 1/5). Die letzten Worte, die er an seine Tochter gerichtet hat, werden im Roman mehrfach wieder aufgegriffen: »Mathilde halte Dich propper.« (1/6)

Möhring, Mathilde (Thilde)

Tochter von Frau Möhring, später Ehefrau und dann Witwe von Hugo Großmann. Zu Beginn der Romanhandlung ist sie 23 Jahre alt und wohnt mit der Mutter in der Georgenstraße 19 in Berlin. Mathilde hat ein »Gemmengesicht«, also ein ›edles Profil‹; auch ist sie »sauber, gut gekleidet und von energischem Ausdruck«, aber sie ist hager, hat ›spärlich angeklebtes aschgraues Haar‹, dünne Lippen, »einen grisen Teint« und wasserblaue Augen mit einem »ganz prosaischen« Glanz, kurz: sie ist ohne »jeden sinnlichen Zauber« (1/7 f.). Schultze sieht in ihr zwar – im Vergleich mit seiner Frau – »ein appetitliches Mädchen« (1/7), aber sie ist »trotzdem nicht recht zum Anbeißen, was doch das eigentlich Appetitliche ist« (ebd.). Mathilde hat »scharfe Augen und viel Menschenkenntniß« (1/6), was ihr hilft, geeignete Untermieter zu wählen; außerdem hat sie eine gute Schule besucht und immer gute Zeugnisse gehabt, sie ist deshalb vergleichsweise gebildet. Entsprechend hat sie auch kein Misstrauen »in ihre Klugheit und Vortrefflichkeit«, wohl aber in ihr Äußeres (1/7). Dieses wenig anziehende Äußere ist auch der Grund dafür, dass die Nachbarschaft so verwundert auf ihre Verlobung mit Hugo reagiert: »Zu begreifen war es nicht, darin waren alle einig. Solch feiner Herr und ein Studirter, und nu diese Thilde mit ihrem geelen Teint«, die früher »auch noch Pickel« hatte (9b/55). Als Mathilde aber nach Hugos Tod als junge Witwe nach Berlin zurückkommt, erkennt sie ein Gepäckträger am Bahnhof und denkt bei ihrem Anblick: »Was doch nich das liebe Geld alles thut; hat sich schmählich rausgemausert.« (16/114)

Mathilde ist es, die den Alltag der Möhrings organisiert und bestimmt; ihre Mutter lässt der Tochter ihren Willen, denn, wie sie sagt, »ändern kann ich Dich doch nicht, Du hast immer deinen Willen gehabt von klein an, und Vater hat immer gesagt: ›laß man; die wird gut, die frißt sich durch‹« (2/12). Tatsächlich ist Mathilde sehr berechnend und nutzt ihre gute Menschenkenntnis, um andere zu manipulieren. Hugos Masernerkrankung, die seinen Umzug in die Möhringsche Stube, die wochenlange Pflege und am Ende die Verlobung zur Folge hat, betrachtet sie von Anfang an als »eine sehr gute Fügung« (7/40), denn sie rechnet damit, den schwachen Hugo in ein paar Wochen für sich gewinnen zu können. Das gelingt ihr auch, obwohl sie für den Bürgermeistersohn Hugo zunächst gesellschaftlich zu weit unter seinem Niveau und eigentlich auch »einfach eine komische Figur« ist, wie er seinem Freund Rybinski sagt (4/27). Doch Mathilde hat bei Hugo leichtes Spiel. Von seiner Krankheit noch geschwächt und für jede Unterhaltung dankbar, setzt sie ihre Bildung und Redegewandtheit erfolgreich ein, und schon nach kurzer Zeit sieht Hugo sie ganz anders, jetzt ist Mathilde für ihn »klug und tapfer, […] ein echtes deutsches Mädchen, charaktervoll, ein Wesen, das jeden glücklich machen muß, und von einer großen Innerlichkeit, geistig und moralisch. Ein Juwel.« (7/45) Nach der Verlobung stellt er fest: »Merkwürdiges Mädchen […] so gut und so tüchtig; aber küssen is nicht ihre Force.« (11b/82)

