Atôn
Der Name ist im Roman dem neuen monotheistischen Konzept des Sonnengottes vorbehalten, dessen »Hervorbildung« schon unter Amenhotep III. beginnt (V, 1376) und dann von Echnatôn energisch vorangetrieben wird. Echnatôn verehrt zwar Atum-Rê-Horachte, den Sonnengott von On, als seinen himmlischen »Vater«, betrachtet ihn aber als eine transitorische Form der Gottheit, aus der »mit Hilfe menschlicher Gedankenarbeit, langsam, aber immer vollendeter, ein neuer, unsagbar schöner, hervortrat, nämlich der wundervolle, aller Welt leuchtende Atôn« (V, 1383).
Echnatôn hat eine radikal vergeistigte, abstrakte Auffassung des Sonnengottes: Atôn soll nicht mehr, wie sein Vorgänger Atum-Rê, an kreatürliche Gottesvorstellungen gebunden sein, soll nicht mehr »als ein Kommen und Gehen, ein Werden, Vergehen und Wieder-Werden« gedacht werden, also »nicht als ein auf den Tod abgestelltes und darum phallisches Leben, ja überhaupt nicht als Leben, insofern Leben stets auf den Tod abgestellt ist«, sondern als eine abstrakte Idee, »als reines Sein« und als die »wechsellose, keinem Auf und Ab unterworfene Quelle des Lichtes«. Deshalb drängt Echnatôn auch auf eine abstraktere bildliche Darstellung des Gottes: Atôn soll nicht mehr in Menschen- oder Vogelgestalt oder als falkenköpfiger Mensch erscheinen wie Atum-Rê-Horachte, sondern nur als »die pure, lebenstrahlende Sonnenscheibe« (V, 1367), deren Strahlen in »gütige Hände« endigen, »die des Vaters Schöpfung liebkosen« (V, 1455).
Inspiriert durch Josephs Bericht von Abrahams Erkenntnis, dass die sichtbare Welt nur ein Zeugnis Gottes, aber nicht Gott selbst, also auch die Sonne zwar ein Zeugnis, aber nicht der Bezeugte selbst sei (V, 1464), treibt Echnatôn die Abstraktion noch einen Schritt weiter: Auch Atôn sei nicht etwa »das wirkliche Sonnenrund droben am Himmel«, sondern dessen Herr, »der die Glut ist in ihm, und der seine Wege lenkt« (V, 1466). Deshalb sei er auch nicht der Vater »am Himmel«, sondern der Vater »im Himmel« zu nennen, »das Sein des Seins, das nicht in den Tod blickt, das nicht wird und stirbt, sondern ist, das stehende Licht, das nicht aufgeht noch untergeht, die unwandelbare Quelle, aus der all Leben, Licht, Schönheit und Wahrheit quillt« (V, 1468 f.).
Der von Amenhotep III. und Echnatôn beförderte Aufstieg Atôns zum ersten und, wenn es nach Echnatôn ginge, einzigen Gott hat auch politische Gründe. Es geht darum, Macht und Einfluss der Priesterschaft des Reichsgottes Amun zurückzudrängen. Zu diesem Zweck soll Amun »aus seiner gewalttätigen Verbindung mit der Sonne, der er seine Allgemeingültigkeit verdankte«, gelöst und »auf den Rang einer Lokalgröße, des Stadtgottes von Wêset« zurückgeführt werden (V, 1376). Geltung, Wert und Echtheit der religiösen Ziele sieht der Erzähler dadurch nicht in Frage gestellt: »Es heißt die Einheit der Welt verkennen, wenn man Religion und Politik für grundverschiedene Dinge hält, die nichts miteinander zu schaffen hätten noch haben dürften, so daß das eine entwertet und als unecht bloßgestellt wäre, wenn ihm ein Anschlag vom anderen nachgewiesen würde« (V, 1377).
Auch Echnatôns zärtliche Liebe zu seinem »Vater« Atôn (vgl. V, 1456-1458) und seine inständigen Bemühungen um die reine Lehre verbinden sich mit politischen Zielsetzungen. Schon kurz nach dem Regierungsantritt lässt er den von seinem Vater begonnenen Bau eines Atôn-Tempels in Karnak »in höchster Schnelle« vollenden und in dessen Hof einen riesigen Obelisken errichten, »dessen an die Lehrmeinungen von On an der Spitze des Dreiecks sich anschließender Sonnensinn dem Amun offenbar die Stirne bieten sollte« (V,1365).
Einige Jahre später legt er seinen Krönungsnamen Amenhotep (›Amun ist zufrieden‹) ab, weil es ihn »auf die Dauer schwer belästigt«, Amun im Namen zu führen (V, 1446), und nennt sich »Ech-n-Atôn (›Es ist dem Atôn wohlgefällig‹)« (V, 1535).
Schließlich baut er eine neue Königsstadt, Achet-Atôn, und verlegt den Hof von Theben dorthin, – »ein harter Schlag für Nowet-Amun, Theben, die ›hunderttorige‹, die durch den Wegzug des Hofes Gefahr lief, zur Provinzstadt herabzusinken, und eine krasse Kundgebung gegen den Reichsgott zu Karnak, mit dessen gebieterischer Hausbetreterschaft Pharao's zarte Inbrunst für den Liebend-All-Einigen schon während der fetten Jahre in immer schwereres Zerwürfnis geraten war« (V, 1693).
In der »Staatenwelt« spricht sich rasch herum, »daß in Ägyptenland nicht mehr der eiserne Amun-Rê, sondern eine gemütvolle Blumen- und Piepvogel-Gottheit den Ton angebe, die um keinen Preis das Schwert des Reiches färben wolle« (V, 1767). Die außen- wie innenpolitischen Gefahren, die »die liebliche Gemütsverfassung eines späten Erben über das Reich Tutmose's, des Eroberers« zu bringen geeignet ist, kann Josephs Wirtschaftspolitik »wenigstens eine Zeitlang« bannen (ebd.).
TM stützt sich hier auf Erman/Ranke (297 f., 462-464), Weigall (24-27), Schäfer (11-18 u. pass.). – Abb.: (1) Das neue Bild des Sonnengottes Aton zu Echnatons Zeit. – (2) Die königliche Familie unter der Strahlensonne Atons.