Set (Setech)

Set, der Bruder und Mörder des Usir (Osiris), ist im Roman das mythische Ur-Modell des ›Roten‹ (vgl. IV, 188-194), des Herrn der Wüste, der Lebensfeindschaft, des ›bösen Bruders‹, in dessen Spuren u.a. Ismael und Esau gehen (IV, 193, 200). Der Name Typhons, des Riesen und Ungeheuers der griechischen Mythologie, wurde ihm schon von altersher gegeben (IV, 190).

Die Geschichte von Set und Usir wird im Roman in einem Jaakobs-Traum von Anup erzählt (IV, 288-293). Danach sind Usir und Eset, Set (Seth) und Nebthot (Nephthys) Geschwister, Kinder der Götter Geb und Nut, und zugleich ehelich verbundene Paare (IV, 290). Eines Nachts zeugt Usir, im Glauben, seine Gattin Eset zu umarmen, mit seiner Schwester Nebthot den Anubis; erst am Morgen bemerken beide ihr »Versehen« und fliehen entsetzt voneinander (IV, 291 f.). Set entdeckt den Ehebruch und verfolgt seinen Bruder, lockt ihn in eine »Lade«, wirft ihn in den Nil und wird alsbald »König aller Länder auf dem Throne Gebs« (IV, 292), während Usir Herr der Unterwelt wird. Sets Triumph währt nicht lange, denn Usirs Sohn Horus rächt den Vater (IV, 292).

Sets Tier ist der Esel (IV, 193), er selbst ist eselsköpfig. Typhon-Set, »der rote Jäger«, unterweist die ägyptischen Könige in Karnak im Bogenschießen (IV, 190; vgl. Erman/Ranke 325). Ihm werden die lebensfeindlichen Kräfte der Sonne zugeschrieben, der »Glut- und Wüstenwind Chamsin«, der Sonnenbrand und »das Feuer selbst, so daß er zum Baal Chammon oder zum Gotte der offenen Gluthitze wurde und unter den Phöniziern und Ebräern Moloch hieß oder Melech, der Baale Stierkönig, der mit seinem Feuer die Kinder frißt und die Erstgeburt und welchem Abram den Jizchak darzubringen versucht gewesen war« (IV, 190 f.; vgl. Melech). Sets Stern ist Nergal-Mars, »der siebennamige Feind, Mars, der rote, der Feuerplanet« (IV, 191).

Nach dem Gesetz der ›rollenden Sphäre‹ und ihrer »Wahrheit, daß Götter Menschen, Menschen dagegen wieder Götter werden können« (IV, 190), ist auch Set »beides und keines zuerst: Gottstern und Mensch, wechselnd, in einem. Darum kommt keine andere Zeitform ihm zu als die der zeitlosen Gegenwart, welche die Schwingung der Sphäre in sich beschließt, und mit Recht heißt es immer von ihm: ›Er ist der Rote.‹« (IV, 191).

Als Mensch und »König über Ägypterland« könnte Set, vermutet der Erzähler, der Erbauer der großen Sphinx von Gizeh gewesen sein (IV, 22). Auch spreche einiges dafür, dass eine erste Einigung des ägyptischen Reiches nicht erst durch den legendären Pharao Menes, sondern schon weit früher durch Set und Usir bewerkstelligt worden sei, woraus dann auch zu folgern sei, dass die Geschichte des Brudermords weniger mit dem Ehebruch als vielmehr mit Thronstreitigkeiten zu tun hatte, »welche damals mit List und Verbrechen ausgetragen wurden« (IV, 22 f.).

Was redensartlich »aus den Tagen des Set« stammt, ist so »unvordenklichen Alters« wie das ›rote‹ Prinzip selbst. Dem jungen Joseph gefällt die Redensart, und auch »wir«, meint der Erzähler, »finden sie höchst verwendbar und schlechthin auf alles passend, – ja, wohin wir nur blicken im Bereiche des Menschlichen, legt sie sich uns nahe, und aller Dinge Ursprung verliert sich bei schärferem Hinsehen in den Tagen des Set« (IV, 24).

Das »Land des Set und der roten Krone« ist Unterägypten. Dort liegt auch die Inselfestung Zawi-Rê, Josephs zweite ›Grube‹ (V, 1293). Set gehört neben Amun, Usir, Eset, Anup, Chnum, Thot und Ptach zu den Göttern, deren Gedächtnis Echnatôn ausradieren möchte (V, 1812).

Isaaks Halbbruder Ismael, der in den Spuren des ›bösen Bruders‹ wandelt, wird »einem Waldesel verglichen, dem Tiere Typhon-Sets, des Mörders, des bösen Bruders Usiri's« (IV, 193).

Das ›Tier des Set‹ gibt, was sein zoologisches Vorbild angeht, Rätsel auf. Seine Deutung als Esel bei Erman (38 f.), Jeremias I (406) und Braun (I, 289 f.) dürfte TM sehr willkommen gewesen sein, weil sie die Korrespondenz zwischen den beiden ›bösen Brüdern‹ und ›Roten‹, Set und Ismael, stützt. In anderen Abbildungen, die ihm zur Verfügung standen, ähnelt es eher einem hundeartigen Tier mit pfeilförmigem Schwanz (vgl. z.B. Erman, 38; ErmanAeRe, 25 und Erman/Ranke, 272). Erst über einen Selbstkommentar TMs wird erkennbar, dass er die von einigen Ägyptologen auch erwogene Deutung des Tieres als Erdferkel (vgl. Bonnet, 702) gekannt haben muss, obwohl seine ägyptologischen Gewährsleute sie nicht nennen: In einem Brief an seine amerikanische Übersetzerin Helen T. Lowe-Porter vom 23.6.1937 lässt er ihr durch Katia Mann Cha'ma'ts Fluch »Zum Erdferkel!« (IV, 852) erklären: Es sei ein von ihm erfundener Fluch, der auf das Tier des Set anspiele (Selbstkommentare, 158). Im Roman selbst wird diese Verbindung nirgends hergestellt. In dem (nach diesem Selbstkommentar entstandenen) vierten Teil des Romans gibt es eine ähnliche Formel: »Das wäre des Erdferkels«, sagt Nefer-em-Wêse zu Joseph, »wenn ich nicht dein gedenken und dich nicht erwähnen wollte« (V, 1358). – Mit der Gleichsetzung Typhons und Sets, die schon in der Antike vollzogen wurde (vgl. Pauly, V, 1022; Bonnet, 714), folgt TM wohl vor allem Braun (I, 289 f.).

Abb.: (1) Zeichnung des eselsköpfigen Set mit koptischer Inschrift. – (2) Kalksteinstele des Aapehty (um 1200 v. Chr.). – Vgl. auch die Darstellung des Set aus dem Grab Thutmosis III. bei WikimediaCommons.

Letzte Änderung: 27.02.2015  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück