Hicketier, Tilmann
Stolz auf das gehobene Handwerk eines Goldschmieds, fühlt sich Tilmann Hicketier, der Ehemann von Jenny Hicketier und Bruder Thekla Hicketiers, ganz der bürgerlichen Tradition verpflichtet. Aus diesem Grund liegt ihm sehr daran, als Mitglied und Organisator eines Gesangsquartetts der heimischen Stadt alljährlich an dem vom Fürsten ausgeschriebenen Sängerwettbewerb teilzunehmen, den das Quartett bereits zweimal gewonnen hat. Das Dilemma tritt ein, als Adolf Naumann, der Tenor des Quartetts und Bräutigam Theklas, überraschend gestorben ist. Auf der Suche nach Ersatz lässt sich Hicketier herab, den Proleten Paul Schippel einzuladen, der »nach dem Urteil Berufener« (I, 2, S. 476) der einzige qualifizierte Tenor ist, den Wettbewerbsbedingungen entsprechend »ortsgebunden und ortsansässig« (I, 2, S. 477), mit dem man sich erhoffen kann, den bevorstehenden Sängerwettbewerb erfolgreich beenden zu können.
Obwohl das Einladungsschreiben Hicketiers, dessen Ausfertigung er als Demütigung auffasst (»es war das blutigste Opfer meines Lebens«; I, 2, S. 475), eher einer Aufforderung gleicht, erscheint Schippel sogar zwei Stunden vor der vereinbarten Zeit in Hicketiers Haus und stellt sich vor. Als er realistisch und detailgetreu seine äußerst bescheidene Lebenssituation als »Bankert« darzustellen versucht, unterbricht ihn Hicketier: Seine uneheliche Herkunft sei ihm schon bekannt und auf »ekelhafte Einzelheiten«) seiner Existenz könne er verzichten (I, 3, S. 480. Schippels Forderung nach »persönlichem Umgang« (I, 3, S. 484) weist Hicketier schroff zurück. Er wittert darin Schippels Absicht, die Standesgrenzen zu durchbrechen: »Dieser Mensch schien entschlossen, eiserne Barrieren einzureißen« (I, 3, S. 484). Nach dieser Zurückweisung verlässt Schippel entrüstet das Haus. Auf die Vorwürfe seiner Sangesbrüder Krey und Wolke, den herausragenden Tenor Schippel durch seine ablehnende Haltung als potentielles Gesangsmitglied verloren zu haben, reagiert Hicketier mit der Bemerkung: »Meine Gebiete will ich abgezirkt, nach oben und unten« (I, 3, S. 485).
Bei einem zweiten Treffen begegnet Hicketier Schippel in freundlich distinguiertem Ton und kann ihn zu einem Probesingen verpflichten. Als Schippel jedoch der von Hicketier geliebten Schwester Thekla vorgestellt werden will, lehnt Hicketier diesen ›Annäherungsversuch‹ dezidiert ab: »Davon wird nie die Rede sein. Was meine Familie betrifft, lebe ich streng zurückgezogen« (II, 8, S. 507).
Da er von Jenny erfährt, dass auch Wolke und Krey an Thekla Interesse bekunden, schickt er die Schwester kurzerhand ins geschützte Exil zur Tante. Hicketiers Plan, Thekla vor dem ›Männerzugriff‹ zu schützen, misslingt, weil Schippel sein Gesangstalent nach erfolgreicher Chorprobe dazu benutzt, die Heirat mit Hicketiers Schwester zu erpressen. Angesichts der Tatsache, dass ohne Schippel kein Gesangsquartett zustande kommt und kein goldener Kranz ersungen werden kann, opfert Hicketier die Ehre seiner Schwester und verkuppelt sie an Schippel, dem er einen entsprechenden »Stammbaum« zimmern will (IV, 2, S. 532). Bevor der Deal aber zu seinem Abschluss kommt, klärt Hicketier Schippel darüber auf, dass Thekla ihre Unschuld bereits an einen »Besseren« verloren habe, worauf Schippel in pathetischer Attitude seinen Anspruch auf Thekla zurückzieht (IV, 4, S. 538).
Weil Schippel den Beamten Krey, der inzwischen zum Bräutigam Theklas avanciert ist, mit der ›befleckten Unschuld‹ seiner Braut provoziert, kommt es zum Duell zwischen den beiden. Schippel bleibt dabei Sieger, obwohl er zuvor aus Angst vor dem Duell fliehen wollte. Hicketier hingegen lobt die heldenmütige, mannhafte Haltung Schippels, der darüber hinaus durch seine Teilnahme am Gesangswettbewerb zum Sieg des Quartetts beigetragen habe, und erklärt ihm gegenüber, dass ihm in Zukunft »die höheren Segnungen des Bürgertums voll und ganz zuteil« würden (V, 5, S. 552 f).