Ebenso wie die Verlobung plant Mathilde auch Hugos Karriere, von der ihr eigener gesellschaftlicher Status abhängt. Sie sorgt zunächst dafür, dass er für sein Examen lernt, gönnt ihm zwischendurch Ruhepausen, in denen über ganz anderes gesprochen wird, da sie erkennt, dass er es ansonsten nicht schaffen würde. Nach bestandenem Examen liest sie täglich die Stellenangebote in Tageszeitungen, bis sie die Bürgermeisterstelle im Woldenstein findet, die Hugo schließlich auch bekommt und dank ihrer Ratschläge in seiner kurzen Amtszeit sehr erfolgreich ausfüllt. Mathilde versteht es, den entscheidenden Personen zu schmeicheln, um sie sich gewogen zu machen, so z.B. dem Landrat. Der hält sie denn auch für »[k]olossal beschlagen«, sieht bei ihr »Muck, Race, Schick« und vermutet, Mathilde müsse eine – womöglich verheimlichte – vornehme Abstammung haben (14/102).

Innerhalb kürzester Zeit gilt Mathilde den Einwohnern Woldensteins als »sehr klug«, als eine Frau, »die immer wisse, was in der Welt los sei« (14/100). Mathilde freut sich zwar darüber, bleibt aber »nüchtern und überlegend« (ebd.) und schließt keine Freundschaften – wie sie auch in Berlin keine Freunde hat, denn in der Frage, wer zur Verlobungsfeier einzuladen sei, muss sie einsehen, »daß aus dem Kreise eigner Bekanntschaft niemand so recht zu wählen sei« (8/50). Über die Angewohnheit ihrer Mutter, Kontakt zu früheren Nachbarn zu halten, äußert sie sich Hugo gegenüber verächtlich: »Mutter hat so alte Sätze: ›Man soll alte gute Freunde nicht aufgeben‹ als ob es alte Freunde wären. Aber es sind keine, blos alt sind sie, das is richtig«(10b/71). Mathilde beurteilt ihre Mitmenschen danach, ob sie ihr nützlich oder schädlich sein können; Sympathie spielt keine große Rolle. Rybinskis Freundin Bella zum Beispiel gefällt ihr eigentlich sehr gut, und doch ist sie davon überzeugt, dass Rybinski und seine Braut »über kurz oder lang beseitigt werden« müssen, denn sie drohen Hugo vom Studieren abzuhalten (9b/58). Umgekehrt nimmt sie die Einladung Graf Goschins zur Schlittenfahrt an, weil er reich und angesehen ist, ungeachtet der Tatsache, dass Hugo bereits stark fiebert und nach Hause gebracht werden müsste (vgl. 14/103 f.). Auch Mathildes Verhältnis zu ihrer Mutter ist nicht besonders innig. Zwar bemüht sie sich, der Mutter kleine Freuden zu bereiten, aber oft genug schämt sie sich auch für sie und ihre Kleinbürgerlichkeit.

An Hugo, den sie ursprünglich nur aus Berechnung geheiratet hatte, scheint sie nach einer Weile erfolgreichen Zusammenlebens doch Gefallen zu finden und möchte jetzt auch selbst »einen gewissen Frauenreiz ausüben« (14/100). Die rosa Ampel, die sie von Frau Schmädicke zur Hochzeit bekommen hat und die ihr zunächst eher unangenehm war, weshalb sie sie im Flur platzierte, holt sie nun doch in das eheliche Schlafzimmer und bedauert sogar, dass ihr Glas nicht rot ist, denn: »Man kriegt dann so rothe Backen.« (Ebd.)

Vielleicht im Gedenken an diese kurze schöne Zeit lehnt Mathilde später Frau Möhrings Vorschlag, ihren Mädchennamen wieder anzunehmen, entschieden ab, denn das wäre für sie »wie eine Defraudation, wie eine Unterschlagung, wie Lug und Trug« (17/123). Sie habe ihren »Stolz als Frau und Witwe«, es erschiene ihr undankbar Hugo gegenüber, und dass sie »kein Pfand seiner Liebe unterm Herzen trage« (ebd.), sei, so Mathilde, »blos ein Zufall« (17/124).

Als Hugo schwer erkrankt, macht Mathilde sich Sorgen, denn sie »möchte ihn nicht gern verlieren« (15/110). Freilich ist der Gedanke begleitet von dem an die gesellschaftliche Stellung, die sie mit Hugos Hilfe erreicht hat, und schon im nächsten Moment denkt sie, auf den öden Woldensteiner Platz hinaussehend, darüber nach, »ob es nicht hübscher war, wenn ich nach der Stadtbahn rüber sah« (ebd.), sie beginnt also bereits, dem möglichen Tod ihres Mannes etwas Positives abzugewinnen.

Doch als sie nach Hugos Tod wieder nach Berlin zu ihrer Mutter kommt, die sich mehr als für seinen Tod dafür zu interessieren scheint, was Hugos ärztliche Versorgung während seiner Krankheit gekostet hat, kommen Mathilde doch Zweifel an ihrem berechnenden Wesen: »So nüchtern sie selber war, das war ihr doch zuviel.« (16/117). Erstmals sieht sie in Hugos Persönlichkeit nicht mehr nur seine Schwäche; ihr früheres Überlegenheitsgefühl erscheint ihr nun falsch: »[V]on Natur bin ich grade so wie Mutter sie berechnet immer was es kostet […] und ich rechne mir den Vortheil aus.« (16/118) Sie stellt fest, dass Hugo doch einen größeren Einfluss auf sie hatte, als ihr bewusst war, und nimmt sich vor, künftig ein wenig mehr nach seinem Vorbild zu handeln.

Anders als Hugo lernt sie aber fleißig für ihre Prüfung als Lehrerin, besteht diese glänzend und geht »ganz in ihrem neuen Beruf auf und das thut sie noch« (17/124).

Eine Notiz Fontanes lässt darauf schließen, dass Mathilde ihr Bekenntnis zu Hugo Großmann und ihrem Witwenstand (vgl. 17/123) zuletzt, kurz vor ihrem Examen, doch widerrufen und ihren Mädchennamen wieder annehmen sollte (vgl. Kommentar S. 150 und 287).

Neuschmidt, Pastor

Der Pastor, der Mathilde konfirmier hat. Ihm werden Herrn Möhrings Worte »Mathilde halte Dich propper« zugetragen, ein Satz, den er moralisch deutet (1/6). Außerdem hat er den Tod des alten Möhring am Palmsamstag, einen Tag vor Mathildes Konfirmation, mit einer Bemerkung kommentiert, »die bei Mutter und Tochter noch fortlebte«, die der Leser aber nicht erfährt (1/5).

Petermann, Frau Leutnant

Eine Witwe, die in der Nachbarschaft der Möhrings lebt. Ihr Mann ist »schon 1849 im badischen Aufstand«, gefallen (8/50). Frau Petermann erzählt Frau Runtschen äußerst detailfreudig, wie sie am Weihnachtsabend gerade die alten Briefe ihres Mannes noch einmal lesen wollte, »d. h. blos die ersten, […] wo er noch wie rapplig war« (9b/56), als sie sich an einem Stück Lebkuchen einen halben Zahn abbrach und den restlichen Abend mit schlimmen Zahnschmerzen verbrachte. Den Rest des fraglichen Lebkuchens schenkt sie anschließend Frau Runtschen mit dem Ratschlag »aber sehen Sie sich vor damit« (9b/58). Mathilde zieht Frau Petermann kurz als Gast für ihre Verlobungsfeier in Betracht, lässt den Plan jedoch gleich wieder fallen, denn »die Petermann war wohl arm genug, aber sie hatte so was Schnippisches und sprach so gebildet, weil sie früher Schneiderin gewesen war, was nun keiner merken sollte« (8/50). Mathilde ist davon überzeugt, dass sie ihr Hugo nicht gönnt, sie hält sie und die Rechnungsrätin Schultze für »neidische alte Weiber« (10b/72), Frau Petermann sogar für einen »alte[n] Giftzahn« (17/121). Die alte Runtschen, die außer bei Möhrings auch bei Frau Petermann arbeitet, wird gründlich über Mathildes Verlobungsfeier ausgefragt. Frau Runtschens Worte, der Bräutigam habe nicht ganz zufrieden ausgesehen, kommentiert Frau Petermann dabei mit den Worten: »Kann ich mir denken.« (9b/57)

Provisor

Apotheker in Woldensteins Löwenapotheke, die wie die Wohnung von Hugo und Mathilde am Marktplatz liegt. Während Hugos erster Erkrankung in Woldenstein sieht Mathilde den Provisor, der für Hugos Medikament zuständig ist, zunächst vor der Apotheke stehen und gähnen und später sich wohlgefällig im Spiegel betrachten (vgl. 15/108 u. 110). Bei Hugos Beerdigung will der Provisor, »der sich zufällig einen neuen Frühjahrsüberzieher hatte machen lassen, […] nicht fehlen« (15/112).

Runtschen, Frau

Zugehfrau der Möhrings, die sie nach einer der notwendigen Sparsamkeit geschuldeten Unterbrechung wieder in Dienst nehmen, als Hugo bei ihnen eingezogen ist. Frau Runtschen putzt außerdem auch bei Frau Petermann und einer Familie Kulicke. Sie ist die Mutter von Ulrike und wird fast immer nur als ›die Runtschen‹ oder ›die alte Runtschen‹ bezeichnet. Sie ist sehr arm, nimmt von Frau Petermann und Frau Möhring ungeniert Lebensmittelgeschenke an und neidet ihrer eigenen Tochter spontan das bei Mathildes Verlobungsfeier erhaltene Trinkgeld, obwohl diese es mit ihr teilt; doch Frau Runtschen »konnte mit einer Hälfte nicht zufrieden sein, die eben die Hälfte und nicht das Ganze war« (9a/53). Am nächsten Tag sagt sie sich aber, »daß Ulrike sehr anständig gehandelt« hat, denn sie »hätte ja gar nichts geben oder wenigstens mogeln können« (9b/54). Unkommentiert bleibt Ulrikes Bemerkung, dass zumindest Schultzes Trinkgeld anders ausgefallen wäre, wenn statt ihrer die Mutter bedient hätte.

Tatsächlich sieht man Frau Runtschen ihre Armut ein wenig an: Sie ist auf einem Auge blind und hat deshalb eine schwarze Augenklappe, zu deren regelmäßigen Wechsel Mathilde sie auffordern muss; außerdem trägt sie einen schwarzen »Kiepenhut, mit dem sie wie verwachsen« ist, und bei schlechtem Wetter »Mannsstiefel« (8/49 f.). Sie ist insgesamt eine etwas ungepflegte Erscheinung, die Mathilde vor Hugo peinlich ist. Ihm graust es vor Frau Runtschen sogar so sehr, dass er rundheraus erklärt, sie nicht sehen zu wollen (vgl. 10a/63). Zu Silvester wird daher – wie schon zur Verlobungsfeier – Ulrike engagiert, während ihre Mutter nur in der Küche beim Bleischmelzen helfen darf. Diese offensichtliche Zurücksetzung der Alten führt zu einem Streitgespräch zwischen Mathilde und ihrer Mutter, die Hugos Haltung für unangebrachten Hochmut hält. Frau Möhring will gesehen haben, wie Frau Runtschen »die Hand zitterte, weil sie recht gut gemerkt hat, daß wir sie hier vorne nich mehr sehn wollen« (10a/65). Für Mathilde ist Hugos strikte Ablehnung der alten Runtschen dagegen ein gutes Zeichen, sie sieht darin die Ablehnung nicht nur des Hässlichen, sondern auch des Schlechten und Falschen: »Daß er so gegen die Runtschen is, das ist mein Hoffnungsanker.« (10a/67) Nach Hugos Tod versichert Mathilde ihrer Mutter in einem Brief, weiter für sie zu sorgen, sodass diese »nicht wie die alte Runtschen reinmachen und einholen« werde (15/113).

