Philotas
Der junge Prinz ist Gefangener des Königs Aridäus, mit dem sein Vater im Krieg liegt. Erst seit sieben Tagen mit der Toga des Soldaten angetan, hatte er auf dem Feld zu hitzig und zu ehrgeizig agiert und war dadurch in Gefangenschaft geraten. Seit seiner Kindheit hatte er von Ehre, Vaterland und Heldenmut geschwärmt und darauf gebrannt, sich endlich als »Mann« und »Held« zu beweisen.
Um so mehr empfindet er seine Gefangennahme als Schande und sich selbst als »unwürdigen Sohn« (2. Auftritt; LM II, 358). Er schämt sich, dass er nur eine einzige, zudem harmlose Wunde davongetragen hat: »Nichtswürdiger, sie sollte tödtlich seyn! – Und nur eine Wunde, nur eine!« (1. Auftritt; LM II, 355). Vor allem aber fürchtet er, dass sein Vater ihn »mehr, als sein Reich liebt« und dem Feind deshalb zu große Zugeständnisse machen wird, um ihn auszulösen (1. Auftritt; LM II, 358). Als diese Befürchtung sich als gegenstandslos herausstellt, weil sein Vater seinerseits Aridäus‘ Sohn Polytimet gefangensetzen konnte (3. Auftritt; LM II, 360), die Heimkehr beider Söhne also ohne Nachteile für beide Väter möglich ist, tötet er sich, um die vermeintliche Scharte in seiner Ehre dadurch auszuwetzen, dass er seinem Vater durch seinen Tod einen Vorteil gegen Aridäus verschafft.
Philotas ist das männliche Gegenstück seiner tragischen Schwestern Sara Sampson und Emilia Galotti: Er möchte, wie sie, vollkommen sein, hält deshalb, wie sie, jeden Fehler für einen unverzeihlichen Makel und hat in seinem Perfektionswahn nur Augen für sich selbst: »Jedes Ding, sagte der Weltweise, der mich erzog, ist vollkommen, wenn es seinen Zweck erfüllen kann. Ich kann meinen Zweck erfüllen, ich kann zum Besten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin ein Mann« (4. Auftritt; LM II, 363). Der Gedanke erfüllt ihn augenblicklich mit Begeisterung: »Welch Feuer tobt in meinen Adern?« (ebd.).
Dass sein Vater einen geliebten Sohn verlieren wird, spielt in seinen Überlegungen keine Rolle. Selbst Parmenios Ermahnungen an seine Kindespflichten vermögen wenig über ihn: Gleichmütig bittet er den alten Soldaten, seinem Vater alles zu sagen, »was du glaubst, daß ihm ein zärtlicher Sohn bey dieser Gelegenheit muß sagen lassen« (5. Auftritt; LM II, 365).
Aridäus, der den jungen Heißsporn zwar schätzt, seine übertriebenen Vorstellungen von Heldentum aber mit »Erstaunen« und »nicht ohne Jammer« hört, versucht, ihm die Unmenschlichkeit seines Denkens deutlich zu machen: »Welch eine schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit Lorbeern und mit Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche Untertanen zählen.« Doch auch sein mahnender Ausruf: »Was ist ein Held ohne Menschenliebe!« bleibt ungehört. Philotas ist schon ganz mit seinem vermeintlich heldenhaften Selbstmordplan beschäftigt (7. Auftritt; LM II, 372), den er schließlich auch ausführt.