Der Freygeist (1749/1755)
Verfasserin: Esther Schmalkuche
Adrast
Der ›Freigeist‹ Adrast soll Henriette heiraten, ist aber in deren Schwester Juliane verliebt. Adrast ist gebildet und vielgereist. Er hat ein ausschweifendes Leben geführt, für das er Schulden in Kauf genommen hat. Konventionellen religiösen Werten begegnet er mit Stolz und Verachtung, weshalb er auch seinen zukünftigen Schwager, den Geistlichen Theophan, für einen Heuchler hält und kategorisch ablehnt.
Adrasts Vorurteile, sein Hass auf die Priesterschaft und sein scharfer Ton entspringen persönlichen Erfahrungen: »Priestern habe ich mein Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt; so nahe sie auch das Blut mit mir verbunden hatte« (I, 2; LM II, 56). Seine Liebe zur tugendhaften Juliane zeigt aber, dass es ihm nicht allein um Prinzipien zu tun ist.
An ihrer Schwester Henriette moniert er, dass sie Pflicht, Tugend, Anstand und Religion verspotte, obwohl ihr Verhalten vermutlich auf ihn selbst zurückgeht (wie Juliane bemerkt, IV, 3). Henriette wiederum tadelt Adrasts Zynismus und Herablassung und hebt dagegen Theophans vorurteilslose Freundlichkeit hervor.
Aufrichtig um Adrasts Freundschaft bemüht, zeigt Theophan Verständnis für dessen Freigeisterei und führt sie auf seine Jugend zurück. Der tiefere Grund für Adrasts Hass liegt in seiner Eifersucht auf Theophan, denn der ist Juliane versprochen. Jeder Großmütigkeit Theophans unterstellt er niedere Absichten. Als sein Gläubiger Araspe, ein Vetter Theophans, eintrifft, verdächtigt er den Konkurrenten der Rufschädigung. Theophans Versuch, ihm die Wechsel ohne Rückzahlung auszuhändigen, steigert sein Misstrauen ebenso wie alle weiteren Versuche Theophans, ihm zu helfen und sein Vertrauen zu gewinnen.
Adrast trifft inzwischen Vorbereitungen, seine Schulden auf ehrlichem Wege zu begleichen, nicht nur aus Stolz gegenüber Theophan, sondern aus Wahrheitsliebe. Der Vorschlag seines Dieners Johann, die Gültigkeit der Wechsel abzustreiten, empört ihn (I, 5). Als er Juliane schließlich seine Liebe gesteht, tritt seine idealistische Gesinnung ebenso zutage wie seine Verbundenheit mit Julianes Vater Lisidor.
Erst als Theophan durch Adrasts anhaltende Feindseligkeit die Geduld verliert und endlich ärgerlich wird, lenkt Adrast erstaunt ein und gibt seine bornierte Haltung auf. Als er erfährt, dass Juliane ihn liebt, fällt mit der Eifersucht auch das Hauptmotiv seines Handelns weg. Damit steht am Ende auch der Freundschaft der beiden Männer nichts mehr im Wege.
Theophan
Der junge Geistliche ist offenherzig, edelmütig, aufrichtig und vorbehaltlos freundlich. Theophan ist Juliane versprochen, liebt aber deren Schwester Henriette, die ihrerseits in ihn verliebt ist. Auch wenn es ihn trifft, dass sie Adrast versprochen ist, zeigt er keine Zeichen von Eifersucht.
Als Theologe steht er im Gegensatz zu seinem zukünftigen Schwager, dem ›Freigeist‹ Adrast, nimmt tatsächlich aber eine ungleich vorurteilsfreiere Haltung ein. Er bemüht sich sehr um die Freundschaft mit Adrast. Der allerdings besteht auf dem Gegensatz ihrer beider Denkungsart und unterstellt Theophan die Vorurteile, die er von Geistlichen gewohnt ist, tatsächlich aber selbst verkörpert. Es ist Adrasts Voreingenommenheit, die eine Annäherung der beiden verhindert.
Theophan bemüht sich daher, Adrasts Vorurteile gegen Geistliche durch sein positives Beispiel zu untergraben. Seine freimütige Haltung steht im größten Kontrast zu Adrasts Engstirnigkeit. Auch gegenüber seinem Vetter Araspe, der ein Gläubiger Adrasts ist und diesen zur Rechenschaft ziehen will, ergreift Theophan Partei für Adrast und erklärt ihm, er habe die Hoffnung, Adrast werde von seinem zynischen Standpunkt abweichen: »Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag auch kosten was es will« (III, 1; LM II, 82). Theophans unermüdliche Versuche, Adrasts Vertrauen zu gewinnen, steigern jedoch nur dessen Verachtung.
Erst als er am Ende die Geduld verliert, zeigt sich Adrast betroffen und macht eine Annäherung zwischen den beiden Männern und eine Lösung des Konflikts möglich. Am Ende, nach Auflösung aller Mißverständnisse, darf Theophan Henriette zur Frau nehmen.
Lisidor
Der bodenständige Vater von Juliane und Henriette und Freund von Adrasts verstorbenem Vater ist gutherzig und geduldig. Lisidor will die fromme Juliane mit dem Theologen Theophan und die temperamentvolle Henriette mit dem Freigeist Adrast verheiraten, nicht ahnend, dass sich die jungen Leute in der entgegengesetzten Konstellation ineinander verliebt haben.
In die Meinungsverschiedenheiten zwischen Adrast und Theophan kann Lisidor sich nicht hineinversetzen, versucht aber, zwischen beiden zu vermitteln. Lisidors Menschlichkeit zeigt sich in seinem Verständnis und seiner Fürsorge für Adrast, den er von Jugend auf kennt und dem er die Freigeisterei nicht anlastet. Als dieser zum Schluss des Stückes gesteht, dass er inzwischen beinahe mittellos sei, antwortet Lisidor großmütig: »Ich weiß so wohl, daß du ein lockrer Zeisig gewesen bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deßwegen will ich dir eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast« (V, 6; LM II, 122).
Juliane
Die Tochter Lisidors und ältere Schwester Henriettes ist Theophan versprochen, tatsächlich aber in Adrast verliebt. Juliane ist schön und sanftmütig, tugendhaft und pflichtbewusst, dazu von tiefer Frömmigkeit – der »Augapfel ihrer Großmutter«, wie Lisidor sagt (I, 3; LM II, 59). In ihrer zurückhaltenden Freundlichkeit erscheint sie als Gegenbild ihrer stürmischen Schwester Henriette. Mit ihr gerät sie in Streit, weil sie die guten Eigenschaften Adrasts hervorhebt und die Kritik ihrer in Theophan verliebten Schwester an Adrast nicht billigt. Aus Pflichtgefühl gegenüber ihrem Vater ist Juliane bereit, Theophan zu heiraten, obwohl sie sich über ihre Gefühle zu Adrast im Klaren ist. Selbst als Adrast ihr seine Liebe gesteht, macht sie ihm keine Hoffnungen. Erst als Lisidor von den tatsächlichen Ehewünschen seiner Töchter und der jungen Männer erfährt und Juliane die Ehe mit Adrast nahelegt, willigt sie ein.
Henriette
Tochter des Lisidor, jüngere Schwester Julianes. Sie ist offenherzig, schön und lebhaft, manchmal auch vorwitzig und spöttisch. Sie ist durch ihre ungestüme Art ein Gegenbild zu ihrer Schwester, jedoch nicht minder gutmütig und pflichtbewusst. Adrast als Ehefrau versprochen, liebt sie doch Theophan. Da Adrast in Juliane verliebt ist und Henriette zunehmend unhöflich behandelt, kann sie ihr aufbrausendes Temperament schwer zügeln, so dass es häufiger zu Streitereien zwischen beiden kommt. Nachdem sie von Adrasts wahren Gefühlen erfährt, lässt auch sie ihrer Zuneigung für Theophan freien Lauf. Durch die Vermittlung Lisettes wird es Theophan und Henriette möglich, sich ihre Liebe zu gestehen und einander zu versprechen, noch ehe offiziell davon die Rede ist.
Philane, Frau
Großmutter von Juliane und Henriette, Mutter von Lisidor. Erst im letzten Auftritt des Stücks wird die wohlwollende, lebenserfahrene und scharfsinnige alte Frau eingeführt, als im Einvernehmen mit Lisidor die neue Paarkonstellation für die Hochzeit beschlossen wird. Es zeigt sich, dass die vorausschauende Frau Philane Neigung und Eignung der jeweiligen Liebespaare für einander bereits zuvor erkannt und diesen Ausgang erhofft hatte. Mit Blick auf Adrast und Henriette stellt sie fest: »Ihr würdet ein unglückliches Paar geworden seyn! Ihr braucht beide einen Gefährten, der den Weg besser kennet, als ihr« (V, 8; LM II, 124). Diese Gefährten sieht sie in Juliane und Theophan.
Araspe
Der Vetter Theophans ist durch Zufall zugleich Gläubiger Adrasts. Araspe ist großmütig und rechtschaffen, aber auch konsequent und streng und hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Anlässlich der bevorstehenden Hochzeit Theophans kommt er als Besucher in das Haus Lisidors. Schon zuvor hatte er von Adrasts Aufenthalt dort erfahren und will ihn endlich für seine verfallenen Wechsel zur Rechenschaft ziehen, obwohl Adrast damit finanziell ruiniert und seine Heirat gefährdet wäre. Er sei, so äußert er Theophan gegenüber, »der Mann sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken fähig wäre«, wolle aber an einem »spöttischen Freygeiste« keine Nachsicht üben (III, 1; LM II, 80). Dabei geht es ihm nicht um das Geld. Vielmehr betrachtet er sein Handeln als pädagogische Maßnahme, die Adrast zum Nachdenken nötigen und eine moralische Besserung ermöglichen soll.
Theophan gegenüber, seinem »nächste[n] Blutsfreund« (III, 1; LM II, 83) und einzigen Erben, ist Araspe jedoch überaus selbstlos. Als Theophan ihn bittet, ihm die Wechsel zu überlassen, lenkt er bereitwillig ein und zieht sich aus der Angelegenheit zurück.
Johann
Der Bediente Adrasts meint, sich mit der geistigen Haltung des ›Freygeists‹ zu identifizieren, interpretiert sie aber auf grotesk egoistische Weise im eigenen Sinne: »Der Mensch ist in der Welt, vergnügt und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisiren, das Saufen sind seine Pflichten. Die Mühe ist diesen Pflichten hinderlich; also ist es auch nothwendig seine Pflicht, die Mühe zu fliehen« (II, 5; LM II, 76).
So sieht Johann seine Aufgabe gegenüber Adrast darin, ihn in seiner verantwortungslosen Lebensführung zu bestärken. Obwohl Johann unwillig einräumen muß, dass sein Herr in letzter Zeit »ganz aus der Art geschlagen« sei, ist er zuversichtlich, ihn »schon wieder in Gang bringen« (ebd.) zu können. Gegenüber Theophans Diener Martin prahlt er damit, Atheist zu sein: »das ist, ein starker Geist, wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode seyn muß« (II, 5; LM II, 74).
Johanns großspurige Demonstrationen seiner vorgeblichen Bildung und Weltgewandtheit bewirken nicht nur das Lächerliche der Figur. Durch seine naiven und niedrigen Anschauungen werden auch die negativen Eigenschaften des ›Freygeists‹ Adrast satirisch überzeichnet, eine Analogie zum Verhältnis zwischen Theophan und seinem Diener Martin. Es ist die kluge Lisette, die in Johann und Martin die »wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite« erkennt: »Aus Freygeisterey ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein Dummkopf« (II, 4; LM II, 73).
Martin
Der Diener Theophans vertritt seine religiösen Vorurteile mit naiver Überzeugung. Danach ist der Atheist kein Mensch, sondern ein »Wechselbalg, den die Hölle durch – – durch einen unzüchtigen Beyschlaf mit der Weisheit dieser Welt erzeugt hat« (II, 5; LM II, 74). Er kann, den Worten seines Pfarrers zufolge, in tierhafter oder monströser Gestalt, aber auch als Philosoph oder »unverschämter Poete« (ebd.) auftreten.
Dass Adrasts Diener Johann, wie dieser selbst behauptet, ein solcher Atheist sein könnte, schließt Martin aus, weil diese Eigenschaften nicht zu Johann passen. Zur eigenständigen gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Thema unfähig, kann Martin nur staunen, als Johann erklärt, als Atheist weder an Gott noch an den Teufel zu glauben.
Die kluge Lisette erkennt in Johann und Martin die »wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus Freygeisterey ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein Dummkopf« (II, 4; LM II, 73).
Lisette
Bediente von Juliane und Henriette. Den unterschiedlichen Charakteren der Schwestern entsprechend, ist sie jeweils »den einen Tag, der sanften Juliane ehrbares Mädchen, und den andern der muntern Henriette wilde Lisette« (II, 1; LM II, 65). Gewitzt und vorlaut, begegnet sie ihrer Herrschaft meist auf Augenhöhe. Zugleich ist sie gutherzig und verfügt über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Die emotionale Konstellation zwischen Juliane, Henriette, Adrast und Theophan durchschaut sie von Beginn an. Sie möchte für klare Verhältnisse sorgen, indem sie immer wieder auf die Sympathien anspielt, die zwischen Theophan und Henriette sowie zwischen Adrast und Juliane bestehen. Und schließlich ist sie couragiert genug, Theophan ihre Beobachtungen mitzuteilen. Besonders einfallsreich darin, Theophan und Henriette jene Worte in den Mund zu legen, die ihre wahren Wünsche bekunden, dabei diskret genug, um nicht die Etikette zu verletzen, ist sie maßgeblich am glücklichen Ausgang der Handlung beteiligt.