Georg Büchner: Lenz (1835/39)

Kaufmann

Ein Freund von Lenz, »der ihn an so vieles erinnerte […], der seine Verhältnisse kannte« (37). Er kommt mit seiner Braut ins Steintal und bringt Lenz Briefe von seinem Vater (38), zugleich kritisiert er ihn, »wie er sein Leben hier verschleudre, unnütz verliere, er solle sich ein Ziel stecken und dergleichen mehr« (38 f.).

Er stößt eine Diskussion über Kunst und Literatur mit Lenz an, bei der er selbst als Anhänger der »idealistische[n] Periode« (37) argumentiert. Lenz’ Ansicht, die Kunst müsse versuchen, die Realität abzubilden, setzt er entgegen, »daß er in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll von Belvedere oder eine Raphaelische Madonna finden würde« (38). – Am nächsten Tag reist Kaufmann in die Schweiz ab, nachdem er Oberlin überredet hat, mit ihm zu reisen (39).

Lenz

Der Schriftsteller Lenz, der unter wiederkehrenden Angstzuständen und Wahrnehmungsstörungen leidet, begibt sich zur Genesung ins Elsass, nach Waldbach, wo er von Pfarrer Oberlin freundlich aufgenommen wird. Auf dem Weg durch das Gebirge erfassen ihn wechselnde Empfindungen, zuerst das lustvolle Gefühl, mit der Natur eins zu sein, dann eine »namenlose Angst« und das Gefühl, »als jage der Wahnsinn auf Rössern hinter ihm« (31).

Bei seiner Ankunft in Waldbach bessert sich sein Zustand durch die beruhigende Atmosphäre: »Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde ihm leichter« (32). Auch sein Äußeres verändert sich vorteilhaft, während ihm bei der Ankunft »die blonden Locken […] um das bleiche Gesicht« hängen und es »ihm in den Augen und um den Mund« (32) zuckt, tut ihm die Gesellschaft gut: »man drängte sich teilnehmend um ihn, er war gleich zu Haus, sein blasses Kindergesicht, das jetzt lächelte, sein lebendiges Erzählen; er wurde ruhig« (32).

Auch insgesamt fühlt sich Lenz mit der Zeit besser: »jemehr er sich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger« (34), am wichtigsten ist für ihn dabei die Person Oberlins: »seine Worte, sein Gesicht taten ihm unendlich wohl« (39). Nur nachts kehren seine Anfälle zurück: »so lange Licht im Tal lag, war es ihm erträglich; gegen Abend befiel ihn eine sonderbare Angst« (31), gegen die er »hinaus in Freie« muss, wo ihm »das wenige, durch die Nacht zerstreute Licht« und die »grelle Wirkung des Wassers« (34) helfen.

Als Kaufmann, ein Freund von Lenz, ins Steintal kommt und ihn auffordert heimzukehren, reagiert er empfindlich: »Hier weg, weg! nach Haus? Toll werden dort? Du weißt, ich kann es nirgends aushalten, als da herum« (39). Bei dem Gespräch mit Kaufmann über Literatur ist Lenz allerdings »wieder in guter Stimmung« (36). Er widerspricht dem Idealismus, den Kaufmann vertritt, und plädiert stattdessen für eine möglichst realitätsnahe Darstellung der Welt in der Literatur: »Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins« (37). Das sei »in Shakespeare […], in den Volksliedern […] in Göthe manchmal« (37) verwirklicht, den Rest könne man »ins Feuer werfen« (37). Er selbst habe dies in seinen Stücken, »im ›Hofmeister‹ und den ›Soldaten‹« versucht, darin habe er »die prosaischsten Menschen unter der Sonne« (37) dargestellt.

Nach der Abreise Oberlins beschäftigt ihn die Erinnerung an Friederike, eine alte Liebe, in deren Anwesenheit er »immer ruhig« war (42). Umso mehr leidet er darunter, dass seine Erinnerung an sie verblasst: »Doch kann ich sie mir nicht mehr vorstellen, das Bild läuft mir fort, und dies martert mich« (42). Er steigert sich in den Wahn hinein, dass er sie aus Eifersucht ermordet habe: »ach sie ist todt! Lebt sie noch? […] Verfluchte Eifersucht, ich habe sie aufgeopfert […]. Ich bin ein Mörder« (43).

Lenz versucht auch, Trost und Ruhe in der Religion zu finden, wie es ihm Oberlin rät: »Oberlin sagte ihm, er möge sich zu Gott wenden« (44). Als er jedoch auf die fixe Idee verfällt, ein Mädchen, das in der benachbarten Ortschaft Fouday gestorben ist, wiederzubeleben, und dieser Versuch scheitert, ergreift ihn ein maßloser Zorn gegen Gott: »es war ihm, als könne er eine ungeheure Faust hinauf in den Himmel ballen und Gott herbei reißen und zwischen seinen Wolken schleifen« (42). Mit dem Glauben verliert er auch den Respekt vor der Natur: »der Himmel war ein dummes blaues Aug, und der Mond stand ganz lächerlich drin, einfältig. Lenz mußte laut lachen, und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest« (43).

Dieser Atheismus beraubt ihn jeglicher Hoffnung, es folgt für ihn ein vollständiger Sinnverlust: »die Meisten beten aus Langeweile; die Andern verlieben sich aus Langeweile, die Dritten sind tugendhaft, die Vierten lasterhaft und ich gar nichts, gar nichts, ich mag mich nicht einmal umbringen« (44). Auch nach Oberlins Heimkehr bessert sich sein Zustand nur kurzfristig: »alles was er an Ruhe aus der Nähe Oberlins und aus der Stille des Tals geschöpft hatte, war weg« (46). Er neigt zu akustischen Halluzinationen, bei denen er sich einbildet, es »hätte eine fremde Stimme mit ihm gesprochen« (46), und die Anfälle werden häufiger: »Die Zufälle des Nachts steigerten sich auf’s Schrecklichste. […] Auch bei Tage bekam er diese Zufälle, sie waren dann noch schrecklicher« (47). Hinter seinen Selbstmordversuchen, die sich gegen Ende seines Aufenthaltes in Waldbach häufen, steckt weniger »der Wunsch des Todes, für ihn war ja keine Ruhe und Hoffnung im Tod«, als der »Versuch, sich zu sich selbst zu bringen durch physischen Schmerz« (47).

Schließlich hält Lenz selbst die grundlegendsten Gegebenheiten des Daseins nicht mehr aus: »er glaube gar nicht, daß er gehen könne, jetzt endlich empfände er die ungeheure Schwere der Luft. […] hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit, und die man gewöhnlich die Stille heißt […] es läßt mich nicht schlafen« (48). Dies bringt ihn dazu, noch einmal einen ernsthaften Suizidversuch zu begehen: Oberlin hört »ihn die Stiege herauf in sein Zimmer gehen […]. Einen Augenblick darauf platzte etwas im Hof mit so starkem Schall, daß es Oberlin unmöglich von dem Falle eines Menschen herkommen zu können schien«.

Am nächsten Tag wird Lenz nach Straßburg gebracht, wo er sich resigniert mit seiner inneren Leere abfindet: »er tat Alles wie es die Andern taten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin« (49).

Als Vorbild für die Figur diente Büchner der Sturm und Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz, der sich vom 20. Januar bis zum 8. Februar 1778 wegen seiner psychischen Verfassung bei dem Pfarrer Johann Friedrich Oberlin in Waldersbach im Elsass aufhielt.

Oberlin

Oberlin ist Pfarrer im Steintal in der Nähe von Straßburg, er lebt mit seiner Familie im Pfarrhaus von Waldbach. Er nimmt Lenz auf und fühlt sich in dessen Anwesenheit wohl: »Oberlin war sein Gespräch sehr angenehm, und das anmutige Kindergesicht Lenzens machte ihm große Freude« (33). Lenz’ komplizierte Gedankengänge bringen ihn aber »zu weit von seiner einfachen Art ab« (36).

Für die Menschen im Steintal ist er eine Vertrauensperson: »man drängte sich um Oberlin, er wies zurecht, gab Rat, tröstete; überall zutrauensvolle Blicke, Gebet. Die Leute erzählten Träume, Ahnungen« (33). Darüber hinaus kümmert er sich um praktische Angelegenheiten: »Dann rasch in’s praktische Leben, Wege angelegt, Kanäle gegraben, die Schule besucht. Oberlin war unermüdlich« (33).

Als er mit Kaufmann in die Schweiz reist, kehrt er schon nach wenigen Tagen nach Waldbach zurück. Er erzählt von seinem Besuch bei Pfeffel und preist »das Leben eines Landgeistlichen glücklich« (43).

Oberlin berichtet Lenz von seinen Gotteserfahrungen und verlockt ihn damit zur Bibellektüre (34). Die Aufgabe, Lenz zu pflegen, sieht er als gottgegeben an: »er sah es als eine Schickung Gottes, der den Unglücklichen ihm zugesandt hätte, er liebte ihn herzlich« (37).

So spricht er auch an, dass Lenz »sich in den Wunsch seines Vaters zu fügen, seinem Berufe gemäß zu leben, heimzukehren« (43) habe. Lenz’ Selbstvorwürfen begegnet er mit trostspendenden Worten: »Oberlin sagte ihm, dafür sey Jesus gestorben, er möge sich brünstig an ihn wenden, und er würde Teil haben an seiner Gnade« (43). Auf Lenz’ Aufforderung, ihn zu schlagen, reagiert Oberlin gemäß der christlichen Nächstenliebe, indem er ihm stattdessen »einige Küsse auf den Mund« drückt und sagt, »dies wären die Streiche, die er ihm zu geben hätte« (44).

Als Lenz ihm seinen ersten Suizidversuch gesteht, reagiert er unverzüglich: »Oberlin erschrak heftig, doch sagte er nichts, er tat was Lenz begehrte, zugleich schrieb er an den Schulmeister in Bellefosse, er möge herunterkommen« (45), dieser soll Lenz vor weiteren Entleibungsversuchen bewahren. Mit Lenz’ sich verschlechterndem Zustand empfindet Oberlin »unendliches Mitleid« (47), er spricht ihm selbst am Tag seines letzten Selbstmordversuches »Muth zu« (48), trotzdem sieht sich Oberlin gezwungen, ihn tags darauf nach Straßburg bringen zu lassen.

Der von Oberlin erwähnte Gottlieb Konrad Pfeffel (1730-1809) lebte in Colmar im Elsass.

Oberlin, Madame

Sie ist die Frau Oberlins, mit dem sie mehrere Kinder hat. Sie verbringt ihren Alltag im Pfarrhaus, wo »sie so da saß, das schwarze Gesangbuch vor sich, neben eine [sic] Pflanze, im Zimmer gezogen, das jüngste Kind zwischen den Knieen« (41).

In den Tagen, in denen Oberlin verreist ist, ist sie Lenz’ wichtigste Bezugsperson (41). Sie und Oberlin haben beruhigende Wirkung auf Lenz: »Gott, sie sind noch die einzigen Menschen, wo ich’s aushalten könnte« (41). Auch hilft es ihm, sich bei ihr auszusprechen, auch wenn sie ihm nicht viel entgegnet: »Er sprach später noch oft mit Madame Oberlin davon, aber meist nur in abgebrochenen Sätzen; sie wußte wenig zu antworten, doch tat es ihm wohl« (42).

Auch mit Lenz’ Anfällen weiß sie nicht recht umzugehen: »Am vierten trat er plötzlich in’s Zimmer zu Mad. Oberlin, er hatte sich das Gesicht mit Asche beschmiert, und forderte einen alten Sack; sie erschrak, man gab ihm, was er verlangte« (42). Einmal, als er bei einem Anfall mit der Katze aneinandergerät, greift sie ein (46 f.).

Sebastian

Schulmeister in Bellefosse, einem Dorf im Steintal. Oberlin beauftragt ihn nach Lenz’ erstem Selbstmordversuch, diesen im Auge zu behalten. Lenz kennt ihn und vertraut ihm: »Lenz hatte ihn schon oft gesehen und hatte sich an ihn attachiert« (45). Sebastian nimmt seine Aufgabe ernst und folgt Lenz auf seinem Weg durch das Tal: »Lenz schlug noch einen Spaziergang nach Fouday vor. Er […] ging wieder zurück nach Waldbach, kehrte wieder um und Sebastian mit« (45). Als er Lenz schließlich doch lästig wird, behält er trotzdem die Kontrolle: »Sebastian schien ihm nachzugeben, fand aber heimlich Mittel, seine Brüder von der Gefahr zu benachrichtigen, und nun hatte Lenz zwei Aufseher statt einen« (45).

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