Philipp
Ein Schriftsteller, verheiratet mit Emilia. Der Autor eines »im Dritten Reich verbotenen und nach dem Dritten Reich vergessenen Buches« (II, 55) befindet sich in einer Schaffenskrise.
Wegen Streitigkeiten mit seiner Frau quartiert er sich ohne Gepäck für einige Tage im »Hotel zum Lamm« (II, 17) ein. Sein Zuhause erscheint ihm wie »ein Unterstand, in den es hineinprasselte« (II, 28). Emilia ist für ihn »wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde in der Geschichte von Stevenson. Philipp liebte Dr. Jekyll, eine reizende und gutherzige Emilia, aber er haßte und fürchtete den widerlichen Mr. Hyde«, zu dem sie wird, wenn sie getrunken hat (II, 167).
Philipp hat keine Einkünfte. Das Angebot, für den Schauspieler Alexander, den Star seichter Unterhaltungsfilme, ein Drehbuch zu schreiben, empfindet er als Zumutung (II, 57 f.). Gräfin Anne hat ihn dazu überredet, für sie mit einem »Patentkleber« hausieren zu gehen (II, 56). In einem Schreibmaschinengeschäft versucht er, das Produkt an den Mann zu bringen. Der Anblick der Schreibmaschinen deprimiert ihn, denn als Schriftsteller sollte er eigentlich »Herr der Schreibgeräte« (II, 56) sein. Er schämt sich, als Hausierer aufzutreten, und fragt den Verkäufer stattdessen nach einem Diktiergerät, das den Namen »Reporter« trägt.
»›Bin ich ein Berichterstatter?‹ dachte Philipp. ›Ich könnte mit diesem Gerät Bericht erstatten, berichten, daß ich zu feige und zu unfähig bin, einen Kleister zu verkaufen, daß ich mich zu erhaben fühle, für Alexander einen Film nach dem Geschmack der Leute zu schreiben, die draußen vorübergehen, und daß ich mir’s nicht zutraue, den Geschmack der Leute zu ändern« (II, 57 f.). Er probiert das Diktiergerät aus. Der Schrecken über seine eigene Stimme auf dem Tonband treibt ihn aus dem Geschäft (II, 58).
Für das »Neue Blatt« soll er ein Interview mit dem berühmten amerikanischen Schriftsteller Mr. Edwin führen, der am Abend einen Vortrag im Amerikahaus halten wird (II, 58). In Mr. Edwins Hotel stößt er auf eine Reisegruppe von Lehrerinnen aus Massachusetts, die ihn für einen berühmten deutschen Schriftstellerkollegen und Vertrauten Mr. Edwins halten. Die Jüngste der Gruppe, Kay, beeindruckt ihn durch ihre jugendliche Unbeschwertheit und durch ihre unbefangene Verehrung für die Dichter (II, 97-100). Sie verkörpert für ihn Amerika, das ihm als ein »Land mit Weite, Frische und Jugend« erscheint (II, 97). Die unverdiente Verehrung der Lehrerinnen deprimiert ihn, weil sie einem Philipp gilt, »den es gar nicht gab«, denn leider, so gesteht er sich erneut ein, ist er »kein bedeutender Schriftsteller geworden, er war schließlich nur jemand, der sich Schriftsteller nannte, weil er in den Einwohnerakten als Schriftsteller geführt wurde« (II, 101).
Nach diesem Erlebnis fühlt er sich nicht mehr im Stande, das Interview mit Edwin zu führen und will unauffällig aus dem Hotel verschwinden. Dabei trifft er auf Messalina, die ihn mit Fragen bedrängt. Um ihr zu entkommen, flüchtet er durch die Küche des Hotels (II, 102 f.) auf den Hof, wo er Mr. Edwin begegnet, der ihn einen Augenblick lang »für sein Spiegelbild, für seinen Doppelgänger« hält (108). Das Treffen ist beiden unangenehm: »beide dachten sie im Hof des Hotels, geflohen vor der Gesellschaft der Menschen, ›ich muß ihn meiden‹« (II, 109), und entfernen sich, »scheu zueinander Distanz wahrend« (II, 109), durch den Personaleingang.
Philipp sucht seinen Psychiater Dr. Behude auf. Die Besuche bei ihm sind ihm zur Gewohnheit geworden, obwohl er sich »keine Deutung, keine Erhellung, weder Vertrauen noch Mut« davon verspricht (II, 28 f.). In dieser Sitzung soll er sich einen sonnigen Urlaubstag vorstellen, Dr. Behude möchte »eine Glocke aus Optimismus und Sommerfreuden« über ihn bauen. Aber Philipp kann sich darauf nicht einlassen. (II, 140 f.).
Nach der Sitzung bei Behude geht er durch die Stadt, beobachtet den abendlichen Verkehr auf Straßen und Gehsteigen, hört die politischen Schlagzeilen der Abendzeitungen und fragt sich, ob er eigentlich einen Standpunkt zum Weltgeschehen hat: »ich spiele immer die lächerlichen Rollen, ich bin der alte Tolerante, ich bin für das Anhören jeder Meinung, wenn man schon auf Meinungen hören will, aber die ernsten Leute regen sich nun auf beiden Seiten auf und brüllen mich an, daß meine Toleranz gerade die Intoleranz fördere […], ich will für mich bleiben« (II, 164 f.).
Im Saal des Alten Schlosses begegnet er dem Redakteur des »Neuen Blatts«, der ihm wegen des nicht gelieferten Interviews Vorwürfe macht und verlangt, dass er dann wenigstens über Mr. Edwins Vortrag berichten solle. Mit zehn Mark für ein Taxi lässt Philipp sich überreden. »›So weit ist es mit mir gekommen‹, dachte Philipp, ›ich verkaufe mich und Edwin‹« (II, 168).
Vor dem Vortragssaal trifft er Kay wieder und betritt mit ihr verspätet den Raum (II, 183 f.). Kay trägt einen Schmuck, der ihm bekannt vorkommt, den er aber nicht als Emilias erkennt (II, 206; vgl. 155). Mr. Edwins Vortrag verzögert sich durch einen Fehler in der Lautsprecheranlage. »›Alles zerbricht‹, dachte Philipp, ›wir können uns nicht mehr verständigen, nicht Edwin redet, der Lautsprecher spricht, auch Edwin bedient sich der Lautsprechersprache, oder die Lautsprecher, diese gefährlichen Roboter, halten auch Edwin gefangen: sein Wort wird durch ihren blechernen Mund gepreßt, es wird zur Lautsprechersprache, zu dem Weltidiom, das jeder kennt und niemand versteht‹« (II, 202). Er ist sicher, dass der Vortrag »völlig folgenlos bleiben« würde (II, 203). Beim Weg aus dem Saal sieht er noch einmal zu dem sich verbeugenden Mr. Edwin zurück. »Philipp verstand ihn. Er dachte ›mein unglücklicher Bruder, mein lieber Bruder, mein großer Bruder‹« (II, 212).
Er geht mit Kay in sein Hotelzimmer. »Er sah sie an, ›sie denkt, es ist eine Absteige‹. Er durfte jetzt nicht versuchen, zärtlich zu sein; er mußte sie niederwerfen, wie ein Kalb im Hof des Schlächters; er mußte sie niederwerfen, ›damit sie was von der Absteige hat‹« (II, 217 f.). Stattdessen tritt er mit ihr ans Fenster und schaut mit ihr in die Nacht. Sie hören den Schrei von Mr. Edwin, der gerade in einer Seitengasse von Schorschi, Bene, Kare und Sepp ausgeraubt wird. Kay verabschiedet sich und hinterlässt Emilias Schmuck auf der Fensterbank. »Philipp verstand die Geste. Er dachte ›sie hält mich für einen Hungrigen‹« (II, 218).