Trotta, Mutter
Die Mutter Franz Ferdinands, die auch als Witwe immer noch den Tisch für ihren schon lange verstorbenen Mann mitdecken lässt (238). Franz Ferdinand glaubt, dass sie ihn nicht als ihr Kind, sondern nur als »Sohn ihres Mannes« liebt (276). Sie hat ein »breites, etwas schwammig gewordenes Gesicht« mit »schlaffen Hängebacken und […] runzeligen, schweren Lider« (238). In der Wahrnehmung ihres Sohnes haben sie zur Zeit seiner Jugend »keine echte, ursprüngliche Beziehung« (238), sondern schämen sich voreinander. So kann Franz Ferdinand sich nicht durchringen, ihr von seiner Liebe zu Elisabeth zu erzählen, da er ihr ersparen will, »laut mißbilligen zu müssen, was sie im stillen geringschätzte« (239). Als er ihr, kurz bevor er in den Krieg einrückt, mitteilt, dass er Elisabeth heiraten wird, hindert sie ihn nicht daran und kümmert sich sogar um die Brautgeschenke, sagt ihm aber, dass sie Elisabeth »nicht leiden« kann (264).
Nach dem Krieg empfängt sie ihn nach einigen schlaflosen Nächten und will ihm, wie früher, etwas auf dem Klavier vorspielen. Erst als keine Töne aus dem Instrument kommen, erinnert sie sich, dass sie nach seiner Abreise die Saiten hat entfernen lassen, um sich zu »zwingen, nicht zu spielen« (298). Elisabeths Betätigung im Kunstgewerbe missfällt ihr: »Wenn man anfängt, aus wertlosem Zeug etwas zu machen, was wie wertvoll aussieht! Wo soll das hinführen?« (300) Dazu kommt noch Elisabeths Verhältnis mit einem »Weibsbild mit kurzen Haaren« (300): Frauen wie diese Professorin Szatmary – die sie immerfort mit anderen ungarischen Namen benennt – seien schwerer »abzuschaffen« als ein Geliebter (312). Da das Geld der Familie, das in Kriegsanleihen angelegt war, verloren ist und Franz Ferdinand eine Hypothek auf das Haus aufnehmen muss, will sie mit ihm und Elisabeth in eine gemeinsame Wohnung im Erdgeschoss ziehen und von ihrem restlichen Ersparten leben (313). Doch von dem Tag an, an dem Franz Ferdinand die Hypothek aufnimmt, verstärkt sich ihre Verachtung der Schwiegertochter immer mehr: »Kunstgewerbe, Elisabeth, die Frau Professor, kurze Haare, Tschechen, Sozialdemokraten, Jakobiner, Juden, Büchsenfleisch, Papiergeld, Börsenpapiere, mein Schwiegervater: dies alles waren die Gegenstände ihrer Verachtung und ihrer Gehässigkeit« (318).
Allein der neu auftauchende Stettenheim, den sie »Charmant!« findet, wird von ihr »warmherzig« empfangen, und sie leiht ihm, ohne zu zögern, Geld (321 f.). Franz Ferdinand findet die Erklärung für die ihm sonst unbegreifliche Zuneigung in der lange versteckten Schwerhörigkeit seiner Mutter: »Deshalb also schätzte sie Herrn von Stettenheim. Sie verstand offenbar ihn am deutlichsten, und sie war ihm dankbar« (324). Als Elisabeth bei ihnen einzieht und sie aus finanziellen Gründen das Haus in eine Pension umwandeln, geht es ihr entgegen Franz Ferdinands Erwartung auf einmal viel besser: »Offenbar schien es ihr, daß sie ein neues Leben beginnen würde« (330). Den Sohn Franz Ferdinands nimmt sie auf, »als hätte sie ihn selbst ausgetragen«, und bezeichnet Elisabeth als ihre Tochter (335).
Nach einem Schlaganfall ist sie halbseitig gelähmt, bleibt aber »allen« noch jahrelang eine »geliebte, treu behütete Last« (335). Franz Ferdinand kümmert sich um sie, sitzt täglich mehrere Stunden an ihrem Bett und fährt sie in ihrem Rollstuhl durch die Zimmer, da es ihr erscheint, als ob sie »alles versäumte« (336). Obwohl sie nur noch einzelne Wörter herausbringt, bittet sie Franz Ferdinand kurz vor ihrem Tod, Elisabeth auszurichten, dass sie sie »nie habe leiden mögen«. Außerdem fordert sie Franz Ferdinand auf, ihren Enkel wegzuschicken: »Hier soll er nicht aufwachsen« (340). Sie stirbt »so, wie sie gelebt hatte: nobel und still« (339) in der »Nacht der Revolution« im Februar (340).
In den Morgenstunden des 12. Februars 1934 beginnt der sogenannte ›Februaraufstand‹, bei dem die austrofaschistische Regierung unter Engelbert Dollfuß mit Waffengewalt gegen Sozialdemokraten vorgeht.