Leonce, Prinz
Leonce ist der Sohn und Thronfolger des Königs Peter vom Reich Popo. Er bezeichnet sich selbst als »Müßiggänger« (I, 1) und reflektiert ironisch seine Untätigkeit: »Ich habe alle Hände voll zu thun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundert fünf und sechzig Mal hintereinander zu spucken« (I, 1).
Er stellt den Sinn jeglicher Lebensaufgabe in Frage und ist überzeugt, dass Langeweile der einzige Motor menschlichen Handelns sei: »Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile« (I, 1), der Unterschied besteht für ihn lediglich darin, dass er sich dieser Sinnlosigkeit bewusst ist. Deshalb beneidet er auch seinen Hofmeister darum, dass er noch Sinn in seinen Aufgaben sieht: »Wie der Mensch läuft! Wenn ich nur etwas unter der Sonne wüßte, was mich noch könnte laufen machen« (I, 1). So sucht Leonce verzweifelt nach einer Beschäftigung, die ihm etwas bedeutet, wie sinnlos sie auch sein mag: »Komm wir wollen Ameisen zergliedern, Staubfäden zählen; ich werde es doch noch zu irgend einer fürstlichen Liebhaberei bringen« (II, 2). Sein engster Vertrauter Valerio bringt ihn durch seine Genusssucht darauf, sich wieder auf die Befriedigung einfacher Bedürfnisse zu besinnen: »Der Kerl verursacht mir ganz idyllische Empfindungen; ich könnte wieder mit dem Einfachsten anfangen, ich könnte Käs essen, Bier trinken, Tabak rauchen« (I, 3).
Auch seine Geliebte Rosetta ist für Leonce, der als »wahrer Don Carlos« gilt (I, 4), reiner Zeitvertreib: »ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins« (I, 3). Bevor er die Nachfolge des Königs antritt, soll er Prinzessin Lena vom Reich Pipi heiraten. Doch heiraten bedeutet für ihn »einen Ziehbrunnen leer trinken« (I, 3), und so sieht er auch keinen Anlass, dem Wunsch seines Vaters nachzukommen: »Wenn meine Braut mich erwartet, so werde ich ihr den Willen thun und sie auf mich warten lassen« (I, 3). Als ihn Valerio daran erinnert, dass er nach der Hochzeit zudem König werden soll, beschließt er, vor seiner Verantwortung zu fliehen.
Auf der Flucht trifft er vor einem Wirtshaus die ihm unbekannte Lena, ihre Worte wecken in ihm sofort melancholische Gefühle: »O, jeder Weg ist lang! Das Picken der Todtenuhr in unserer Brust ist langsam und jeder Tropfen Blut mißt seine Zeit und unser Leben ist ein schleichend Fieber« (II, 2). Lena sieht ihm seine Traurigkeit an, sie beschreibt ihn als »alt unter seinen blonden Locken«, er habe den »Frühling auf den Wangen, den Winter im Herzen« (II, 3). Er bemerkt, dass sie ihm im Gegensatz zu allem Bisherigen tatsächlich etwas bedeutet: »Es reden viele Stimmen über die Erde und man meint sie sprächen von andern Dingen, aber ich hab’ sie verstanden« (II, 2).
Als er in der folgenden Nacht versucht, Lena zu verführen, sie ihn aber abweist, möchte er sich auf diesem Höhepunkt der Emotionen in den Fluss stürzen, doch Valerio hält ihn davon ab. Sofort kehrt Leonces Zynismus zurück, und statt Valerio dankbar zu sein, macht er ihm Vorwürfe: »Mensch, du hast mich um den schönsten Selbstmord gebracht. Ich werde in meinem Leben keinen so vorzüglichen Augenblick mehr dazu finden und das Wetter ist so vortrefflich. Jetzt bin ich schon aus der Stimmung« (II, 4).
Am Beginn des dritten Akts erfährt man jedoch, dass Leonce und Lena sich inzwischen näher gekommen sind und heiraten wollen. Sie kehren maskiert ins Königreich Popo zurück, und die für Prinz und Prinzessin geplante Trauung wird nach Valerios Plan an den beiden Maskierten vollzogen. Erst danach setzen sie ihre Masken ab, und nicht nur der Hof, sondern auch Leonce wird gewahr, dass er die Frau geheiratet hat, vor der er geflohen war. Leonce glaubt weder an Gott noch an eine andere lenkende Kraft, das unwahrscheinliche Zusammentreffen mit Lena und die Erkenntnis, dass er sie geheiratet hat, ist für ihn »Zufall« (III, 3).
Unmittelbar nach der Hochzeit überträgt ihm sein Vater die Macht über das Reich. Die Untertanen sind für den jungen König »Puppen und Spielzeug«, mit denen man nach Belieben umgehen kann. Er ist in einer euphorischen Stimmung und macht sich einen Spaß aus den sich aus seiner Allmacht ergebenden Möglichkeiten. Um seiner Angetrauten Lena eine Freude zu bereiten, verspricht er ihr, durch phantastische Vorkehrungen für einen ewigen Sommer zu sorgen: »wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht. Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, daß es keinen Winter mehr gibt und wir uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestilliren« (III, 3).