Nathan der Weise (1779)
Verfasserinnen: Karolina Kubista, Anke-Marie Lohmeier
Saladin, Sultan
Der muslimische Herrscher in Jerusalem zeigt gegen die Seinen Großmut, Milde und Gerechtigkeit, kennt aber gegen die christlichen Tempelritter keine Gnade: Daß »Saladin / Je eines Tempelherrn verschont«, wurde noch nicht gehört (I, 2; LM III, 13). Erst kürzlich hat er zwanzig gefangene Tempelritter hinrichten lassen. Nur einen hat er verschont, weil er große Ähnlichkeit mit seinem toten Bruder Assad hat. Es ist der Tempelherr, der Recha kurz darauf aus dem Feuer rettet.
Bei aller Unerbittlichkeit gegen die Tempelherrn ist Saladin gleichwohl kein Freund der Glaubenskriege und unterscheidet zwischen Christen und christlichen Tempelherrn: »Die Tempelherren, / Die Christen nicht, sind Schuld: sind nicht, als Christen, / Als Tempelherren Schuld« (II, 1; LM III, 43). Ihm liegt am Ausgleich zwischen den religiösen Parteien, den er durch eine entsprechende Heiratspolitik befördern möchte. Sein Plan, seine Schwester Sittah mit einem Bruder von Richard Löwenherz und seinen Bruder Melek mit dessen Schwester zu verheiraten, ist freilich an der Forderung der Gegenseite gescheitert, dass beide zuvor zum Christentum konvertieren müssten (II, 1; LM III, 42 f.), – als wäre, so Sittahs ironischer Kommentar, »von Christen nur, als Christen, / Die Liebe zu gewärtigen, womit / Der Schöpfer Mann und Männinn ausgestattet!« Auch geht es dabei um Gebietsansprüche, die die christliche Seite nicht aufgeben will (ebd.).
Durch ausbleibende Tribute Ägyptens in finanzieller Notlage, muss Saladin Geld borgen und verfällt dabei auf Nathan. Von Nathan heißt es allerdings, er schenke gern, borge aber ungern (II, 2; LM III, 52). Um ihn dennoch zur Hergabe eines Darlehens zu bewegen, stellt Saladin ihm nach Sittahs Vorschlag eine Falle mit der Frage, welche der drei Religionen – Islam, Christentum, Judentum – die wahre Religion sei. Nathan antwortet ihm mit der Ringparabel, die Saladin so tief beeindruckt, dass er seine Geldsorgen vergisst und Nathan um seine Freundschaft bittet. Nathan stellt ihm daraufhin freiwillig sein Barvermögen zur Verfügung, und Saladin gesteht ihm seine List. Wenig später treffen die Tribute aus Ägypten ein (V, 1).
Die Freundschaft mit Nathan hindert Saladin nicht, Recha seiner neugierigen Schwester Sittah zu Gefallen in seinen Palast holen zu lassen, nachdem er vom Tempelherrn gehört hat, dass sie nicht Nathans leibliche Tochter ist (IV, 4-5).
Am Ende stellt sich heraus, dass Recha und der Tempelherr Kinder seines toten Bruders Assad und einer christlichen Mutter aus dem Hause Stauffen sind, er selbst also Onkel der beiden ist (V, 8).
Sittah
Die kluge Schwester und gewitzte Schachpartnerin des Sultans Saladin hat großen Einfluss auf ihren Bruder. Als er in Geldnot gerät, finanziert sie ihm ohne sein Wissen die Hofhaltung (II, 2; LM III, 48) und berät ihn, als es darum geht, Nathan dazu zu bewegen, ihm Geld zu leihen: Saladins ›Fangfrage‹ nach der wahren Religion ist offenbar ihr Einfall (II, 3; LM III, 55; III, 4; LM III, 83-85).
Auf die Christen ist Sittah schlecht zu sprechen. Insbesondere wirft sie ihnen religiöse Intoleranz vor und argumentiert dabei ähnlich wie Nathan (II, 5; LM III, 63) im Namen einer die Unterschiede der Religionen übergreifenden Menschlichkeit: »Ihr Stolz ist: Christen seyn; nicht Menschen« (II, 1; LM III, 43). Nicht die Lehre ihres Religionsstifters (deren »Menschlichkeit« Sittah ausdrücklich anerkennt) sei Richtschnur ihres Handelns, sondern ihr Totalitätsanspruch: »Seine Tugend nicht; sein Name / Soll überall verbreitet werden; soll / Die Namen aller guten Menschen schänden, / Verschlingen. Um den Namen, um den Namen / Ist ihnen nur zu thun« (ebd.).
Gegen Juden hegt Sittah die übliche Geringschätzung, ist bestenfalls bereit, Nathan als Ausnahme von der Regel zu sehen (II, 3; LM III, 54 f.). Dass sie, nachdem sie erfahren hat, dass Recha nicht Nathans leibliche Tochter ist, keine Bedenken hat, sie dem »unrechtmäßigen Besitzer« zu entziehen und sie in den Sultanspalast holen zu lassen, mag damit zusammenhängen (IV, 5; LM III, 130).
Nathan
Der reiche Kaufmann, den man im Volk den »Weisen« nennt (I, 6; LM III, 36), kommt von einer Handelsreise heim und erfährt, dass es in seinem Haus gebrannt hat und seine Tochter Recha um ein Haar umgekommen wäre, wenn ein junger Tempelherr sie nicht in letzter Minute aus den Flammen gerettet hätte.
Nathan bringt zunächst Recha, die glaubt, von einem Engel gerettet worden zu sein, zur Vernunft (I, 2) und stattet dann dem Tempelherrn seinen Dank ab (II, 5). Dabei beschämt er den von starken antijüdischen Ressentiments beherrschten Tempelherrn, indem er ihm die Vorurteilshaftigkeit seines Denkens vor Augen führt: »Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, / Als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch / Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch / Zu heißen!« (II, 5; LM III, 63). Beide werden Freunde, und der Tempelherr weigert sich nicht länger, den Dank des ›Judenmädchens‹ anzunehmen. Der (vermeintliche) Name des Tempelherrn, Curd von Stauffen, gibt Nathan ebenso zu denken wie seine äußere Erscheinung und Stimme, die ihn stark an seinen vor vielen Jahren verstorbenen Freund Wolf von Filneck erinnern (II, 7; LM III, 66 f.). Schon hier ahnt er, dass Recha und der Tempelherr verwandt sein könnten.
Bevor er diesen Ahnungen nachgehen kann, wird er zum Sultan gerufen, der dringend Geld braucht und, weil er vom Derwisch Al-Hafi gehört hat, dass Nathan nicht borgt (II, 2; LM III, 51 f.), ihn mit einer von Sittah erdachten List (III, 4) dazu bringen will, ihm Geld zu leihen: Er stellt ihm die Frage, welche von den drei Religionen – Islam, Judentum, Christentum – die wahre sei (III, 5; LM III, 87 f.). Nathan antwortet ihm nach kurzer Überlegung mit einem »Mährchen«, der berühmten Ringparabel (III, 7; LM III, 90-95), mit der er die drei Religionen als Erbe ein und desselben Gottes postuliert, das alle drei gleichermaßen zu Humanität und Toleranz verpflichtet: »Es eifre jeder seiner unbestochnen / Von Vorurtheilen freyen Liebe nach! / Es strebe von euch jeder um die Wette, / Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag / Zu legen!« (III, 7; LM III, 94 f.). Der tief beeindruckte Saladin vergisst sein ursprüngliches Vorhaben und bittet Nathan um seine Freundschaft. Als Nathan ihm sein Geld von sich aus anbietet, gesteht Saladin ihm seine ursprünglichen Absichten.
Unterdessen ist der Tempelherr mit Recha zusammengetroffen, hat sich sogleich in sie verliebt (III, 2; III, 8) und hält nun bei Nathan um ihre Hand an. Doch Nathan antwortet ihm hinhaltend. Er will zuerst näheren Aufschluss über die Herkunft des Tempelherrn gewinnen (III,9).