Rybinski, Hans von

Ein Studienkollege von Hugo Großmann mit größerer Liebe zum Theater und zu hübschen Frauen als zur Rechtswissenschaft. Seine Freundin Bella spricht ihm allerdings jedes schauspielerische Talent ab. Bei seinem ersten Auftreten im Roman erzählt er Hugo von seinem bevorstehenden Schauspiel-Debüt als Kosinsky in Schillers ›Räubern‹. Das Repetitorium zur Vorbereitung des ersten Examens sei ihm zu langweilig geworden (vgl. 4/25). In dem Wissen, dass seine Familie die Schauspielerei ablehnen wird, erklärt er Hugos verstorbenen Vater zu seinem Vorbild, weil der sich seinerzeit, Rybinskis Ansicht nach, gegen den Willen seiner Familie dafür entschieden hat, die Juristerei aufzugeben und sich mit dem Bürgermeisterposten in Owinsk zu begnügen: »Ich bin für die, die abspringen. « (4/23) Auf Hugos Einwand, dass sein Vater aber doch zuvor das erste Examen gemacht habe, geht Rybinski nicht ein. Er prophezeit Hugo, dieser werde auch noch auf den Geschmack kommen und sich ebenfalls vom Jura-Studium ab- und der Schauspielerei zuwenden – sofern er sich nicht vorher auf einen »Liebes-Unsinn« einlasse (4/26). Rybinski ist es, der die Verbindung Hugos mit Mathilde spöttisch voraussagt.

Mathilde sieht den schlechten Einfluss Rybinskis auf Hugo und in ihm daher »eine Gefahr, noch dazu eine complicirte«, die sie früher oder später beseitigen muss (9b/58 f.). Gleichzeitig erkennt sie, dass sie Rybinski zumindest vorübergehend als »Zuckerbrot« für Hugo braucht, um ihm die Erholungspausen während des Lernens fürs Examen so angenehm wie möglich zu machen (9b/59).

Rybinski hat offenbar einen Hang zu wechselnden Liebschaften. Zur Verlobungsfeier im Hause Möhring erscheint er mit Bella und behauptet, seit der Premiere der ›Räuber‹ mit ihr verlobt zu sein. Er spricht von ihr als seiner »Braut«, relativiert Hugo gegenüber diese Verlobung aber gleichzeitig als etwas, das sich auch wieder ändern könne (vgl. 8/51). Bei der Hochzeit von Hugo und Mathilde erscheint er mit einer anderen Freundin und behauptet, diesmal sei es etwas Ernsthaftes (vgl. 12/88); und als er schließlich seine Vermählung bekannt gibt, handelt es sich wieder um eine andere Dame (vgl. 15/108).

Schmädicke, Frau (Frau Schmaedicke)

Eine verwitwete ehemalige Nachbarin der Möhrings aus der Zeit, bevor diese in der Georgenstraße wohnten. Während Frau Möhring einen – wenngleich losen – Kontakt zu Frau Schmädicke hält, mag Mathilde sie nicht; sie hält sie für »sehr langweilig und sehr ungebildet« (10b/71), nennt sie eine »spitznasige Posamentierswittwe« und »verflossene Gimpen-Madamm« und unterstellt ihr Neugier und Boshaftigkeit (11b/84 f.), wobei der Grund für diese starke Abneigung unklar bleibt. Zur Hochzeit, zu der Frau Schmädicke trotzdem eingeladen ist, schenkt sie Mathilde eine »rosafarbne Ampel an drei Ketten«, ein Geschenk, das sie der verärgerten Frau Möhring gegenüber mit dem Trauma ihrer eigenen Hochzeitsnacht begründet: »Ich kann wohl sagen, es war ein furchtbarer Augenblick und hat so was wie wenn ein Verbrecher schleicht. […] Und seitdem, wenn eine Hochzeit is, schenke ich so was. Zu viel Licht is auch nicht gut, aber so gedämpft, da geht es.« (12/88) Mathilde hängt Frau Schmädickes Lampe in Woldenstein zunächst statt im Schlafzimmer, wo Hugo sie gern gesehen hätte, im Flur auf, führt sie aber einige Monate später schließlich doch ihrer ursprünglichen Bestimmung zu, wobei sie lediglich bedauert, dass die Lampe rosa und nicht rubinrot ist. »Man kriegt dann so rothe Backen. Die gute Schmaedicke! Was wohl Mutter sagen würde.« (14/100)

Auch Effi Briest wünscht sich vor ihrer Hochzeit »eine Ampel für unser Schlafzimmer, mit rotem Schein«, ein Wunsch, der ihre Mutter befremdet (GBA Bd. 15, 4/32).

Schmuckern, Landrat von

Landrat von Schmuckern, konservativ, aber verheiratet mit einer ehemaligen Tänzerin, gehört in Woldenstein zu den Leuten, die anfänglich nicht viel von Hugo halten und erst gewonnen werden müssen. Seine Ablehnung beruht unter anderem darauf, dass er von Hugos Initiative »sein eignes Licht in den Schatten« gestellt sieht (13/95). Hugo macht seine Ablehnung nervös, aber Mathilde versichert ihm, man werde den Landrat innerhalb weniger Wochen für sich einnehmen können, denn: »Er ist ein sehr guter Herr und eigentlich liebenswürdig von Natur und das müßte nicht mit rechten Dingen zugehn, wenn der nicht zu bekehren wäre. Wer eine Tänzerin heirathet hat immer ein weiches Herz.« (13/96) Mathildes Zeitungsartikel, in dem er als Landrat wortreich gelobt wird, schmeichelt ihm sehr und führt zu einer Kehrtwende in seinem Verhalten. Obwohl er Hugo für den Verfasser des Artikels hält, gilt sein Respekt schon bald vor allem Mathilde. Dass sie ihn durch die Wahl der Gesprächsthemen manipuliert, bemerkt er nicht. Im Gegenteil: »Kolossal beschlagen« findet er sie und vermutet in angetrunkenem Zustand Hugo gegenüber, sie müsse doch eine vornehme Abstammung haben (14/102).

Der Landrat hat im Manuskript wechselnde Namen: »v. Schmuckern«, »v. Dunajewski« und »v. Z[schuck]« (13/97 und 14/105); vgl. auch den Kommentar, 370.

Schmuckern, Landrätin von

Ehefrau des Landrats von Schmuckern in Woldenstein, eine ehemalige Tänzerin, die »sich die Festigung des christlich Germanischen zur Lebensaufgabe gestellt hatte« und Hugo wegen seiner Initiative für alle drei Konfessionen anfänglich schneidet (13/95). Nach Mathildes positivem Zeitungsartikel über den Landrat und seine Frau ist sie jedoch gewonnen; sie eröffnet und beschließt den Silvesterball mit Hugo, der sie danach zum Schlitten geleitet. Hugos dünne Festkleidung und der kalte Südostwind führen noch am selben Abend zu einem ersten Fieberanfall bei Hugo. Auch am weiteren Verlauf von Hugos Krankheit ist die Landrätin indirekt beteiligt; denn mit ihr will Hugo am Neujahrstag unbedingt Schlittschuhlaufen und ihr sein Können beweisen. Sie selbst klagt sich später an: »eigentlich sei sie Schuld, er habe sich's bei Ostwind auf dem Eise geholt« (15/111).

