Galotti, Claudia

Emilias Mutter wohnt mit der Tochter in der Residenzstadt, während Odoardo überwiegend auf seinem Landgut bei Sabionetta lebt. Diese Konstellation hatte sie gegen ihren Mann durchgesetzt, um Emilia eine standesgemäße Erziehung zuteil werden zu lassen (II, 4; LM II, S. 396 f.). Odoardos maßlosem Misstrauen gegen fast jedermann, seinem stets wachen Argwohn auch gegen Frau und Tochter und seiner Vorstellung, jeden Schritt der beiden Frauen überwachen zu müssen, begegnet sie gelassen und nachgiebig (II, 4; LM II, 397), erkennt aber sehr genau, dass sein Tugendrigorismus auf ein bedenkliches Maß an Misanthropie hindeutet: »wenn das die Menschen kennen heißt: – wer sollte sich wünschen, sie zu kennen?« (II, 5; LM II, 398)

Bei der Einschätzung der Gefahr, die von der Verliebtheit des Prinzen ausgeht, irrt sie sich allerdings. Sie hält sie für unverbindliche höfische Galanterien und rät ihrer Tochter, Appiani nichts davon zu erzählen, um sie vor der leidvollen Erfahrung mit dem ›gefährlichen Gift‹ männlichen Argwohns zu bewahren (II, 6; LM II, 401 f.). Claudia spricht hier ganz ohne Frage von eigenen Erfahrungen. Dennoch erweist sich, was aus dieser Erfahrung und Perspektive heraus zunächst angemessen erscheint, später als einer der Irrtümer, die dem Unglück den Weg bahnen: Hätte Appiani von den Nachstellungen des Prinzen erfahren, hätte er dessen Gesandtschaftsauftrag (II, 10) besser zu deuten gewusst. Dass er dann seinerseits Claudia nichts von diesem Auftrag sagt (II, 11), hindert wiederum Claudia daran, die Zusammenhänge frühzeitig zu erkennen.

Nach dem Überfall aber ist sie es, die, kaum dass sie Marinellis ansichtig wird, sofort erkennt, was gespielt wird (III, 8), und so beweist, dass sie keineswegs die »eitle, thörichte Mutter« ist, als die Odoardo sie bezeichnet (II, 4; LM II, 398).

Sie ist auch die einzige, die furchtlos genug ist, um Marinelli ohne Umschweife zu sagen, wer er ist: »Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden: aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder!« (III, 8; LM II, 421)

Dass sie auch vor dem Prinzen keine Furcht hat, erkennt dieser besser als Marinelli: »Die Tochter stürzte der Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wuth: nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich; wenn sie es nicht lauter, nicht deutlicher sagte« (IV, 1; LM II, 422). Kurz darauf tritt Odoardo auf den Plan und schickt sie vom Schauplatz (IV, 8; LM II, 438).