Den bekommt er durch den Klosterbruder (IV, 7). Zunächst jedoch ist es der Zuschauer, der hier Aufschluss darüber bekommt, was es mit seinem Verhältnis zu Recha und mit Dajas Anspielungen auf sich hat, die darauf hindeuten, dass er nicht Rechas Vater ist (I, 1): Tatsächlich ist sie nicht seine leibliche Tochter, sondern ein Kind seines Freundes Wolf von Filneck und dessen Frau, einer Schwester des Conrad von Stauffen (den der Tempelherr für seinen Vater hält bzw. ausgibt). Wolf von Filneck hatte vor 18 Jahren das nur wenige Wochen alte Kind nach dem Tod seiner Mutter von einem Reitknecht zu Nathan bringen lassen und war bald darauf bei Askalon gefallen. Nathan selbst hatte wenige Tage zuvor seine Frau und sieben Söhne bei einem von Christen begangenen Judenpogrom verloren. Dennoch hatte er keinen Moment gezögert, die Tochter eines (vermeintlichen) Christen an Kindes Statt anzunehmen und liebevoll aufzuziehen (IV, 7; LM III, 138 f.).
Der Klosterbruder, der sich als eben jener Reitknecht zu erkennen gibt, der Nathan das Kind einst brachte, hat ein Gebetbüchlein seines Herrn aufbewahrt, auf dessen Vorsatzblättern Wolf von Filneck seinen und seiner Frau Stammbäume verzeichnet hat (IV, 7; LM III, 141; V, 4; LM III, 150). Dieses Büchlein bringt schließlich Gewissheit und bestätigt Nathans Ahnungen: Auch der Tempelherr ist ein Kind seines Freundes und also Rechas Bruder, sein vermeintlicher Vater Conrad von Stauffen ist sein Onkel. Davon erfahren die Zuschauer freilich erst mit diesen beiden am Ende des Stücks (V, 8), das auch die letzte Überraschung an den Tag bringt: Wolf von Filneck war kein Christ, sondern ein Muslim und niemand anderes als Assad, der schmerzlich vermisste Bruder des Sultans Saladin, der die brüderliche Handschrift in dem Gebetbüchlein sofort erkennt (V, 8; LM III, 176).
Von den Verwicklungen, die diesem glücklichen Ende vorausgehen und die der gekränkte Tempelherr, angestiftet durch Dajas Verrat (III, 10), herbeiführt, bekommt Nathan nur am Rande Kenntnis (IV, 7; LM III, 135; V, 4; LM III, 150; V, 5; LM III, 153 f.). Sein Part ist es, die christlich-muslimische »Familie« glücklich zu vereinen, mit der ihn selbst freilich keine Blutsbande, sondern nur die ›von Vorurtheilen freye Liebe‹ verbindet, die seine Ringparabel fordert (und die keiner Blutsverwandtschaft bedarf).
Recha (Blanda von Filneck)
Nathans Tochter wird bei einem Brand in ihrem Vaterhaus von einem jungen Tempelherrn gerettet, den sie, beeinflusst von der religiösen Schwärmerin Daja, für einen Engel hält. Der von einer Handelsreise zurückkehrende Nathan muss einige Mühe aufwenden, um sie zu der vernunftgemäßen Beurteilung aller Dinge zurückzuführen, die er sie gelehrt hat. Erst als er an ihre mitmenschliche Empfindung appelliert, indem er ihr die Möglichkeit vor Augen hält, der verschwundene Retter könnte krank sein, lässt sie von ihrer Schwärmerei ab und nimmt die väterliche Lektion an: »Begreifst du aber, / Wie viel andächtig schwärmen leichter, als / Gut handeln ist?« (I, 2; LM III, 16-18).
Die Szene beleuchtet gleich zu Beginn Rechas Charakter und ihr Verhältnis zu Nathan: Sie ist jung, leicht beeinflussbar und hat ein gutes Herz; sie liebt ihren Vater innig, der ihr eine Erziehung angedeihen lässt, die auf rationale und humane Normen gründet und ihrer »Natur« (II, 4; LM III, 56) zur Entfaltung verhilft, statt sie durch »kalte Buchgelehrsamkeit« zu ›verkünsteln‹ (V, 6; LM III, 161 f.).
Dass Daja eine Neigung hat, diese Erziehung zu unterlaufen, ist Recha durchaus bewusst, nur kennt sie die Gründe nicht und fürchtet (nicht zu Unrecht), Daja könnte einen leisen Groll gegen Nathan hegen: »Was that er dir, den Saamen der Vernunft, / Den er so rein in meine Seele streute, / Mit deines Landes Unkraut oder Blumen / So gern zu mischen?« (III, 1; LM III, 75). Bei der Beurteilung von Dajas »Glaubenshelden«, den Kreuzrittern, erweist sie sich ganz als Tochter ihres Vaters: »Ihr Glaube / Schien freylich mir das Heldenmäßigste / An ihnen nie. Doch so viel tröstender / War mir die Lehre, daß Ergebenheit / In Gott von unserm Wähnen über Gott / So ganz und gar nicht abhängt.« (III, 1; LM III, 76).
Während sich der Tempelherr sofort in Recha verliebt und sie heiraten möchte, bleibt Recha (zu Dajas Unzufriedenheit) zurückhaltend und ruhig (III, 3). Ihr Herz scheint, anders als seines, von ihrer beider Blutsverwandtschaft zu wissen (vgl. V, 8; LM III, 174).
Wenig später, auf dem Weg zum Sultanspalast, in den Sittah, die Schwester des Sultans, sie hat rufen lassen, offenbart Daja ihr zur Unzeit, dass sie nicht Nathans leibliche Tochter ist, und stürzt sie damit in tiefe Unruhe, denn sie fürchtet den Verlust des geliebten Pflegevaters (V, 6-7; LM III, 162-167).
Dieser Sorge ist sie bald ledig, denn zuletzt löst sich alles glücklich auf: Nathan versichert ihr, dass er ihr als Vater »unverloren« bleibt (V 8; LM III, 169), und lässt sie wissen, dass sie eigentlich Blanda von Filneck heißt, dass sie die Tochter einer deutschen Christin und eines Muslim und die Schwester des Tempelherrn ist, und dass sie, da ihr Vater Assad war, der Bruder des Sultans, außerdem auch noch in Saladin und Sittah einen Onkel und eine Tante hat.
Daja
Die Christin lebt in Nathans Haus als Gesellschafterin Rechas und vertritt an ihr Mutterstelle. Von Rechas Amme weiß sie, dass ihr Schützling nicht Nathans leibliche Tochter und christlich getauft ist, kennt aber die näheren Umstände ihrer Herkunft nicht. Zwar schätzt sie Nathans Güte und Menschlichkeit, nimmt ihm aber übel, dass er Recha nicht im christlichen Glauben erzieht, und liegt ihm öfter mit ihrem christlichen »Gewissen« in den Ohren, das diese Fehlleitung eines Christenkindes nicht länger ertragen könne (I, 1; IV, 6).
Denn Daja hat denselben religiösen Dünkel, der in diesem Stück den Christen von mehreren Seiten nachgesagt wird (etwa von Sittah). Sie hält die christliche Religion für die einzige wahre Religion, wie selbst Recha deutlich erkennt: »Ach! die arme Frau, – ich sag’ dirs ja – / Ist eine Christinn; – muß aus Liebe quälen; – / Ist eine von den Schwärmerinnen, die / Den allgemeinen, einzig wahren Weg / Nach Gott, zu wissen wähnen!« (V, 6; LM III, 164). Mit ihrem Hang zu religiöser ›Schwärmerey‹ steckt sie Recha gleichwohl an, wenn sie ihr vorschwatzt, ihr Retter sei ein Engel gewesen (III,1 ; LM III, 75).
Daja unternimmt alles, um Rechas Verbindung mit dem Tempelherrn zu befördern, hofft sie doch, dass das Christenkind dadurch endlich in das ihm angemessene religiöse Milieu kommt. Diesem Ziel zuliebe ist sie sogar bereit, ihr Nathan gegebenes Versprechen zu brechen (II, 8): Sie verrät dem Tempelherrn Rechas christliche Herkunft (III, 10) und löst damit die Verwicklungen aus, die das glückliche Ende und Nathan selbst gefährden (vgl. Tempelherr).
Als Recha in den Sultanspalast gerufen wird, verfällt Daja dem Wahn, der »Muselmann« wolle Recha seinem Harem einverleiben (IV, 8; LM III, 143), und glaubt, Recha zu schützen zu müssen, indem sie auch ihr Nathans Geheimnis preisgibt (V, 6; LM III, 165 f.).
Tempelherr (Curd von Stauffen, Leu von Filneck)
Der junge Tempelherr wurde als Gefangener nach Jerusalem gebracht, von Saladin jedoch begnadigt, da er dessen Bruder Assad ähnlich sieht. Bei einem Feuer in Nathans Haus rettet er dessen Tochter Recha aus den Flammen und verschwindet unbemerkt. Auch später will er keinen Dank dafür, weil er mit Juden nichts zu tun haben will (I, 4; LM III, 26), und verhöhnt Daja, die ihn des öfteren darum bittet, Rechas Dank annehmen zu wollen (I, 1). Auch mit Nathan will er nichts zu schaffen haben: »Auch laßt / Den Vater mir vom Halse. Jud‘ ist Jude. / Ich bin ein plumper Schwab« (I, 6; LM III, 38).
Dass er gleichwohl das Herz auf dem rechten Fleck hat, macht seine Reaktion auf Nathans Versuch deutlich, ihm die Unmenschlichkeit seiner Judenverachtung vor Augen zu führen: Er schämt sich (II, 5; LM III, 63). Beide werden Freunde, und der Tempelherr weigert sich nicht länger, den Dank des ›Judenmädchens‹ entgegenzunehmen.
Bei der Begegnung mit Recha verliebt er sich augenblicklich in dieses ›Judenmädchen‹, lässt seine Vorurteile vollends fahren (III, 8; LM III, 98 f.) und hält bei Nathan um Rechas Hand an (III, 9). Nathans hinhaltende Antwort kränkt den leicht zu Kränkenden, und als Daja ihm unmittelbar danach Rechas christliche Herkunft verrät (III, 10), gerät er in Hitze, beginnt an Nathan zu zweifeln und wird sogleich wieder anfällig für seine antijüdischen Vorurteile: Er nimmt sich übel, »geträumt« zu haben, »ein Jude könn‘ auch wohl ein Jude / Zu seyn verlernen« (IV, 4; LM III, 125).
Im »Sturm der Leidenschaften«, wie er später einsieht (IV, 4; LM III, 128), sucht er Rat und christlichen Beistand beim Patriarchen von Jerusalem (IV, 2), dem er sonst eher distanziert gegenübersteht (vgl. I, 5). Zwar legt er ihm den Fall der Erziehung eines Christenkindes durch einen Juden nur als »Problema«, als theoretischen Fall, vor, ohne Namen zu nennen, bringt Nathan damit aber potentiell in Gefahr, denn der Patriarch hat auf das »Problema« nur eine Antwort: »der Jude wird verbrannt« (IV, 2; LM III, 117), und will herausfinden, um wen es sich handelt. Zum Glück setzt er den Klosterbruder auf den Fall an, dessen Anstand und tolerante Gesinnung er nicht kennt (IV, II; LM III, 119).
Sodann verrät der Tempelherr auch dem Sultan Nathans Geheimnis und gerät dabei abermals in Hitze, nennt Nathan einen »tolerante[n] Schwäzer« und einen »jüd’schen Wolf / Im philosoph’schen Schafpelz« (IV, 4; LM III, 127). Damit landet er bei Saladin freilich schlecht (»Sey ruhig, Christ!«). Der Sultan ermahnt ihn, den Freund nicht sogleich den Schwärmern des christlichen »Pöbels« preiszugeben (was auf Daja gemünzt sein dürfte), und gibt ihm den weisen Rat, »keinem Juden, keinem Muselmanne / zum Trotz ein Christ« zu sein (IV, 4; LM III, 128). Er befiehlt ihm, Nathan zu ihm zu bringen, und bietet sich als Vermittler an. Dass Recha auf Sittahs Wunsch in den Palast gebracht wird, ist eine Folge dieses Gesprächs (IV, 5; LM III, 130).
Danach legt sich der »Sturm der Leidenschaften«. Der Tempelherr kommt zur Besinnung und erkennt, was er durch sein Gespräch mit dem Patriarchen angerichtet hat: »Ha! / Was hab‘ ich Queerkopf nun gestiftet! – Daß / Ein einz’ger Funken dieser Leidenschaft / Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann!« (V, III; LM III, 149). Um den Fehler wieder gutzumachen, gesteht er Nathan alles und bestürmt ihn, ihm Recha sofort zur Frau zu geben, um sie und Nathan vor dem Zugriff des Patriarchen zu schützen (V, 5). Doch Nathan, der sich inzwischen mit Hilfe des Klosterbruders über alle verwandtschaftlichen Beziehungen Klarheit verschafft hat, bleibt gelassen und nimmt ihn mit zum Sultanspalast.
Dort kann der ungeduldige junge Mann nur zögernd akzeptieren, Rechas Bruder zu sein, findet sich aber schließlich hinein: »Ihr nehmt und gebt mir, Nathan! / Mit vollen Händen beydes! – Nein! Ihr gebt / Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!« (V, 8; LM III, 175). Dass er Sittahs und Saladins Neffe ist, hatte er dagegen schon geahnt: »So waren jene Träume, / Womit man meine Kindheit wiegte, doch – / Doch mehr als Träume« (V, 8; LM III, 177).
Derwisch, Ein (Al-Hafi)
Nathans Freund und »Schachgesell« Al-Hafi ist während Nathans Abwesenheit zum Schatzmeister des Sultans Saladin ernannt worden und damit gar nicht glücklich. Er hat dieses Amt übernommen, weil er sich geschmeichelt fühlte durch die Meinung des Sultans, nur ein Bettler kenne die Not der Bedürftigen und wisse ihnen zu helfen (I, 3; LM III, 23). Dass der Sultan damit sich selbst meinte und Al-Hafi für ihn Geld borgen soll, geht ihm gegen den Strich: »Ich, der ich nie für mich gebettelt habe, / Soll nun für andre borgen. Borgen ist / Viel besser nicht als betteln: so wie leihen, / Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist, / Als stehlen« (II, 9; LM III, 71).
Als Nathan sich weigert, ihm Geld für den Sultan zu leihen, möchte er sein Amt hinwerfen (I, 3; LM III, 21 f.), und als er später hört, dass Saladin gegen seinen Rat Nathan in den Palast bestellt hat, ist er es vollends leid und will nicht mit ansehen, wie sein Freund geschröpft wird. Er verläßt Jerusalem, um zu ›seinen‹ Ghebern an den Ganges zu gehen, denn am »Ganges / Am Ganges nur giebts Menschen« (II, 9; LM III, 72).
Ein Derwisch ist ein mohammedanischer ›Bettelmönch‹. – Arabisch ›Al Hafi‹ bedeutet ›Barfuß‹. – Die »Gheber« sind eine parsische Glaubensgemeinschaft, die allerdings nicht am Ganges, sondern am Kaspischen Meer beheimatet ist. – Die zum geflügelten Wort gewordene Bemerkung Nathans »Kein Mensch muss müssen« (I, 3; LM III, 19) ist an Al-Hafi gerichtet, der die Übernahme des Amtes zunächst als Zwang darstellen möchte, bevor er zugibt, dass er auf die Schmeichelworte des Sultans hereingefallen ist.
Patriarch von Jerusalem, Der
Das Oberhaupt der christlichen Kirche in Jerusalem repräsentiert seine Kirche nach außen mit Prunk und Pomp (IV, 2; LM III, 113) und zieht im Hintergrund die Fäden des Glaubenskriegs. Wie seine Aufträge an den Klosterbruder zeigen (I, 5), ist ihm jede Schurkerei recht, die vermeintlichen Feinde des Christentums zu bekämpfen; den Tempelherrn möchte er unter anderem als Meuchelmörder an Saladin dingen (vgl. v.a. I, 5; LM III, 32 f.).
Theologisch vertritt er einen starren, menschenfeindlichen Dogmatismus, den er bei seinem einzigen Auftritt im Stück (IV, 2), bei seiner Begegnung mit dem Tempelherrn, unzweideutig dokumentiert. Vom Tempelherrn befragt, wie mit einem Juden zu verfahren sei, der ein getauftes Christenkind als Tochter annimmt und als Jüdin aufwachsen lässt, weiß er nur eine und auf alle Einwände des Tempelherrn stereotyp wiederholte Antwort: »der Jude wird verbrannt« (IV, 2; LM III, 117). Vor der weltlichen Macht, dem Sultan, kuscht der strenge Glaubensmann (ebd.; LM III, 119).
Manche Interpreten halten dafür, Lessing habe seinem Hauptgegner im sog. Fragmentenstreit, dem orthodoxen Hamburger Pastor Goeze, in der Figur des dogmatischen Patriarchen Gestalt verliehen.
Klosterbruder, Ein (Bruder Bonafides)
Der Klosterbruder Bonafides hat bis vor kurzem als Eremit in der Nähe von Jericho gelebt, bis seine Klause von »arabisch Raubgesindel« zerstört wurde. Er ist den Räubern entkommen und hat sich nach Jerusalem gerettet, wo er nun darauf wartet, dass ihm der Patriarch eine neue Einsiedelei zuweist. Bis dahin muss er dem Patriarchen dienen, der ihn »zu allerley« gebraucht, wovor der brave Mann, wie er Nathan gesteht und der Zuschauer zu beobachten Gelegenheit hat (I, 5; IV, 1), »großen Eckel« hat (IV, 7; LM III, 135). Die Weigerung des Tempelherrn, dem Patriarchen zu Diensten zu sein, nimmt er mit Freude zur Kenntnis (I, 5; LM III, 34).
Den Plänen des Patriarchen, jenen (ihm noch unbekannten) Juden zu verfolgen, der ein Christenkind an Kindes Statt aufgezogen hat (IV, II; LM III, 119), macht der Klosterbruder selbst einen Strich durch die Rechnung. Er sucht Nathan auf und gibt sich ihm als jener Reitknecht zu erkennen, der Recha 18 Jahre zuvor im Auftrag ihres Vaters Wolf von Filneck, Nathans Freund, in seine Obhut übergeben hat (IV, 7; LM III, 136 ff.). Er informiert ihn über die üblen Absichten des Patriarchen und versichert ihn seiner Verschwiegenheit.
Nathans Entscheidung, Recha als eigene Tochter aufwachsen und nicht durch Christen erziehen zu lassen, hält er für völlig richtig und versteht sie als Zeichen rechter Liebe: »Und Kinder brauchen Liebe, / […] In solchen Jahren mehr, als Christenthum« (IV, 7; LM III, 137 f.). Vorurteile gegen Juden gehen ihm vollständig ab: »Und ist denn nicht das ganze Christentum / Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft / Geärgert, hat mir Tränen gnug gekostet, / Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, / Daß unser Herr ja selbst ein Jude war« (IV, 7; LM III, 138).
Mit Hilfe seiner Erinnerungen und eines Gebetbüchleins, das er noch von Wolf von Filneck aufbewahrt hat und in dem dieser Notizen über seine Angehörigen verzeichnet hat (IV, 7; LM III, 141; V, 4; LM III, 149-151), gelingt es Nathan, die Herkunft des Tempelherrn und dessen wie auch Rechas Verwandtschaft mit Saladin und Sittah aufzuklären.
Emir, Ein (Mansor)
Emir Mansor führt die Karawane mit den vom Sultan langersehnten Tributzahlungen aus Ägypten. Auf Saladins Geheiß muss er sogleich den größeren Teil des Geldes auf den Libanon zum Vater des Sultans bringen (V, 2; LM III, 147).
Mameluken
Drei Mameluken, die Sultan Saladin nacheinander immer dieselbe Nachricht von der Ankunft der Karawane des Emir Mansor überbringen, sorgen am Beginn des 5. Akts für ein komödiantisches Zwischenspiel: Der erste und der zweite Mameluk feilschen mit Saladin gierig um einen möglichst hohen Botenlohn, der dritte geht leer aus, weil der Emir fast gleichzeitig mit ihm den Raum betritt (V, 1).