Die Landrätin erscheint im Text gewöhnlich als die »Landräthin«, nur an einer Stelle wird sie mit einem der im Manuskript wechselnden Nachnamen ihres Mannes als »Frau v. Zschuck« angesprochen (14/105).

Schultze, Emma

Frau von Rechnungsrat Schultze. Sie scheint zänkisch zu sein, ist korpulent und offenbar nicht besonders attraktiv, denn »im Vergleich mit dem, was ihm an Weiblichkeit am nächsten stand«, hält ihr Mann Mathilde für »ein appetitliches Mädchen« (1/7). Frau Schultze beobachtet Mathilde, als diese nach Hugos Tod nach Berlin zurückkommt, und kritisiert deren modische Aufmachung. Ihr Mann widerspricht: »Ach, du hast immer was zu reden, Luise. Wenn sie mit einer langen Trauerfahne ankäme, dann wär es auch nicht recht.«(16/115)

Der Vorname wechselt im Manuskript von Emma (1/6) zu Luise (16/115).

Schultze, Rechnungsrat

Vermieter der Möhrings in der Georgenstraße 19, der mit seiner Frau in der Beletage desselben Hauses wohnt. Schultze ist wohlhabend, er besitzt fünf Häuser, denn er hat »in der Gründerzeit mit 300 Thaler spekulirt und in zwei Jahren ein Vermögen erworben« (1/5).

Dass Möhrings nach dem frühen Tod von Mathildes Vater untervermieten müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, missfällt Schultze zunächst, weil er Studenten mit ausschweifendem Lebenswandel erwartet, aber dann sieht er, dass Mathilde die Untermieter sehr gut auszuwählen versteht. Das und die angenehmen Umgangsformen von Mutter und Tochter begründen eine gewisse Hochachtung vor den Möhrings, eine Hochachtung in Maßen freilich, denn Schultze und seine Frau haben »neben dem Geld und Rechnungsrath-Hochmuth natürlich auch noch den Wirthshochmuth« (I/6). Dennoch: In Anbetracht ihrer bescheidenen Verhältnisse findet Schultze die Möhrings erstaunlich »gebildet« (I/7). Für Mathilde hingegen passt Schultze gerade wegen seiner mangelnden Bildung nicht in die Gesellschaft ihrer Verlobungsfeier, auf der er »in einer gewissen Pascha Laune sein Volk beglückend« erscheint  (9a/51). Dass er die auf der Feier angebotenen Speisen und Getränke weitgehend verschmäht, hält Mathilde für »nicht fein« und »blos Thuerei« (9a/54). In den Augen von Frau Petermann dagegen hat er sich schon durch den bloßen Besuch einer Feier bei seinen Mietern diskreditiert, was sie aber nicht weiter wundert, denn anders als seine Frau, die auf sich halte, nehme er es »nicht so genau« (9b/56). Tatsächlich flirtet Schultze auf der Feier sehr ungeniert mit Rybinskis Freundin Bella.

Die Schreibung des Namens wechselt im Manuskript von anfänglich »Schultze« zu »Schulze«.

Silberstein

Mitinhaber der jüdischen Firma Silberstein und Isenthal in Woldenstein, ein Anhänger der Fortschrittspartei (vgl. 12/90), Vater von Rebecca. Weil Hugo seine stark patriotische Antrittsrede im Rathaus mit einem Bekenntnis zur Verfassung beendet, lassen Silberstein und Isenthal dem neuen Bürgermeister am Abend ein Ständchen bringen (vgl. ebd.). Silberstein liest viel und spricht »immer sehr gebildet« (13/95). Er äußert sich schon früh lobend über Hugo als neuen Bürgermeister und vergleicht diesen sogar mit Lessings Nathan (vgl. ebd.). Silberstein ist es, der Hugo augenzwinkernd den von Mathilde veranlassten positiven Artikel über den Landrat zu lesen gibt, wobei unklar bleibt, wen er für den Verfasser hält (vgl. 13/96). Er unterstützt Mathilde bei ihrem Bemühen, sich modisch zu kleiden (vgl. 14/99 f.). In einem der beiden zu Silvester aufgeführten komödiantischen Theaterstücke spielt Silberstein erfolgreich die Hauptrolle. Nach Hugos Tod ist er es, der in Mathildes Auftrag zweimal jährlich einen Kranz am Grab niederlegt und »jedesmal ein paar freundliche Zeilen« zurückschreibt (17/125).

