Jerichow Nord (Mariengabe)
Militärflugplatz im Norden Jerichows, von dessen Bau und Einrichtung viele Handwerker in Gneez und Jerichow, darunter auch Gesines Vater Heinrich Cresspahl, profitieren. 1938 in Betrieb genommen.
468-469 Die Reichswehr, »die jetzt Wehrmacht hieß«, schreibt 1935 einen Auftrag aus für »Bebauung und Straßenbau und Arbeiten für Tischler und Klempner und Glaser und Dachdecker und Schornsteinbauer und Gärtner auf mehreren Hektar nördlich von Jerichow, in der Mitte zwischen der Stadt und der See, wo das Land recht hoch über dem Wasser lag.« – »Tatsächlich blieben die Handwerker im Kreise Gneez fast ganz unter sich bei der Anlage von Jerichow Nord. Nur für die Betonarbeiten und die Stahlbauten kamen Spezialfirmen aus Berlin und Hamburg. So bekamen die Hotelbesitzer auch noch etwas ab. Da war für fast jeden gesorgt. Da lag etwas in der Luft, da war was zu merken, und manch Einer sprach es auch aus: Nu geit dat los.« [Nun geht es los.]
469 Cresspahl möchte gern den Auftrag für die Inneneinrichtung des Offizierskasinos haben, aber den bekommt der Innungsmeister Wilhelm Böttcher. »Also gab Cresspahl sich zufrieden mit den Betten, den Wandschränken, Schilderhäuschen und dem Lattenrost, auf dem der Posten seine Wache stehen muß, sonst kriegt er kalte Füße.«
471 »Und die Straßen in Jerichow Nord waren so sonderbar breit angelegt an manchen Stellen. Und hinter dem Riegel aus Kasernenbauten war nicht nur so viel Land eingezäunt, wie für einen Exerzierplatz nötig war. Die Zäune gingen Kilometer weit nach Westen. Und die breiten Straßen wurden immer länger, die hörten gar nicht wieder auf. Und die Kinder von Jerichow lernten lange Zeit das falsche Wort für Flugzeuge, die lernten: Jäger, und sie lernten: Bomber«.
489-490 In der Militärbadeanstalt des Flugplatzes, nach dem Krieg »Mili« genannt, hat Gesine Cresspahl schwimmen gelernt. Sie wurde vergessen, als die Anlage von der sowjetischen Besatzung gesprengt und geschleift wurde.
495 Die Jerichower nennen den Flugplatz Jerichow Nord ›Mariengabe‹, »nach dem Dorf, das dabei draufgegangen war«.
701-704 Feier zur Einweihung des Flugplatzes am 26. Oktober 1938 mit Reden von Friedrich Jansen und Oberstleutnant von der Decken, dem Kommandeur von Jerichow Nord.
710-711 »Der Verdienst an den Flughafenbauten war für Cresspahl nicht weitergegangen. Schlachter Klein lieferte Fleisch für die Besatzung, Papenbrock buk das Brot, die Gastwirtschaften verdienten an den Wochenenden der Soldaten. Die Hotels in Rande, früher längst eingemottet um diese Zeit, waren dicht belegt, mit Lehrgängen, Ehefrauen, Filmabenden der N.S.D.A.P. Schneider Pahl ließ seine Geschäftsanzeige täglich an anderen Stellen des Gneezer Tageblatts laufen [...]. Die Geschäftswelt Jerichows hatte die Ankunft der Truppe in einem gemeinschaftlichen Inserat begrüßt. [...] Cresspahl hatte Zeit zum Spazierengehen.«
831-835 Innungsmeister Willi Böttcher verschafft Heinrich Cresspahl nach Lisbeths Tod und der Zerstörung seiner Werkstatt eine Anstellung als Tischler am Flugplatz. – Gesine und Marie Cresspahl über Heinrich Cresspahls Spionage für die Briten in Jerichow Nord.
861 Bei dem Luftangriff auf Lübeck im März 1942 wird »eher versehentlich« auch ein Hangar von Jerichow Nord zerstört.
964-969 Der Flugplatz verliert rasch an Bedeutung. Entsprechend werden auch Heinrich Cresspahls Berichte für die Briten zunehmend wertlos. Zuletzt hat Jerichow Nord »keinen Treibstoff mehr und betrieb nichts als Grundausbildung, alle drei Monate einen neuen Durchgang. Der Flugplatz war still geworden«.
1034 Nach dem Krieg betrachten die Jerichower den Fliegerhorst als »unglückselige[s] Zeichen für die Teilnahme der Stadt am Krieg der Anderen«.
1373 Die Ortsgruppe der Liberal-Demokratischen Partei stellt 1946 bei der sowjetischen Kommandantur den Antrag, die leer stehenden Kasernen-Gebäude mit »Umsiedlern« zu belegen. Der Kommandant, ein Nachfolger von K. A. Pontij, lässt wissen: »Den Flugplatz gibt es nicht«.
1552-1553 Im Juli 1948 sprengen die Sowjets die Anlage. Am Nachmittag zeigt Johnny Schlegel der fünfzehnjährigen Gesine die Überreste von dem, »was einst der Fliegerhorst Mariengabe gewesen war«, und »bewies es mir: der Flughafen hatte zu dicht gelegen an der ›künftigen Front‹«.
Vgl. auch 473. 474. 496-498. 531. 532. 654-655. 743. 858. 860. 871. 984. 994. 1018. 1221. 1242. 1451. Anhang X. und XVII.