Die alte Jungfer (1748/1749)
Verfasserin: Vanessa Penna
Ohldin, Jungfer
Der sprechende Name der Figur ist Programm. Sie ist mit fast fünfzig Jahren noch unverheiratet, deutet aber an, dass es ihr in der Vergangenheit nicht an Gelegenheiten gemangelt habe. Mehr als zwölf Heiratsanträge habe sie bekommen, einzig die fehlende Entschlussfreude »in solchen wichtigen Sachen« (I, 1; LM III, 203) habe sie von einer Eheschließung abgehalten. Sie ist froh, dass ihr Zaudern diesmal übergangen wird (vgl. Oronte), und hofft auf ihr Glück mit dem Capitaine von Schlag. Seine Motive, seine Schulden, ja, Geld im Allgemeinen, spielen für die arglose Jungfer eine nur untergeordnete Rolle; leicht lässt sie sich von den Meinungen anderer mitreißen. Als der Betrug auffliegt, der ihre Heirat verhindern sollte, erkennt sie sofort, dass ihr Neffe Lelio dahinter steckt. Ihm verzeiht sie, Lisette dagegen, die sie für die Hauptverantwortliche hält, will sie entlassen. Am Ende heiratet sie den verschuldeten Capitaine von Schlag.
Jungfer Ohldin nennt Lelio ihren »Vetter«, Lelio nennt sie seine »Muhme«. Im 18. Jahrhundert sind beide Verwandtschaftsbezeichnungen mehrdeutig, können auch weitläufigere Verwandtschaftsgrade bezeichnen als Onkel, Neffe oder Cousin (›Vetter‹) bzw. Tante, Nichte oder Cousine (›Muhme‹). Der Altersunterschied zwischen der Jungfer und Lelio spricht eher dafür, dass sie Tante und Neffe sind. Lelios zwischenzeitlicher Heiratsantrag könnte dem allerdings widersprechen, denn zumindest die Ehe mit Geschwistern des Vaters unterliegt im 18. Jahrhundert (Lev. 18, 12-16 folgend) dem Inzestverbot (vgl. Claudia Jarzebowski: Inzest. Verwandtschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert. Köln 2006, S. 157, Anm. 187; S. 76 u. pass.).
Lelio
Lelio lebt im Hause und auf Kosten seiner ›Muhme‹, der Jungfer Ohldin. Er glaubt, nach deren Tod ihr gesamtes Vermögen zu erben, und hält mit dieser Aussicht auch seine Gläubiger hin. Durch die Heiratsabsichten der Jungfer droht das Erbe ihm zu entgehen. Gemeinsam mit Lisette, mit der er ein Verhältnis hat, will er sie zunächst von der Heirat mit dem Capitaine von Schlag abbringen. Als der Plan zu misslingen droht, macht er ihr seinerseits einen Heiratsantrag. Erst als der Capitaine von Schlag ihm einen Handel vorschlägt, der ihm immerhin einen Teil des Vermögens zusichert, zieht er seinen Antrag erleichtert zurück.
Lelio/Lélio ist ein gebräuchlicher Liebhabername der Commedia dell’arte und der Pariser Comédie italienne. Vgl. die Abbildung zu Hilaria (Lelio) in »Der Misogyne«. – Zur Verwandtschaftsbeziehung vgl. Jungfer Ohldin.
Lisette
Lisette ist die Bedienstete der Jungfer Ohldin und hat heimlich ein Verhältnis mit deren »Vetter« Lelio. Als sie von den Heiratsplänen ihrer Herrin erfährt, befürchtet sie, dass Lelio um sein Erbe gebracht wird. In einem ersten Gespräch mit der Jungfer Ohldin spricht sie offen und respektlos aus, dass es Capitaine von Schlag bei der geplanten Heirat nur um den finanziellen Gewinn geht. Als dieses Vorgehen nicht fruchtet, versucht sie auf anderem Wege, ihre Herrin von den Heiratsplänen abzubringen. Sie überredet gemeinsam mit Lelio den Gebäckverkäufer Peter, sich gegenüber der Jungfer als rücksichtsloser Bräutigam auszugeben. Der Betrug fliegt auf, Lisette wird als Anstifterin erkannt.
Ob Jungfer Ohldin die Kündigung, die sie ihr in der letzten Szene ausspricht, wird durchsetzen können, ist zweifelhaft: Lisette findet in dem Bräutigam einen warmen Fürsprecher, der ihr auch für den Gang zum Verlobungsschmaus seinen Arm bietet. »Ein böses Omen«, meint Herr Oronte (III, 11; LM III, 234).
Oronte, Herr und Frau
Herr Oronte spielt den Heiratsvermittler. Er überbringt der Jungfer Ohldin den Antrag des Capitaine von Schlag, gibt vor, glücklich verheiratet zu sein (was sein Streit mit seiner Frau sogleich dementiert), und versucht, die Jungfer von den Vorteilen der Ehe zu überzeugen. Ihre zögerliche Antwort interpretiert er resolut als eindeutige Zustimmung. Für das Überbringen der Botschaft und das Arrangieren der Heirat wird er von seinem Auftraggeber, dem Capitaine von Schlag, finanziell belohnt.
Frau Oronte rät der Jungfer Ohldin kurzzeitig von der Ehe ab. Später überwiegt auch bei ihr der finanzielle Anreiz. Sie stimmt der Argumentation ihres Mannes zu und spricht sich für die Heirat aus.
Oronte ist einer der gebräuchlichsten Lustspielnamen des komischen Alten in der Pariser ›Comédie italienne‹, der die Stelle des Pantalone in der Commedia dell'arte einnimmt. Vgl. die Abbildung zu Oronte in »Damon, oder Die wahre Freundschaft«.
Schlag, Herr von
Nach Aussage von Herrn Oronte ist der Capitaine von Schlag ein Adliger aus einer der ältesten Familien. Er hat sich in seinem letzten Feldzug eine Kriegsverletzung zugezogen und ist mit Gnaden des Königs aus der Armee entlassen worden. Eine Heirat mit der vermögenden Jungfer Ohldin bietet ihm die Möglichkeit, seine Schulden zu begleichen: ein weit stärkerer Grund als die mögliche Zuneigung. Von Schlag beauftragt Herrn Oronte damit, seinen Heiratsantrag zu vermitteln und schlägt Lelio eine Beteiligung am Vermögen der Jungfer Ohldin vor, damit dieser seinen eigenen Heiratsantrag zurücknimmt. Obwohl die Jungfer seine Motive kennt, nimmt sie seinen Antrag an.
Die Figur (mehr noch ihre Darstellung durch Peter) trägt Züge des Capitano der Commedia dell’arte bzw. des Capitan der Pariser ›Comédie italienne‹. – Abb: Darstellung des Capitano/Capitan in: Maurice Sand, Masques et bouffons (Comédie Italienne). Teil I. Paris 1860, nach S. 176 (Tafel 12). – Bildquelle: WikimediaCommons.
Peter
Der Gebäckverkäufer, ein junger Mann mit einem frechen Mundwerk, wird von Lisette und Lelio dazu angestiftet, sich bei der Jungfer Ohldin als Herr von Schlag auszugeben und unbeliebt zu machen. Mit Bart und Stelzfuß verkleidet, versucht er alles, um sie von ihren Heiratsplänen abbringen, wobei er redegewandt, aber auch übereifrig agiert. Peter ist verheiratet, bezeichnet seine Frau jedoch als »Teufel«. Frauen, davon ist Peter überzeugt, bringen nur Unglück. Auf den Poeten Kräusel, der ihm noch Geld schuldet, ist er nicht gut zu sprechen.
Clitander
Der redegewandte Lebemann ist in erster Linie mit Frauengeschichten und »mit sich selbst beschäftigt« (II, 2; LM III, 213). Lelios und Lisettes Intrige halbherzig unterstützend, lässt er Jungfer Ohldin wissen, dass der Capitaine von Schlag ihm noch Geld schulde, und rät ihr von einer Heirat ab (I, 3). Am Ende stellt sich heraus, dass es sich umgekehrt verhält: Clitander hat bei dem Capitaine Schulden, und seine Glückwünsche zur Heirat sind wohl auch von der Hoffnung bestimmt, der Capitaine werde nun, da er »so ein Glück gefunden« habe, die Schulden vergessen (III, 11; LM III, 234).
Kräusel
Der Poet mit dem sprechenden Namen soll für Jungfer Ohldin Hochzeitsverse verfassen. Als diese ihn zunächst mit dem Schneider verwechselt, fühlt er sich in seiner Poetenehre gekränkt und will den Auftrag ablehnen (II, 5). Des entgehenden Verdienstes eingedenk, kehrt er aber sofort zurück und will das Gedicht gleich an Ort und Stelle und »aufs höchste in einer Stunde« abfassen (II, 6; LM III, 220). Entsprechend fällt das Ergebnis aus, das Hochzeits-Carmen ist ein dilettantisches Machwerk von unfreiwilliger Komik.
Der gezierte und eitle Dichter ist sich selbst der Nächste, Frau und Kinder bedeuten ihm mehr Last als Glück. Dementsprechend kann er kaum erwarten, dass seine todkranke Frau endlich stirbt (II, 6).
Die Figur und besonders ihr missglücktes Poem sind ein spöttischer Seitenhieb Lessings gegen die auch im 18. Jahrhundert noch stark verbreitete ›Kasual-Poesie‹, die Gelegenheitsdichtung.
Rehfuß, Herr
Herr Rehfuß wartet auf das Geld, das ihm der Capitaine von Schlag noch schuldet. Bevor er rechtliche Schritte in Betracht zieht, fragt er allerdings freundlich bei der Jungfer Ohldin nach, ob sie für die Schulden ihres Bräutigams aufkommt (III, 7).