Krull, Felix

»Indem ich die Feder ergreife«... beginnt der Ich-Erzähler, der zugleich der Held seiner »Geständnisse« ist. Er schreibe »in völliger Muße und Zurückgezogenheit«, sei sehr müde und nun 40 Jahre alt (I, 1., 265). Über seinen Aufenthaltsort lässt er die Leser im Unklaren – eine psychiatrische Anstalt? Bald ist von seinem »trügerischen Leben« die Rede (266), bald auch von Zuchthaus-Jahren. Dennoch stellt er sich als begabten, heiteren, lebenszugewandten Menschen vor, der »aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichem Hause« im Rheingau stamme (265). Felix ist 1874 im Rheingau geboren, im Mai, als Sonntagskind. (»Der Rheingau hat mich hervorgebracht. Thomas Mann«, lautete eine Sektwerbung in den 80er Jahren).

Felix der Glückliche! Dem Programm dieses Namens ist er entschlossen zu folgen, begünstigt durch eine ungewöhnlich angenehme Erscheinung, liebenswürdig für beide Geschlechter, mit blauen Augen, blondem Haar und goldbrauner Haut. Er führt seine Besonderheit auf Natur zurück, auf den »edleren Stoff«, aus dem er gemacht sei (I, 2., 273). Schon früh entwickelt der Knabe eine starke Abneigung gegen die Normalität, vor allem die Schule. Er frönt seinem Hang zum schöneren, süßeren Leben, z.B. durch das Auftreten als Wunderkind von 8 Jahren mit präparierter Geige (281 f.) und das Stehlen von »Malzbonbons zum Privatgebrauch« aus einem Laden (I, 7., 309 f.). Sein liederliches Elternhaus nimmt er hin, während er sich der »feindseligen« Schule durch perfektes Krankspielen oft zu entziehen weiß (I, 6., 298 ff.).

Schauspielerische Fähigkeiten übt der Halbwüchsige auch als Modell bei seinem Paten, dem Maler Felix Schimmelpreester, der ihn in dekorative Verkleidungen steckt, da er einen schönen Wuchs und einen »Kostümkopf« habe (I, 4., 284). Ein bedeutendes Ereignis ist für den Vierzehnjährigen die Begegnung mit dem Schauspieler Müller-Rosé bei einer Operetten-Aufführung in Wiesbaden (I, 5.) Nach dem bezaubernden Bühnenauftritt sieht er einen ekelhaft-hässlichen Menschen; gerade dies überzeugt Felix aber von der Macht des Künstlichen, des Scheins.

Mit etwa 16 genießt er ein Verhältnis mit dem Zimmermädchen Genovefa. Bei dieser Gelegenheit spricht der Ich-Erzähler über seine »Begabung zur Liebeslust«, die ans Wunderbare grenze (I, 8., 312).

Nach dem Tod des Vaters verlässt Felix die Oberrealschule ohne Abschluss. Ihm ist längst klar, dass bürgerliche Examina und Berechtigungen für sein zukünftiges Leben keine Bedeutung haben werden (I, 9., 319 f.). Dass er »amtlich zum Denken nicht befugt« ist, weiß er – er verfügt über natürliche Gaben (I, 7., 309). Mit 18 Jahren zieht Felix mit der Mutter nach Frankfurt und hilft ihr beim Betreiben einer kleinen Pension. In der großen Stadt fördert er seine persönliche Bildung, indem er abends die Schaufenster studiert und so jede Art von feiner Ausstattung gründlich und gedächtnisstark in sich aufnimmt, während er selbst noch in ärmlicher Kleidung friert (II, 4.).

Bevor er als Kellner nach Paris gehen kann, wie es sein Pate für ihn eingefädelt hat, muss Felix die Musterung für den Militärdienst bestehen, auf die er sich mit Verstand – durch medizinische Lektüre – und schauspielerische Einübung gründlich vorbereitet hat (II, 5.). »Auf Dampfes Schwingen« fährt er im nächsten Mai nach Wiesbaden zur Rekrutierungskommission (II, 5., 352 ff.). Er behauptet, völlig tauglich zu sein, erwähnt dann ungern »Migräne« (»Verzagtheit des Körpers«!) und Absenzen während der Schulzeit und muss zugeben, dass sein Vater viel trank und sich umbrachte. Die Kommission nimmt Anstoß an seiner gehobenen Redeweise – die sich hier zur doppelten Selbstparodie steigert. Am Ende kulminiert seine Darbietung in der perfekten Imitation eines epileptischen Anfalls. Wieder hat die Kunst über die Natur gesiegt.

In der Großstadt widersteht er erotischen Lockungen so lange, bis das »Freudenmädchen« Rozsa aus Ungarn ihm ihre private Gunst anbietet (II, 6., 379 ff.). Sie bildet in den nächsten Monaten Felix' Naturbegabung zur Liebe aus – er sei durch sie »benervt« worden, schreibt er. Wenn er gelegentlich als Beobachter und Beschützer ihrer professionellen Tätigkeit fungiert, lehnt er das gängige Etikett dafür als unzutreffend ab: es gibt für ihn nur die persönliche Tat, die keinem objektiven Maßstab unterliegt.

Im Herbst reist der nun Zwanzigjährige nach Paris, um eine Stelle im Hotel »St. James and Albany« anzutreten: zum letzten Mal dritter Klasse in der Eisenbahn, »als Fahrtgenosse der Unerquicklichkeit« (II, 7., 386). Den Zollbeamten an der Grenze gewinnt er durch seine französische Rhetorik – wobei er fast absichtslos ein Schmuckkästchen aus dem Nachbarkoffer in den seinen gleiten lässt. Das vornehme Hotel empfängt ihn unwirsch, doch muss man Pate Schimmelpreesters Abmachung mit Hoteldirektor Stürzli zur Kenntnis nehmen.

Felix tritt als unbezahlter Liftboy »Armand« in den Dienst des Hotels (II, 8., 416 f.). Im Personal-Schlafraum wird er bei der Besichtigung der Juwelen, die er sich angeeignet hat, von Stanko beobachtet. Der Kollege schickt ihn zu einem Hehler, Monsieur Jean-Pierre, von dem er 4500 Franken, etwa ein Viertel des eigentlichen Wertes, erhandelt.

Am zweiten Tag trifft er bei der Bedienung des Paternosters die Dame wieder, der der gestohlene Schmuck gehört, Madame Houpflé (II, 9.). Das macht ihn nicht verlegen, er genießt vielmehr das »zarte Geheimnis« zwischen ihnen (II, 9., 435f.) – ein heftiger Kuss besiegelt ihre Verabredung für die Nacht. Felix ist natürlich dem geforderten Liebesdienst vollkommen gewachsen; schließlich gesteht er ihr den Diebstahl, und sie ist begeistert; auf ihren Wunsch nimmt er weitere Juwelen und Geld, um seine Hermes-Rolle zu erfüllen. Für die mit Erlaubnis entwendeten Juwelen und Geldscheine bekommt er 12.350 Franken, ein kleines Vermögen (III, 1.).

Nachdem Felix/Armand die Gäste ein halbes Jahr lang als Liftboy bedient hat, eröffnet ihm der Maitre d'hotel, Monsieur Machatschek, er könne sich nun als Teller-Abkratzer in der Küche versuchen. Bald aber darf er die Tische abräumen und avanciert dann zum Kellner. Kaum hat er damit begonnen, fallen schon die ersten Opfer seiner Bezauberungskunst (III, 2., 474 ff.). So geschieht es Miss Twentyman, der 17-18jährigen Tochter eines reichen Paares aus Birmingham. Das »Zicklein« ist so maßlos in Felix verliebt, dass er sich ihrer kaum erwehren kann.

Zugleich erliegt ihm Lord Kilmarnock (III, 2., 480 ff.). Nach einer Woche spricht er von seiner Einsamkeit und seinem Wunsch, Felix als Kammerdiener mit auf seine schottischen Besitztümer zu nehmen. Felix tut der melancholische Lord leid, aber er kommt nicht in Versuchung, auch nicht, als Kilmarnock ihm eine Adoption in Aussicht stellt. Er bekommt den Smaragdring des Lords zum Geschenk – und trägt ihn »jetzt« (III, 2., 491).

Im Hotel speist öfter der junge Marquis de Venosta, auch mit seiner Pariser Freundin Zaza, einer Soubrette (III, 3.). Felix trifft ihn eines Abends außerhalb seiner Kellner-Rolle in einem vornehmen Hotel (III, 4.). Venosta klagt Krull sein Leid: seine Eltern wollen ihn von Zaza trennen und ihn auf eine einjährige Weltreise schicken – sonst wird er enterbt. Krull sei ein Weltmann, wie seine abendliche Verwandlung beweise. Sie vereinbaren, dass Krull anstelle von Venosta reist und dessen Identität annimmt. Nun wird seinem Sein der passende Schein hinzugefügt. »Mitfühlender Leser! Ich war sehr glücklich. Ich war mir kostbar und liebte mich« (III, 5., 523). Felix eignet sich die Informationen über Venostas Familie gründlich an, sie tauschen Geld und Kreditbriefe. Er verlässt das Hotel noch vor Monatsende, macht die notwendigen Einkäufe und fährt dann erster Klasse nach Lissabon, von wo am 15. August sein Schiff nach Argentinien abgehen soll.

Zur Einübung bekommt er bald Gelegenheit, denn im Speisewagen teilt er den Tisch mit Professor Kuckuck, dessen Hobby Stammbäume sind: er kennt alle Namen der weitverzweigten Venosta-Familie (III, 5., 534). Durch den Paläontologen lernt Felix aber noch ganz andere Stammbäume kennen, er wird belehrt über die Vor- und Frühgeschichte der Erde und des Menschen: Welten eröffnen sich ihm durch des Professors Rede, der er mit »Neubegierde« und einem sich steigernden Gefühl »bedeutsamer Weitläufigkeit« lauscht.

Als Marquis de Venosta genießt er in Lissabons bestem Hotel einen exquisiten Empfang. Zufällig sitzt er dann in einem Café neben Frau und Tochter von Professors Kuckuck (III, 6., 558 ff.). Am nächsten Vormittag besichtigt er dessen Museum. Er ist ergriffen, denn alle frühen Werke der Natur sind Vorversuche, um zu ihm, dem Menschen, zu gelangen (III, 7.). Nach gemeinsam mit der Familie verbrachtem Mittag und Nachmittag wird er aufgefordert, wiederzukommen (III, 8.).

In einem langen Brief an die »Eltern« vom 25. August 1895 schildert er einen Herrenabend beim luxemburgischen Gesandten von Hüon, an dem es ihm gelang, die ganze Gesellschaft mit albernen Anekdoten von den Hunden »seiner Mutter« zum Lachen zu bringen (III, 9.). Das verschafft ihm eine Einladung zur Audienz bei König Carlos I., so dass er nun guten Grund hat, seine Abreise um 6-7 Wochen zu verschieben. Er entdeckt seine »freudig royalistische Gesinnung« und unterhält den König so gut, dass er am Ende einen Orden bekommt.

In den folgenden Wochen fährt er öfter die beiden Damen Kuckuck und deren Begleiter Hurtado aus (III, 10.). Dabei kann er fortfahren, der kratzbürstigen Zouzou die Liebe zu erklären, die sie für ein »Bubenlaster« hält. Beredt setzt er poetische Beschreibungen der Liebe gegen ihre drastischen. Er erlebt vor seiner Abreise noch einen Stierkampf als feierlich-leidenschaftliches Volksfest (III, 11., 659 ff.). Dabei interessiert ihn die Hingabe der würdevollen Maria Pia Kuckuck mehr als Zouzou, und so kommt es, dass sein letzter Besuch bei Familie Kuckuck mit Tränen Zouzous und der Liebesumarmung mit der Mutter endet.

Was danach aus Venosta/Krull wird, erfahren wir nicht mehr – sein nächstes Reiseziel war Buenos Aires. Es gibt Andeutungen im Text über luxuriöse Lebensumstände, Einbrüche und mehrere Verhaftungen.