Beknechons
Der »Erste Prophet« des Amun (IV, 831) und »Ober-Hausbetreter des Gottes zu Karnak« (V, 945) ist der »Mittel- und Sammelpunkt« (IV, 831) der totalitären Politik der Amunspriester (vgl. Amun), ein Feind der weltläufig-toleranten Priesterschaft des alten Sonnengottes Atum-Rê-Horachte zu On und damit auch Gegenspieler der regierenden Dynastie.
Im Hause Potiphars, das dem weltoffenen Geist am Hof des Pharaos Amenhotep III. zugeneigt ist (V, 940 f.), hat der Oberpriester Amuns seinen »Stützpunkt hauptsächlich im Frauenhause« (IV, 831), denn Mut-em-enet gehört dem vornehmen Hathoren-Orden an, dem Nes-ba-met, Beknechons Gemahlin, vorsteht, und Beknechons selbst geht bei ihr ein und aus (V, 945 f.). Deshalb kennt Joseph den »Gestrengen« längst von Ansehen und hat sich wiederholt »in Pharao's Seele hinein an dem Staat und Aufwand geärgert, in dem er daherkam« (V, 946). Potiphar »pflegte sich verleugnen zu lassen bei solchen Gelegenheiten« (IV, 946).
Beknechons »war hochgewachsen und trug sich außerdem noch sehr stolz und strack aus den Rippen emporgereckt, die Schultern zurückgenommen, das Kinn erhoben. Sein eiförmiger Kopf mit dem niemals bedeckten, glattrasierten Schädel war bedeutend und nach seinem Ausdruck gänzlich bestimmt durch ein tief und scharf eingeschnittenes Zeichen zwischen seinen Augen, das immer da war und an Strenge nichts einbüßte, wenn der Mann lächelte, was herablassenderweise und zum Lohne besonderer Unterwürfigkeit immerhin vorkam.« Er hat ein »gemeißelt-ebenmäßiges und unbewegtes Gesicht mit hochsitzenden Wangenknochen« und »eine Art, über Menschen und Dinge hinwegzublicken, die mehr als hochmütig war, denn sie kam der Ablehnung alles gegenwärtigen Weltwesens gleich, einer Verneinung und Verurteilung des gesamten Lebensfortganges«. Seine Kleidung ist »zwar kostbar und fein, aber altfränkisch«, er trägt unter seinem Obergewand einen Lendenschurz, »so einfach, eng und kurz, wie er unter den ersten Dynastien des Alten Reiches geschnitten gewesen war; und in noch fernere [...] Zeiten wies das geistige Leopardenfell zurück, das er um die Schultern geschlungen trug« (V, 947 f.).
Mit der Tracht des Leopardenfells, das eigentlich zum Ornat des Ersten Propheten des Atum-Rê zu On gehört, demonstriert Beknechons seinen Machtanspruch gegenüber den Sonnenpriestern von On. Er hat den Titel des »Vorstehers der Priester aller Götter von Ober- und Unterägypten« angenommen, »war also auch im Hause des Atum-Rê der Über-Erste: Wie hätte er da das Leopardenfell nicht sollen tragen dürfen? Nicht ohne Schrecken konnte man den Mann betrachten« (947 f.).
Echnatons Vater Amenhotep III. versucht zwar, die »Tempelmacht Amuns« durch die Stärkung des Atum-Kults (V, 941) und durch die Trennung von geistlichen und weltlichen Ämtern (V, 1376) zu begrenzen, macht aber Beknechons »noch immer feister und stolzer [...] durch unendliche Zuwendungen an Gütern und Schätzen, in der gemütvollen Vorstellung, daß es sein Vater Amun sei, dem er so Gutes tue, und daß er's also sich selber tue«. Joseph »fand es nicht gut und nicht klug« (V, 948).
Nach Amenhoteps III. Tod muss Teje (als Regentin für den minderjährigen Echnaton) Beknechons Rat hören, denn »als Mund des Reichsgottes hatte Beknechons ein Recht auf das Ohr der Regentin«. Sie »lieh es ihm mit gebotener Höflichkeit, wenn auch wohl wissend, daß es die Stimme politischer Nebenbuhlerschaft war, der sie es neigte« (V, 1376).
Der Zwerg Dûdu, Josephs Neider und Feind in Potiphars Haus, stiftet Mut-em-enet an, mit dem Oberpriester über den unstatthaften Aufstieg des ›chabirischen‹ Sklaven Osarsiph in Potiphars Hauswesen zu sprechen (V, 949-952). Beknechons interessiert das freilich nur als eines von vielen Beispielen für den »Geist der Lockerung und der Mißachtung urfrommer Volksordnung«, das ihn sogleich vom Thema ablenkt und auf die großen »Fragen der Herrschaft und Machtbewahrung« bringt (V, 955). Er spricht Peteprê zwar später auf den Fall an, ist aber, zumal dieser zerstreut reagiert, »infolge seiner großen Anlage gar nicht fähig, länger als einen Augenblick am Einzelnen, Kleinen, Häuslichen zu haften: alsbald ging er ins Gewaltige, fing an, [...] von staatsklugen Fragen der Machtbewahrung zu reden [...], und so zerflatterte das Gespräch ins Große« (V, 981).
Peteprê beklagt sich darüber, dass Mut-em-enet seine Neigung zu Atum-Rê und »dieses herrlichen Gottes mild-weltläufigem Sonnensinn« nicht teilt, sondern es mit Amun hält, »dem Unbeweglichen, Erzstirnigen«, und »unter einer Decke mit des unverbindlichen Gottes oberstem Kahlkopf« steckt (V, 1042 f.). Das ›Gleichnis von der Decke‹, das Mut-em-enet zu wörtlich zu nehmen droht, nimmt er später zurück (V, 1045).
Nachdem Mut-em-enet ihrer »Damengesellschaft« (V, 1208-1227), darunter auch Beknechons Gattin Nes-ba-met, ihre Liebe zu Joseph gestanden hat (1221 f.), schaltet der »Gottesstaatsmann« sich ein, tadelt Muts Schwäche für den Jüngling, empört sich aber vor allem über dessen Widerspenstigkeit gegen Muts Werben und verlangt von ihr, »daß sie alles, auch das Äußerste, aufbiete, den Störrigen zur Unterwerfung zu bringen, – nicht um ihrer Genugtuung willen, wenn auch eine solche – ohne seine Billigung – für sie dabei abfalle, sondern zu der des Tempels«. Mut hört diese »höhere Ermächtigung zum Fehltritt« nicht ungern (V, 1225 f.).
Nach Wysling (268 f.) und Kurzke (87) war der ›Grüne Kopf‹ aus dem Ägyptischen Museum Berlin (s. Abb.) Vorbild für die Beschreibung der Figur. TM hatte Abbildungen in seiner Bibliothek zur Verfügung (u.a. in Breasted, Abb. 166; Steindorff II, 258). – Den Namen entnahm er vermutlich Erman/Ranke, die von einem Oberpriester des Amun namens Beknechons, allerdings aus der Zeit Ramses II., berichten (334).
Abb.: Der ›Grüne Kopf‹ (ca. 400 v. Chr.) aus dem Ägyptischen Museum Berlin.