Semig, Dora
Ehefrau von Tierarzt Dr. Arthur Semig in Jerichow, geb. Köster aus Schwerin. Emigriert mit ihrem Mann im Dezember 1937 nach Österreich, dann in die Tschechoslowakei, schließlich über die Schweiz nach Paris und Cannes, zuletzt in Hamburg.
294-295 Sie ist »ihrem Mann so ähnlich, daß ihr Anblick den ihres Mannes gleich mit vor Augen brachte, beide groß gewachsen, schmal und fest am ganzen Leibe, mit etwas steifen, trockenhäutigen Gesichtern, die doch zu ganz behenden, weichen, freundlichen Bewegungen imstande waren«. Nach den ersten Übergriffen auf Juden im Frühjahr 1933 kündigt ihr Dienstmädchen. »Dora Semig war mit Dienstmädchen aufgezogen worden.«
418 Zu Cresspahls ›Wünschen an das Jahr 1934‹ zählt auch, »daß Dora und Arthur sich besinnen möchten und außer Landes gehen. Er war nun fast befreundet mit dem Mann, so weit es eben gehen konnte mit einem Studierten [...]. Es war nicht gut anzusehen, wie Semig ohne Arbeit zusammenschnurrte, wie zacher Weizen. Und Dora wurde immer stiller und sich selbst nur ähnlich, wenn sie die Gesine im Arm hatte. Er wünschte, sie wären in Sicherheit. Er konnte ihnen das nicht sagen.«
589 Ihre Eltern, die Kösters in Schwerin, sorgen »der Tochter zuliebe« dafür, dass ihr Schwiegersohn im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Hagemeister und Warning in Untersuchungshaft genommen wird. Ihre Mutter hat »Freunde in Kreisen des Herzoghauses, der Vater Kollegen aus seiner Zeit in der DEPO, der Mecklenburgischen Depositen- und Wechselbank. Das waren die Kösters.«
623-626 Dora besticht Wachtmeister Fretwust, um Hafterleichterungen für ihren Mann zu erreichen. Während seiner Inhaftierung erleidet sie zunehmende Anfeindungen: Bürgermeister Friedrich Jansen beschlagnahmt das Haus mehrere Stunden, um es zu vermessen (er will es kaufen); auf dem Gneezer Bahnhof wird sie von Frieda Klütz bespuckt (worauf sie den beschmutzten Mantel auszieht und der »keifenden Altjungfer« in den Arm legt). Ihr zuliebe willigt Semig in die Emigration ein, beharrt aber darauf, »daß sie von einer Reise sprechen wollten, nicht von einer Auswanderung«. Er nimmt eine durch Baron von Rammin vermittelte Stelle als Gutsveterinär bei Rammins Freund Graf Naglinsky in Österreich an.
650-652 Bei Naglinsky halten die Semigs es wegen antisemitischer Anfeindungen im Dorf nur kurze Zeit aus. Im März 1938 gehen sie nach Prag, wo Dora Semig bei reichen Auswanderern mit Flickschneidereien Geld verdient und Semig als Pfleger in einer Tierklinik arbeitet. – Doras Eltern nehmen sich um diese Zeit in Schwerin das Leben.
891-893 Im November 1942 erhält Cresspahl einen in Leipzig abgestempelten Brief von Dora Semig in französischer Sprache, den er sich von Dr. Kliefoth übersetzen lässt: Die Semigs sind nach der Besetzung der Tschechoslowakei in die Schweiz gegangen, von dort nach Paris, wo sie ihr letztes Geld verbraucht haben. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich sind sie ins unbesetzte Gebiet entkommen. Leben in der Nähe von Cannes mit falschen Papieren, Semig arbeitet als Schlachter.
982 Offenbar mit Bezug auf Dora Semigs letzten Brief (891-893) stellt Gesine Cresspahl sich am 12. April 1968 bei einer Begegnung mit Mrs. Ferwalter die Frage: »Was mag Dora Semig gemeint haben, als sie sich erklärte zu einer ›Jüdin, die ich bin‹? Ist sie bei den Tschechen oder den Franzosen zum Glauben der Juden übergetreten? Hat Semig am Ende in der Fremde versucht, wie die Juden zu leben?«
1872 Zwanzig Jahre später lässt Dora Semig »ihren Mann aufbieten; er möge sich vor dem Amtsgericht Hamburg melden bis zum 2. September 1960; widrigenfalls er für tot erklärt werde«.
Vgl. auch 317. 357. 358. 363-364. 428. 431. 472. 529. 546. 547. 591.