Tellheim, Major von
Tellheim hat im Siebenjährigen Krieg als Major unter preußischer Flagge gedient und sich in dieser Zeit mit dem sächsischen Fräulein Minna von Barnhelm verlobt. Nach Kriegsende sieht er sich außerstande, das Eheversprechen einzuhalten, weil er glaubt, gesellschaftlich und wirtschaftlich erledigt und ihrer deshalb nicht mehr würdig zu sein.
Bei seinem Auftrag, von den sächsischen Ständen Kriegskontributionen einzutreiben, hatte er den um das Geld verlegenen Ständen die Summe gegen einen Wechsel vorgestreckt, der ihm nach dem Krieg das Misstrauen der preußischen Militärverwaltung eingebracht hatte. Er wurde der Bestechlichkeit verdächtigt und trotz seiner militärischen Verdienste aus der Armee entlassen. Dadurch sieht er sich in seiner Ehre gekränkt. Zugleich gerät er durch die ausbleibenden Zahlungen der Generalkriegskasse in wirtschaftliche Not, hat zuletzt keinen Heller mehr und sieht sich sogar gezwungen, seinen Verlobungsring zu versetzen (I, 10; LM II, 185). Und schließlich hat sein rechter Arm von einer Schussverletzung eine Lähmung zurückbehalten (I, 8; LM II, 184).
Trotz seiner Not lehnt er es ab, fremde Hilfe anzunehmen: Das Geld, das ihm sein ehemaliger Wachtmeister Paul Werner gegeben hatte, rührt er nicht an (I, 4); die ihm eigentlich zustehende Rückzahlung eines Kredits, den er seinem ehemaligen Rittmeister Marloff in Kriegszeiten gewährt hatte, nimmt er aus der Hand von dessen notleidender Witwe nicht an (I, 6); seinen Burschen Just will er entlassen, weil er ihm »nichts schuldig werden will«, und duldet nicht, dass Just die zahlreichen Geldhilfen, die er ihm und seinen Eltern im Krieg hatte zuteil werden lassen, mit dem ausstehenden Lohn verrechnet (I, 8).
Die Großzügigkeit, die er anderen erweist, paart sich mit der Unfähigkeit, selbst Hilfe anzunehmen. Dieses Missverhältnis, das die Verwandtschaft von Großmut und Hochmut, von Altruismus und Egoismus verrät, bleibt Tellheim selbst verborgen. Paul Werner, der ihm die Augen dafür zu öffnen versucht, bekommt nur die stereotyp wiederholte Auskunft: »ich will dein Schuldner nicht seyn« (III, 7; LM II, 219). Für die Kränkung, die er ihm damit zufügt, ist er blind. Es bleibt Minna vorbehalten, ihm diesen Star zu stechen.
Denn auch Minna gegenüber zeigt Tellheim dasselbe Verhalten: Er nennt sich »einen abgedankten, an seiner Ehre gekränkten Officier, einen Krüppel, einen Bettler« (IV, 6; LM II, 237), der sie durch eine Heirat der Verachtung aussetzen würde, und kündigt die Verlobung auf. Minnas Bereitschaft, ihr reiches Erbe mit ihm zu teilen, nennt er nicht Liebe, sondern »blinde Zärtlichkeit«, die anzunehmen nur ein »nichtswürdiger Mann« fertigbringe, und wundert sich über ihre ungehaltene Reaktion (IV, 6; 242 f.).
Dies ist denn auch der Punkt, an dem Minna die Komödie zu spielen beginnt, die ihn heilen soll: Sie gibt vor, enterbt worden zu sein und nun ebenfalls Armut zu leiden (IV, 6-7; LM II, 243 f.). Augenblicklich wird Tellheim anderen Sinnes, Minnas Unglück befähigt ihn, sich über sein eigenes Unglück hinwegzusetzen (V, 5; LM II, 249). Er trifft Vorbereitungen für die Heirat, nimmt nun Paul Werners Geld an, bittet ihn sogar, ihm noch mehr zu beschaffen (V, 1), und, was die Hauptsache ist, er pfeift auf seine Ehrenangelegenheit, die, wie er jetzt erkennt und Minna eingesteht, die Liebe zum Verstummen gebracht hatte: »Aergerniß und verbissene Wuth hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst, in dem vollesten Glanze des Glücks, konnte sich darinn nicht Tag schaffen« (V, 5; LM II, 249).
Aber Minna spielt ihr Spiel noch weiter: Als das königliche Handschreiben eintrifft, das Tellheim gänzlich rehabilitiert und auch seine Geldnot beendet, zahlt sie ihm seine verletzende Ehrversessenheit heim, indem sie ihm die Ehe mit denselben Argumenten, ja mit denselben Worten verweigert, die er gebraucht hatte: Der Brief des Königs habe die Gleichheit zwischen ihnen wieder aufgehoben, nur eine »nichtswürdige Kreatur« würde sich nicht schämen, »ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken« (V, 9; LM II, 256 f.). Diese Probe der Liebe besteht Tellheim: Um die »Gleichheit« wiederherzustellen, will er das Handschreiben des Königs zerreißen (ebd.).
Auch dass Minna den »Scherz« noch weiter und, wie sie bald einsieht, zu weit treibt (V, 11), kann er ihr, als er schließlich erfährt, dass alles nur Komödie war, nachsehen.