Gräfin von G***, Die schwedische
Die Gräfin von G*** (einen anderen Namen hat sie nicht) erzählt ihr Leben in Ich-Form für Leser und Leserinnen. Ihre Eltern starben früh, der Vater war ein rechtschaffener und nicht wohlhabender livländischer Adliger (Livland war seit 1721 russische Ostseeprovinz mit der Hauptstadt Riga). Als kleines Mädchen wurde die Waise von einem Verwandten aufgenommen, einem Landadligen in Livland, der ein Ritter war, aber ein studierter.
Nach seinem Konzept wurde sie die »Vormittage […] als ein und Nachmittage als eine erzogen« (5). »Als Mann« bedeutete, dass sie z.B. Sprachen lernen (Französisch, Latein, Italienisch, S. 18), aber nicht »gelehrt« – d.h. einseitig – werden sollte. Nach der anderen Seite war allerdings die Abgrenzung gegen das galante Weiblichkeitsideal noch aktueller, zumal das Mädchen schön ist. Dieses Ideal wird von der Muhme, der Frau des »Vetters« (d. h. Onkels) vertreten, die das Kind zu eitler Galanterie erziehen möchte (daneben auch zu Wirtschaftskenntnissen). »Aber zu meinem Glücke starb meine Frau Base, ehe ich noch das zehnte Jahr erreicht hatte« (6). Nun kann der Onkel nach seiner Einsicht das Mädchen zu Vernunft und Tugend bilden, auch Fragen und Zweifel sind ihr erlaubt. Die Religion gilt als schätzenswerte Begleiterin im Leben. Die ohnehin guten Neigungen des Mädchens machen ihm die Erziehung leicht.
Das Ziel dieser Erziehung ist, sie »klug, gesittet und geschickt« zu machen, denn da sie arm ist, wird nur ein vernünftiger Mann sie heiraten, der solche Eigenschaften zu schätzen weiß (5). So kommt es dann auch.
Ein schwedischer Graf von G*** lernt sie kennen, nach einem Jahr wirbt er um sie in einem Liebesbrief, der ohne die zeitgemäßen Floskeln auskommt. Er liebe sie, aber nur wenn sie frei einwillige, wolle er sie heiraten. Das tut sie. Sie ist 16, und es ist ihre erste Liebe (10). Da er abwesend ist, füllt ihre Liebesphantasie das Vakuum. Eine »zärtliche Braut ist in der Tat eine Kreatur aus einer andern Welt, die man nicht ohne Erstaunen betrachten kann« (10).
Sie reist dann mit ihrem Onkel zu dem Grafen, den sie seit einem Jahr nicht gesehen hat, und liebt ihn, weil er sie liebt. Er ist ein schöner Mann (13). »Unser Beilager wurde […] sehr still, aber gewiss sehr vergnügt vollzogen« (11) und zwar nach 9 Tagen. Die Trauung findet im Hause (Schloss) statt, es gibt keine große Feier, man besucht stattdessen einen guten Freund des Grafen, Herrn R** (11).
Bald muß der Graf als Obrist wieder zu seinem Regiment, sein Vater fährt unterdessen mit seiner Schwiegertochter zu seinen anderen Gütern. Dort trifft sie eine sympathische junge Frau, Caroline, angeblich eine Witwe, mit ihrem kleinen Sohn: ein Ebenbild des Grafen. Der alte Graf erklärt ihr, dass Caroline, eine Bürgerliche, die Geliebte seines Sohnes war. Nach seiner Rückkehr erklärt ihr Gemahl ihr, dass er Caroline heiraten wollte, aber der Hof die Erlaubnis verweigerte. Er zeigt ihr den großmütigen Brief, in dem Caroline auf ihn verzichtete (17). Die Gräfin ist frei von Haß oder Eifersucht, sie bewahrt den erlernten Gleichmut und vermeidet heftige Gefühle (15). Sie hat sogar Mitleid mit der jungen Frau, die den Grafen nicht heiraten durfte. Dennoch wird Caroline mit ihrem Kind nun »entfernt«, um keinen Anstoß zu erregen, nicht ohne eine großzügige Entschädigung (15 f.).
Es folgen Jahre glücklicher Ehe, dann wird der Graf an den Hof befohlen und von dort bald wieder abberufen. Sie bleibt allein am Hof zurück und muß sich der Galanterien der Höflinge erwehren (22). Ein Prinz von S** ist dadurch beleidigt, und in der Folge wird dem Paar der Hof verboten. Sie leben ruhig auf dem Land, bis der Graf in den Krieg ziehen muß und alsbald für tot erklärt wird. Der beleidigte Prinz lässt dessen Güter einziehen, die Gräfin flieht rechtzeitig mit dem treuen Freund R** und nimmt nur eine Schatulle mit Schmuck und 1000 Dukaten mit. Sie reisen zunächst nach Livland (auf welchem Wege, wird nicht berichtet), um sich dann nach Amsterdam zu begeben. Sie treffen mit Caroline und ihrem Sohn zusammen, den sie auf ihren Wunsch mit nach Holland nehmen.
In Amsterdam suchen sie eine Verwandte von Herrn R** auf, und das Unglück der Gräfin macht sie den Menschen liebenswert (31). Sie lässt ihre Juwelen für 12.000 Taler verkaufen und legt sie im Geschäft von R**s Muhme an; dafür gewinnt sie ihren Unterhalt. Inzwischen kümmert sie sich um die Bildung eines kleinen Mädchens, Florentine.
Nach einigen Jahren denkt die Gräfin wieder an Heirat, sie weist mehrere Bewerber ab, um zu entdecken, dass sie R** liebt und er sie. Er wird ihr Mann, ohne dass von einer Heiratszeremonie die Rede ist. Zur Natur des Menschen gehören Seele und Körper (38), und man soll auch genießen und glücklich sein, hat sie erkannt (35). Standesunterschiede spielen dabei keine Rolle. Sie nennt Herrn R** ihren Mann, den Grafen ihren Gemahl, das ist alles. Nach einiger Zeit bekommt sie eine Tochter.
Ihr gut angelegtes Kapital wächst, sie und ihr Mann verschenken viel Geld (59). Sie ziehen nach Den Haag zu Carolines Bruder Andreas, mit drei Mädchen: der eigenen Tochter, der Tochter von Mariane und mit Florentine.
Als Andreas Waren aus Russland erwartet, fahren die Gräfin und ihr Mann dem Schiff entgegen, und dort findet sie den Grafen wieder, den sie seit zehn Jahren für tot hielten. Verwirrung. Umarmungen. Sie läuft »ohne meine beiden Männer« davon (62), »von zween Affekten zugleich bestürmt« (63). Das Erscheinen ihrer fünfjährigen Tochter klärt den Grafen auf. Die Gräfin liebt beide – was soll sie tun? In ruhigerer Verfassung beschließt man, dass der Graf wieder Ehemann sein, Herr R** aber als Freund bei ihnen bleiben soll. Es gibt keine Schuld, nur »Schicksal«. Auch Caroline bleibt im Hause. Die Gräfin muß – als »kleine Strafe« – in Anwesenheit von Herrn R** dem Grafen ihre Liebesgeschichte mit R** erzählen (108).
Nachdem auch Steeley, ein Freund des Grafen, aus Sibirien zurückgekehrt ist, reisen alle nach London zu Steeleys Vater. Sie verbringen einige Zeit auf einem Landgut, werden von einem Nachbarn, Staatssekretär Robert, eingeladen, und dort erscheint jener Prinz von S***, der der Gräfin nachgestellt hatte und der für die Verbannung des Grafen verantwortlich war. Der Schrecken macht den Grafen krank, er stirbt (152). Zuvor will er seine Gemahlin dem Freund R** zurückgeben, aber sie lässt sich nicht darauf ein (152 f.). Auch die Werbung des Prinzen S*** weist sie entsetzt zurück.