Trotta, Franz Ferdinand
Ich-Erzähler, der seine Lebensgeschichte von seiner Jugend vor dem Ersten Weltkrieg bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich erzählt. Weil er sich in seiner Zeit unverstanden fühlt, schreibt er »lediglich zu dem Zweck, um mir selbst klarzuwerden« (287).
Sein Vater, ein slowenischer »Rebell« und zugleich Anhänger der Habsburger, hat ihn zum Erben seiner Ideen erklärt, aber zum Zeitpunkt seines Todes sei er, der Sohn, noch »jung und töricht« gewesen (228). Schon äußerlich unterscheidet Franz Ferdinand sich deutlich von seinem Vater mit seinen blonden Haaren und blauen Augen, die er als eher »skeptische, traurige« denn als »gläubige, fanatische« beschreibt (275). Als junger Mann lebt er ein scheinbar unbeschwertes Leben, »wie man so sagt: in den Tag hinein« (228). Vor allem wegen seiner Mutter ist er für ein Jurastudium eingeschrieben, studiert aber »natürlich« nicht, sondern verbringt seine Zeit in einer »ausgelassenen Gesellschaft junger Aristokraten«, mit denen er eine »sündhafte Fahrlässigkeit« und andere »Zeichen des Untergangs« teilt (233), die sie damals noch nicht als solche erkennen: »Über den Gläsern, aus denen wir übermütig tranken, kreuzte der unsichtbare Tod schon seine knochigen Hände« (233). Er ist in Elisabeth Kovacs verliebt, schämt sich jedoch vor seinen Freunden, bei denen Leidenschaft »verpönt« ist, da sie nicht zur sogenannten »Dekadenz« – einer »halb gespielten und outrierten Müdigkeit« – passt (236). Auch die Beziehung zu seiner Mutter, die er nicht in seine Sorgen einweiht, empfindet er nicht als »echte und ursprüngliche«, da er die »heilige Scheu« ihr gegenüber unterdrückt, um seinen Freunden nachzueifern (238). Genauso der »Mode« unterworfen ist sein dezidierter Atheismus, wie er in der Rückschau, inzwischen »gläubig«, feststellt (246).
Er bewundert seinen Vetter Joseph Branco, der im April 1913 bei ihm auftaucht, um seinen Teil des Erbes abzuholen (232). Stolz kauft er dem Vetter »folkloristische Attrappe[n]« ab, die zu einem »echten Slowenen« gehörten (231 f.), und präsentiert seinen Freunden seine Verbindung zum »sagenhaften slowenischen Sipolje« (233). Als im Oktober des gleichen Jahres Manes Reisiger, ein Freund Joseph Brancos, ihn besucht, hilft er dem galizischen Juden, seinem Sohn einen Platz am Konservatorium zu verschaffen. Der Antisemitismus sei nämlich bereits eine »Mode der Hausmeister« geworden und schicke sich deshalb für die Noblesse nicht mehr (240).
Im Sommer 1914 besucht er Manes mit Joseph Branco in Zlotogrod, wo er sich »ebenso zu Hause« fühlt »wie in Sipolje, wie in Wien« (252). Doch obwohl das Leben »vor dem großen Krieg idyllisch« war (248 f.), kommt ihm der Krieg gelegen, da »sogar noch ein sinnloser Tod besser sei als ein sinnloses Leben« (258). Er beschließt, sich zum Regiment in Zlocow zu melden, zu dem auch seine neuen Freunde Manes und Joseph Branco gehören, mit denen ihn ein »starkes Gefühl« verbindet (262). Er scheut sich nun nicht mehr, nach Hause zu fahren und Elisabeth einen Heiratsantrag zu machen, wovon weder seine Mutter noch sein zukünftiger Schwiegervater begeistert sind, die die Ehe aber dulden. Aber schon auf ihrer heimlichen Hochzeitsreise nach Baden fallen ihm an ihr unsympathische Ähnlichkeiten mit ihrem Vater auf (279). Im Hotel verbringt er den Abend mit dem alten Diener Jacques und bleibt länger als geplant, weil dieser einen Schlaganfall erleidet. Elisabeth verwehrt ihm schluchzend die Rückkehr ins gemeinsame Zimmer, und er bemerkt, dass sie sich nicht lieben (282). Als sie ihn durch eine schriftliche Nachricht von ihrer Abreise in Kenntnis setzt, fährt er in das polnische Kamionka und flüchtet sich in die Aufgabe, das bereits auf dem Rückzug befindliche Regiment zu suchen, für das er sich gemeldet hat. Kurz nach dem freudigen Wiedersehen mit Reisiger und Branco geraten die drei in der Schlacht von Krasne-Busk im September 1914 in russische Kriegsgefangenschaft. Von Reisiger beeinflusst, meldet Trotta sich freiwillig für Sibirien, um bei seinen Freunden bleiben zu können. Die Reise nach Wiatka dauert sechs Monate. Auf ihrer letzten Etappe im März spielt Trotta mit dem sympathischen russischen Leutnant Krassin Karten. Dieser schickt die Freunde zu dem Juden Baranowitsch, der ihnen Unterschlupf gewährt. Er fällt zwar nicht dem »Wahn der Wüste« zum Opfer wie Reisiger und Branco, die sich heftig zu streiten beginnen, aber an die Stelle der Freundschaft tritt »gehässige Gleichgültigkeit« (292). Die drei müssen Baranowitsch, der keinen Streit duldet, verlassen und kommen ins Kriegsgefangenenlager, wo Trotta bis zum Ende des Krieges bleibt.
Am Weihnachtsabend kommt er zurück nach Wien, wo er sich fremd fühlt. Vor seiner Mutter fühlt er sich klein »wie einst als Kind« (298), und auch vor seiner Frau und ihrer Geliebten Jolanth fühlt er sich wie ein »jämmerliches Ding« (307). Als Elisabeth ihm gesteht, sich von Jolanth »gefangengenommen« zu fühlen, und sie die Nacht gemeinsam verbringen, schämen sie sich am nächsten Morgen voreinander (311). Da er den geschäftlichen Dingen des Kunstgewerbes, das Elisabeth mit Jolanth betreibt, mit Unverständnis gegenübersteht, beschränkt er sich auf seine Rolle als Ehemann Elisabeths, mit der er »süße, satte Frühlingsnächte« verbringt (320). Er ist sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Elisabeth aus dem Haus ihres Vaters zu ihm ziehen wird. Der Anwalt der Trottas rät ihm immer wieder, aus dem Elternhaus eine Pension zu machen, da sowohl sein Schwiegervater, als auch Stettenheim, Teilhaber des Kunstgeschäfts, und die angebliche Professorin Jolanth Schwindler seien, die von den Darlehen der Mutter lebten, doch fühlt er sich von der Aufgabe überfordert: »Ich – und eine Verantwortung! Nicht, daß ich feige gewesen wäre! Nein, ich war einfach unfähig« (325). Er verbietet aber seiner Mutter in einem seltenen Anflug von Entschlossenheit, weiter Geld zu verleihen, verlangt von Elisabeth, das Kunsthandwerk aufzugeben und ihrer Rolle als Ehefrau gerecht zu werden, und gründet mithilfe des Anwalts die Pension (326).
Er überlässt Elisabeth die Verantwortung für die Pension, während er sich um seinen mittlerweile geborenen Sohn und seine seit einem Schlaganfall halbseitig gelähmte Mutter kümmert: »Jetzt hatte ich endlich zwei Berufe: Ich war ein Sohn, und ich war ein Vater« (336). So ist er froh, als Elisabeth immer länger außer Haus ist, bis er erfährt, dass sie die Zeit mit den einzigen beiden Menschen, die er »wirklich haßte«, verbringt, nämlich mit Jolanth und von Stettenheim, denen sie schließlich folgt, um Schauspielerin zu werden (338). Nach dem Tod seiner Mutter leert sich nach und nach auch die Pension, er schickt seinen Sohn – dem letzten Wunsch seiner Mutter entsprechend – nach Paris und bleibt, abgekehrt von der Welt, »allein, allein, allein« (341). So gehen eine Zeit lang die historischen Ereignisse an ihm vorüber, bis nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten plötzlich der Morgen über den »wildfremden Kreuzen« graut (346). Er geht zur Kapuzinergruft, der Begräbnisstätte der Habsburger, die für ihn die untergegangene Welt der alten Monarchie symbolisiert und nun geschlossen ist. Der Roman endet mit dem hilflosen Ausruf: »Wohin soll ich, ich jetzt, ein Trotta?« (346)