Zu den Namen Silberstein und Isenthal und zur Fortschrittspartei vgl. Kommentar, S. 368-370.

Silberstein, Rebecca

Tochter von Silberstein. Mathilde findet, dass sie zwar »eine hübsche Person« ist, aber »doch nicht zum Heirathen« (12/93). Rebecca gefällt die rosa Ampel sehr, die Mathilde von Frau Schmädicke zur Hochzeit bekommen und zunächst im Flur aufgehängt hat. Sie versucht, ihren Vater dazu zu bewegen, ihr auch solch eine Lampe zu kaufen. Doch der Vater vertröstet sie auf den Moment, »wenn er kommt (ich sage nicht wer)«, d.h. auf die Zeit ihrer Ehe (13/94). Dem letzten Satz des Romans ist zu entnehmen, dass Rebecca sich verheiratet hat (vgl. 17/125).

Ulrike

Die Tochter der alten Runtschen, eine »schmucke Person, die an einen Bahnhofsgepäckträger verheiratet« ist (9a/53). Ulrike ist blond, während ihre Eltern beide schwarzhaarig waren, und für ihre Mutter ist sie, auch wenn sie sich zu ihrem Missfallen die Augen schminkt, »eigentlich ein gutes Kind« (9b/54). Sie übernimmt Heiligabend zur Verlobungsfeier und zu Silvester bei Möhrings die Bedienung, da Hugo die alte Runtschen so wenig wie möglich sehen möchte. Das Trinkgeld, das Ulrike Heiligabend bekommt, teilt sie mit ihrer Mutter, was diese nach anfänglicher Verstimmung sehr anständig findet. Beim Bleigießen zu Silvester will Ulrike in Mathildes Bleistück eine Wiege erkennen, wobei sie diese Zukunftsperspektive für weit weniger unmöglich hält als die eben erst verlobte Mathilde selbst, denn »Ulrike war eine sehr schlaue Person, die ihr Geschlecht kannte« (10a/63). Frau Möhring bemerkt kritisch, dass Ulrike »die Augen immer so schmeißt und immer denkt, sie is es« (10a/65). Für Mathilde ist Ulrikes gutes Aussehen aber »nicht die richtige Hübschigkeit«, sondern das, »was man das Untre nennt« (10a/66).

Vetter

Ein Vetter Hugos, der zur Verlobungsfeier (Heiligabend) und zu Silvester eingeladen wird. Er ist »ein sonderbares altes Genie«, und der Umstand, dass er »zwischen Mauerpolier und Architekt stand und seit zwanzig Jahren der Freund einer Wittwe war« (8/50), lässt mangelnden Ehrgeiz vermuten. Er ist »kein Spielverderber« (ebd.) und trinkt offenbar gern. Sein Toast auf die Verlobten ist originell und findet den Beifall insbesondere Rybinskis, enthält jedoch einige Anspielungen, die Mathilde als anzüglich und unpassend empfindet. Dennoch zählt sie ihn zu den ›feinen Herren‹ unter den Gästen, anders als ihren Vermieter Schultze. Sie sieht den Vetter als eine Art Künstler, denn »wer so was baut, das ist auch 'ne Kunst« (9a/53 f.), und »feine Leute, die sind so und lassen […] immer den rechten Ernst vermissen« (9a/54).

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