Amun (Amun-Rê, Ammun)

Als Joseph hört, dass ihn die Midianiter nach No-Amun (Theben), der Stadt Amuns, bringen werden, fürchtet er sich ein wenig, woran besonders der Name Amuns schuld ist, »dieser gewaltige Name, geladen mit Einschüchterung für jedermann, gebieterisch auftretend auch dort, wo der Gott fremd war« (IV, 686). Denn Amun, soviel weiß er schon, ist der »König der Götter«, der Größte, wenn auch nur »in den Augen der Kinder Ägyptens« (IV, 687). Der alte Midianiter, der seine Größe an der »Zehrung« misst, die ihm ausgesetzt wird, nennt ihn einen »Gott sondergleichen« (ebd.).

Amun-Rê ist der »Reichsgott« Ägyptens. In der Königsstadt Theben sind ihm zwei imposante Tempelanlagen geweiht: Epet-Esowet in Karnak im Nordosten und das »Südliche Frauenhaus« im Süden. Seine Priesterschaft, angeführt vom »Ersten Propheten« des Gottes Beknechons (V, 945), bildet eine starke politische Macht, die sogar eine eigene Tempeltruppe unterhält, wie Joseph gleich bei seiner Ankunft in Theben mit Missfallen bemerkt (IV, 777 f.). Wenig später wird er erfahren, dass die Priesterschaft auf die Absetzung der regierenden Dynastie und die Einrichtung eines theokratischen Gottesstaates hinarbeitet (V, 957 f.): Es ist Amuns »geheimes Vorhaben, die Doppelkrone mit seinem Feder-Kopfputz zu vereinigen und selbst die Dynastie zu stellen« (V, 1379).

Die Machtansprüche des »schweren Kollegiums von Karnak« sind nicht neu, und ihre Abwehr ist ein »königliches Erbgeschäft alter Tage«, mit dem schon Tutmose IV. beschäftigt war (V, 1376). Wie er suchen auch sein Sohn Amenhotep III. und sein Enkel Echnatôn der Macht des Amun mit einer Stärkung des alten Sonnengottes Atum-Rê-Horachte bzw. dessen erneuerter Form Atôn zu begegnen, um »Amun-Rê aus seiner gewalttätigen Verbindung mit der Sonne, der er seine Allgemeingültigkeit verdankte, zu lösen und seine Übermacht auf den Rang einer Lokalgröße, des Stadtgottes von Wêset zurückzuführen, der er vor jenem politischen Schachzug gewesen war« (V, 1376).

Denn Amuns Macht beruht auf einer »eigenmächtige[n] Selbstgleichsetzung« mit dem Sonnengott, durch die er sich, wie die verbitterten Priester von Per-Sopd feststellen, »völkische Urtümlichkeit« angeeignet habe, obwohl er »in dem Verdachte stehe, nubischer Herkunft und ursprünglich ein Gott des elenden Kusch zu sein« (IV, 725).

Auch den alten Erntegott Min, der an verschiedenen Orten als »Sonderform höchster Sonnenkraft« verehrt wird, hat Amun sich ›einverleibt‹. Von ihm hat er den Kopfputz »hoch an Federn« übernommen (V, 1183).

Das Bildnis des Gottes in der »heiligste[n] Dunkelkammer« des Tempels von Karnak ist »ein eigentümlich unförmiges Hockepüppchen«, das »heilig versteckt in seiner verschleierten Kapelle« auf einer »widderkopfgeschmückten Barke« sitzt. Beim Neujahrsfest wird die Barke »auf langen Schulterstangen von vierundzwanzig Blankschädeln in gestärkten Überschürzen« ans Licht getragen und zusammen mit den Barken der Gattin Amuns Mut und beider Sohn Chonsu in feierlicher Prozession zum ›Südlichen Frauenhaus‹ gebracht (V, 1245).

Die weltläufige Priesterschaft des alten Sonnengottes Atum-Rê-Horachte zu On geht mit Amuns Usurpationen gelassener und scharfsinniger um als die vergrämten Priester von Per-Sopd. In ihren Augen ist Amuns Vereinigungsstreben ein plumpes, geistloses Machtgebaren und theologisch völlig indiskutabel. Schon gar nichts habe es mit der zu On gepflegten ›Theologie der Zusammenschau‹, der (monotheistischen) ›Wissenschaft vom Dreieck‹ (vgl. Atum-Rê-Horachte) zu tun, denn es »geschehe nicht im Geiste des Dreiecks und der Versöhnung«, sondern »vielmehr in dem Sinn, als ob Amun den Rê besiegt und verzehrt« habe, – eine »brutale Handhabung der Lehre« und »engstirnige Anmaßung« (IV, 736).

Mit der Weltoffenheit und Toleranz des »Horizontbewohners« Atum-Rê-Horachte, mit seinem ›heiter-lehrhaften‹ und ›beweglichen Sonnensinn‹ (V, 941) hat Amun denn auch nichts gemein. Ihm fehle, so die Sonnenpriester zu On, »jede spekulative Anlage«, und sein Horizont sei »in der Tat so eng [...], daß er nicht nur nichts kenne und wisse als Ägyptenland, sondern auch hier wieder, statt gelten zu lassen, nichts könne als verzehren und einverleiben, indem er sozusagen nicht über seine eigene Nase hinaussehe« (IV, 736).

Amun-Rê »war von allem, was Atum-Rê war, das Gegenteil. Er war starr und streng, ein verbietender Feind jeder ins Allgemeine ausschauenden Spekulation, unhold dem Ausland und unbeweglich beim nicht zu erörternden Völkerbrauch, beim heilig Angestammten verharrend – und dieses alles, obgleich er viel jünger war als der zu On, also, daß hier das Uralte sich als beweglich und weltfroh, das Neuere aber sich als unbeugsam bewahrend erwies, eine konfuse Stellung der Umstände« (V, 942).

Amun will die Welt »eins machen [...] in der Dienstbarkeit starren Schreckens«, resümiert Echnatôn. Atôn dagegen wolle »seine Kinder vereinigen in Freude und Zärtlichkeit« (V, 1450).

Zum Zeichen, »daß Atum-Rê aufgegangen sei in Amun«, trägt Beknechons das Leopardenfell, das eigentlich nur dem »Ersten Propheten des Atum-Rê zu On« zusteht (V, 947 f.). Eine ähnliche Anmaßung ist in Bezeichnung und Kleidung der Damen vom ›Hathoren-Orden‹ in Amuns ›Südlichem Frauenhause‹ enthalten, die sich ›Hathoren‹ nennen und bei ihren Auftritten den Kopfputz der Hathor tragen. Sie folgen darin Amuns Gattin Mut, die es ihrem Gatten gleichtut und sich mit Atum-Rês Gattin, »der bezwingenden Hathor« gleichsetzt (V, 945 f.).

Joseph, für den Amun »nur ein Götze« ist (V, 948), neigt stark der Sicht der Sonnenpriester von On zu. Er hält den Amunskult für abstoßend rückständig, zumal er gehört hat, dass Amun nicht nur als Widder dargestellt wird, wie die vom ›Südlichen Frauenhaus‹ zum Amun-Tempel in Karnak führende »Widder-Sphinxallee« anzeigt (IV, 772), sondern auch im »greuliche[n] Bocksgau«, in Djedet (V, 1293), ein Schafbock als seine ›lebende Wiederholung‹ verehrt wird, Bindidi, dem beim alljährlichen ›Bespringungsfest‹ eine Jungfrau zugeführt wird (IV, 687 f.). Für Joseph ist dieser Brauch, von dem ihm schon der Vater erzählt hatte (IV, 97), nicht »ehrwürdig«, wie der alte Midianiter behauptet, sondern »einfach bloß überständig« und »verrottet«, ein »Greuel vor Gott und ein Unflat« (IV, 688).

Die durch den Dienst an Atum-Rê bzw. Atôn geprägte weltoffen-tolerante Gesinnung des Hofes, die auch das Hauswesen des »Wedelträgers zur Rechten des Königs« Potiphar prägt, begünstigt Josephs Karriere in dessen Haus (V, 940 f.). Amun dagegen, in der Gestalt seines ›Ersten Propheten‹ Beknechons, »blickt scheel auf Joseph« (V, 937). In Potiphars Haus hat er seinen »Stützpunkt hauptsächlich im Frauenhause« (IV, 831), denn Mut-em-enet gehört dem Hathoren-Orden an und Beknechons geht bei ihr ein und aus (V, 945 f.).

Die Charakterisierung Amuns stützt sich vor allem auf Erman (104-108, vgl. auch das Kapitel über die ›Ketzerzeit‹ genannte Regierungszeit Amenhoteps III. und Echnatôns, 109-130). – Die sodomitische Geschichte von Bindidi hat TM von Mereschkowskij (45). Sie beruht, wie Assmann II (92-97) betont, auf Fehldeutungen seines Gewährsmannes Herodot (94).

Die nachdrückliche Betonung der totalitären Tendenzen der Amuns-Priesterschaft, ihrer engstirnig nationalistischen und rückständigen Gesinnung legt nahe, ihre Charakterisierung als Anspielung auf den Nationalsozialismus wie auch umgekehrt die ihrer aufgeklärten, weltoffenen Gegenspieler in On als Anspielung auf die westlichen Demokratien zu lesen.

Abb.: (1) Die Dreiheit von Theben. Ausschnitt aus dem ›Papyrus Harris‹. – (2) Die Barke des Amun im Totentempel Sethos I. in Abydos – (3) Bronzefigur des Amun (18. Dynastie)..

Letzte Änderung: 17.05.2018  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück