Anup

Der ägyptische Totengott, Führer in die Unterwelt und Totenwächter Anubis, dargestellt als Schakal oder Hund oder als Menschengestalt mit Hunds- oder Schakalskopf, ist ein Verwandter des griechischen Hermes und eine der zahlreichen Hermesgestalten des Romans. Ihm geht allerdings viel von dem Witz und den Reizen ab, die dem »Herrn der Stückchen« (V, 1429), dem »Schalksgott« und »diebsschlauen Weltkind« eigen sind (V, 1471). Zwar hat er eine schöne Gestalt und schlanke Läuferbeine, aber der hässliche Hundskopf verdirbt alles (IV, 288 f.), und das »Stückchen«, das er immerhin auch zu erzählen weiß (s.u.), ist »unflätig« (IV, 293).

Für Jaakob ist Anup ein abstoßendes »beizendes Tier der Wüste, ein Hundsknabe mit schönem Bein« (V, 1793). Er begegnet dem Hundsköpfigen auf seiner Reise nach Charran zu seinem Onkel Laban, nachdem er bei Damaschki den »Westpunkt der Wende« erreicht hat, von dem aus es »in der Welt Höllenunteres« geht, in die Wüste, die er »mit Furcht und Abscheu« erblickt. Da läuft ihm einige Zeit ein Schakal voraus, »lang, spitzohrig und schmutziggelb, die Rute waagerecht ausgestreckt, eines traurigen Gottes Tier, eine anrüchige Larve.« Das Tier verbreitet einen »beizende[n] Dunst«, wendet zuweilen seinen Kopf nach Jaakob und lässt »ein kurzes Lachen« hören (IV, 221).

Sieben Jahre später, kurz vor seiner Hochzeit, hat er einen Traum, in dem er erneut durch die Wüste reitet und abermals einem Schakal begegnet, der vor ihm her trabt und sein eigentümliches Lachen hören lässt, sich dann aber in eine Menschengestalt mit einem Hundskopf verwandelt, die auf einem Stein dasitzt wie der Hermes des Lysippos (vgl. Abb. 2). Aber an den Schultern »begannen dem Gotte Haare zu wachsen und wurden zum lehmgelben Pelz des Hundskopfes [...], der ihm anstand, wie eben ein blödes Haupt einem stattlichen Körper ansteht: entwertend und traurig, so daß dies alles, Bein und Brust, nur lieblich gewesen wäre, es aber mit diesem Haupte nicht war« (IV, 288 f.). Jaakob erkennt ihn sofort: »Du bist Anup, der Führer und Öffner der Wege, ich weiß es« (IV, 289).

Jaakob weiß noch mehr, denn das ›Stückchen‹, das er sich im Traum von Anup erzählen lässt, ist die Geschichte von der vertauschten Braut, die ihm selbst unmittelbar bevorsteht: Anup erzählt ihm die Geschichte seiner Zeugung, die das Ergebnis einer Verwechslung war. Usir (Osiris) zeugte ihn »aus Versehen« mit Nebthot (Nephthys), seiner Schwester und Gattin seines ›roten Bruders‹ Set (IV, 289-291). Jaakob findet die Geschichte, ihre Fortsetzung zumal (IV, 292 f.), abscheulich, und der Traum »verwischte sich ihm bald« (IV, 293). Später aber wird ihm die falsche Braut Lea ›hundsköpfig‹ vorkommen (IV, 357). Auch die oben zitierte Bemerkung über das Missverhältnis zwischen einem schönen Körper und ›blöden Haupt‹ korrespondiert mit einer sehr ähnlichen Bemerkung des Erzählers über Lea (vgl. IV, 237). Dass dagegen auf Josephs schönem Jünglingskörper keineswegs ein »Hundskopf, sondern etwas sehr Gewinnendes, mit annähernd göttlichem Menschenmund Lächelndes sitzt«, wird eigens vermerkt (IV, 395).

Auf Anups Aufgabe, die Mumifizierung der Toten zu überwachen oder auch selbst vorzunehmen, spielt Potiphars Mutter, die alte Tuij, an, wenn sie gegen ihren Brudergatten Huij Verwunderung äußert darüber, dass sie immer noch am Leben sind, statt schon längst mumifiziert und »mit hochragenden Füßen« auf »Löwenschragen« im Tempel zu ruhen, »und über uns beugt sich Anup mit spitzen Ohren« (IV, 859). Wenig später kommen die beiden Alten auch auf das Totengericht zu sprechen, bei dem Anup als Führer des Toten und als Aufseher der Waage agiert (IV, 860 f.). – Beim Ritual der Mundöffnung, das Joseph sich vom Bäckermeister Bata in Menfe erklären lässt, fällt Anup (bzw. einem Priester in Hundsmaske) die Aufgabe zu, die Mumie aufrecht zu halten (IV, 758 f.; V, 988).

Auf der Reise nach Ägypten, als die Karawane des alten Midianiters in der Wüste bei Menfe in der Nähe der großen Sphinx ihr Lager aufschlägt und Joseph zu nächtlicher Stunde noch einmal vor die Sphinx tritt, heulen von ferne Schakale (IV, 744). – Auch während des unterweltlichen Liebeszaubers, den Tabubu, die Kuschitin, für Mut-em-enet veranstaltet, hört man »aus der gebleichten Wüste des Ostens das Heulen von Schakalen« (V, 1232).

Bei öffentlichen Anlässen tragen die Pharaonen einen Schakalschwanz, ein tierisches »Attribut, das aus irgendwelchen vergessenen, aber im Dunkel aufbewahrten und heiliggehaltenen Ur-Gründen zum altstrengsten Ornat des Königs gehörte«. Dem jungen Echnatôn verursacht das Tragen des Schwanzes Übelkeit (V, 1375). Nicht verwunderlich, dass Anup neben Amun, Usir, Eset, Chnum, Thot, Set und Ptach zu den Göttern gehört, deren Gedächtnis er ausradieren möchte (V, 1812).

In dem Märchen von den zwei Brüdern, das Mai-Sachme bei Josephs Ankunft im Gefängnis bruchstückhaft erzählt (V, 1313 f.), heißt einer der Brüder Anup (V, 1313 f.). Das Verhältnis der Figur zum Totengott bleibt offen.

Abb.: (1) Blatt aus dem Totenbuch des Schreibers Hunefer (Ausschnitt). – (2) ›Ruhender Hermes‹. Bronze nach Lysippos aus Herculaneum. – (3) Wandbild aus dem Grab des Sennedjem in Deir el-Medina (13. Jh. v. Chr.).

Letzte Änderung: 08.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück