Benjamin (Ben-Jamin, Benoni, Ben-oni, Turturra)

Benjamin, der »Sohn der einzig Rechten« (IV, 387, vgl. auch IV, 111), ist der jüngste der zwölf Söhne Jaakobs und der zweite Rahels. Rahel stirbt bei seiner Geburt, weshalb sie ihn ahnungsvoll Ben-oni, »Sohn des Todes«, nennen möchte (Genesis 35,18). Jaakob aber, Rahels Todesahnung abwehrend, widerspricht: »›Benjamin, Benjamin‹, sagte er weinend. ›Mitnichten Ben-oni!‹ Und hier war es, wo er zum erstenmal, über sie hin und hinauf in die silbrige Weltennacht, gleichsam als Eingeständnis seines Begreifens, die Frage richtete: ›Herr, was tust du?‹« (IV, 387 f.)

Jaakob begegnet dem »kleinen Mörder« (IV, 166) und »Todessöhnchen« (IV, 389, 445 u.ö.) mit »schmerzlicher Scheu«, zwar »nicht unzärtlich«, doch so, dass er »seinen Anblick eher mied als suchte, von Zeit zu Zeit aber den Jüngsten lange und inständig ans Herz drückte, ihn Benoni nannte und an seinem Ohre von Rahel sprach« (IV, 441). Das Verhalten des Vaters nährt ein »Gefühl tragisch schuldloser Schuld«, das Benjamin mit sich herumträgt, und »eine schüchterne Schwermut lag wie ein Schatten über seiner kleinen Person« (ebd.).

Da mit dem Vater »kein recht unbefangenes Auskommen« ist, schließt Benjamin sich um so inniger seinem »Vollbruder« Joseph an, den er »auf alle Weise bewunderte« (ebd.). Und Joseph, der, weil er seinerseits unter den Brüdern »recht vereinsamt dastand, solche Anhänglichkeit sehr wohl brauchen konnte«, nahm ihn »zum Freunde und Vertrauten« (ebd.). Manchmal nennt er ihn mit einem babylonischen Kosenamen »Turturra«, was soviel wie »Kleinchen« bedeutet (IV, 484).

Der Leser lernt Benjamin zuerst als Achtjährigen näher kennen. Da ist er ein »pausbäckiger Junge«  (IV, 440) und geht mit seinem Bruder »an unseren Ort« (IV, 442), den Adonishain, wo Joseph ihm den Mythos von Tammuz-Adonis erzählt (IV, 446 ff.). Benjamin hat »schöne graue Augen [...], dichtes, metallisches Haar, das wie ein spiegelnder Helm seinen Schädel dick aufliegend von der Mitte der Stirn bis in den Nacken bedeckte« (IV, 441) und das Joseph »Otternmütze« nennt (IV, 445). Ohren und Nase sind »klein und fest«, ebenso seine »kurzfingrigen Hände, deren eine er immer dem Bruder gab, wenn sie zusammen gingen« (IV, 440 f.).

Joseph hat dabei die Angewohnheit, Benjamins Hand, wenn sie zu schwitzen beginnt, am Gelenk zu fassen und »mit ihr zu fächeln, damit sie im Winde trockne« (IV, 443). Diese Geste, über die »der Kleine immer so sehr (lachte), daß er stolperte« (ebd.), wiederholt Joseph Jahrzehnte später bei der Wiederbegegnung der Brüder in Ägypten (V, 1662), so dass Benjamins Mund sich zu einem Schrei öffnet, der aber ausbleibt (ebd., vgl. auch V, 1665 f.).

Joseph vertraut seinem kleinen Bruder »alles« an, und das »war mehr, als seine Kindlichkeit bergen konnte«, so dass sich der »Schatten von Melancholie, der über dem kleinen Muttermörder lag«, noch verstärkt (IV, 441 f.). Joseph erzählt ihm seine Träume, »auch die ganz unbescheidenen«, die er sonst niemandem erzählt (IV, 459). Bei der Erzählung seines »Himmelstraums« (IV, 460-469) gerät Benoni ins Zittern (IV, 468) und nimmt Joseph das Versprechen ab, dass er bei so unmäßiger Erhöhung dennoch der Seinen gedenken und sie »nachkommen lassen« werde (IV, 469). Jahrzehnte später wird Joseph sich an dieses Versprechens erinnern (V, 1590).

»Oder er wird uns nachkommen lassen«: Mit diesen Worten versucht Benjamin den Vater über den Verlust des Lieblings zu trösten (IV, 648). Er glaubt nicht wirklich an Josephs Tod, sondern bewahrt in sich den »unbezähmbaren Glauben« an Josephs Wiederkehr, die er »in die Vorstellung irgendeiner Entrückung (kleidete)« (ebd.). Dass diese Vorstellung keineswegs »irgendeine« ist, sondern Josephs »Himmelstraum« entspringt, weiß der Leser.

Schon sieben Jahre nach Josephs Verschwinden, »kaum, daß er kein Knirps mehr war«, verheiratet ihn der Vater zweifach, zuerst mit Mahalia und wenig später mit einem »Mägdlein« namens Arbath (V, 1540). Benjamin, der »immer noch seine vertrauenden grauen Augen und seine dick-metallische Haares-Sturmhaube hatte«, wird in kurzer Zeit Vater von fünf Söhnen. Jaakob »bevorzugte die Rahelsenkel« (V, 1541).

Benjamins »Vaterwürde« hindert Jaakob nicht daran, seinen Jüngsten immer noch wie ein Kind zu behandeln. Seit Josephs vermeintlichem Tod hält er Benoni, sein letztes ›Rahelspfand‹, »am Gängelband wie einen Unmündigen und gab ihm geringste Bewegungsfreiheit, damit ihn kein Unglück beträte« (V, 1541). Benjamin lässt sich die »peinliche Aufsicht, die seinem Gattenansehen wenig zuträglich war, wehmütig-gehorsam gefallen« (V, 1542).

Die Forderung, Benjamin mit den Brüdern nach Ägypten ziehen zu lassen (V, 1634), kommt Jaakob hart an. Fast ein Jahr vergeht, bevor er einwilligt (V, 1639). Vor dem Vater bezähmt Benjamin seine unbändige Freude über das Ende seiner »symbolischen Eingesperrtheit«, aber »vor seinen Weibern und Kindern brüstete er sich nicht wenig mit seiner Freizügigkeit und daß er nach Mizraim fahren werde, um Schimeon zu befreien durch sein Eintreten« (V, 1643 f.).

Benjamins Gefühle bei der Begegnung mit dem fremden ›Adôn‹, der sich als sein Bruder Joseph herausstellen wird (V, 1656-1664, 1665-1669), sind, so der Erzähler, »unbeschreiblich«. Das hindert ihn nicht, sie ausführlich zu beschreiben (V, 1656 ff.). Der »verschlossene Schrei«, der ihm, als Joseph wie einst im Adonishain mit seiner Hand wedelt, nicht über die Lippen kommt (V, 1662), bricht sich erst Bahn, als er Mai-Sachme mit Ross und Wagen herankommen sieht, um sie wegen des verschwundenen Silberbechers zur Rede zu stellen (V, 1670).

Benjamin gehört neben Ruben, Juda, Naphtali und Gad zu den fünf Brüdern, die Echnaton auf Josephs Vorschlag zu Hirten über seine königlichen Herden in Gosen beruft (V, 175).

Der sterbende Jaakob versäumt es, seinen Jüngsten zum Segen aufzurufen, so dass Joseph ihn vor ihn bringen und »die Segenshand zu des Brüderchens Scheitel führen« muss. Doch Jaakobs Kräfte sind verausgabt, und »was seine versagenden Lippen noch murmelten, gab keinen Reim auf des Kleinen Person. [...] Benjamin, so erlauschte man, war ein reißender Wolf, der des Morgens Raub fressen und des Abends Raub austeilen würde. Er war verdutzt, es zu hören« (V, 1805).

Band IV: 72, 111, 166, 387-389, 404, 440-459, 459-469, 483-485, 504, 507, 511, 527, 628 f., 647 f., 651, 721, 806.
Band V: 1137, 1492, 1540-1542, 1546, 1555, 1568 f., 1590 f., 1594, 1597, 1610 f., 1613-1615, 1618, 1621 f., 1630, 1631, 1633-1637, 1640-1645, 1646-1648, 1648-1650, 1654-1664, 1665-1669, 1670, 1673-1675, 1677, 1682 f., 1684 f., 1685 f., 1689, 1697, 1701, 1715-1717, 1739, 1746 f., 1751, 1774, 1789 f., 1792, 1796, 1799, 1805, 1820 f.

Vgl. Übersicht zur biblischen Genealogie. – Vgl. Karte der Stammesgebiete Israels.

Letzte Änderung: 17.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück