Hor-waz
Ein junger »Schreiboffizier« und Truppenvorsteher der Grenzfestung Zel. Der alte Midianiter, der Joseph nach Ägypten bringt, kennt ihn von früheren Reisen her und hofft, dass er ihn auch dieses Mal passieren lassen wird, wenn er ihm als ›Reisepass‹ den Brief eines »Handelsfreundes« vorlegt (IV, 710). Aber Hor-waz erkennt auf dem Brief sein eigenes Visum (IV, 717) und will ihn nicht noch einmal als Ausweis akzeptieren: »Dies Krickel-Krackel will ich nun nicht mehr sehen, es ist ja veraltet, du mußt einmal etwas Neues beschaffen.« (IV, 719) Erst als der Alte sich seiner Bekanntschaft mit Potiphars Hausverwalter Mont-kaw rühmt, gewährt Hor-waz ihm Durchlass, obwohl er nichts »Geschriebenes« über diese Bekanntschaft vorlegen kann (IV, 718). Das ist ungewöhnlich, denn eigentlich, so der Alte, kommt alles darauf an, »daß man Geschriebenes vorweisen kann und die Leute Ägyptens wieder etwas zu schreiben haben und können's irgendwohin schicken, daß es geschrieben werde abermals und diene der Buchführung« (IV, 710). Hor-waz nimmt denn auch »Geschriebenes« mit einer »Gebärde zarten Empfangens« entgegen (IV, 717).
Die im Hof der Festung Wartenden begrüßt er mit übertriebener, geradezu »närrischer Artigkeit«, die, wie Joseph sogleich bemerkt, nicht ihnen, »sondern der Hochgesittung zu Ehren und aus Selbstachtung geschah« (IV, 715 f.). Er stellt sich den Fremden vor als »ein Schreiber der großen Tore, der über die Angelegenheit der Länder Bericht erstattet«, seine Verantwortlichkeit sei »erheblich« (IV, 716).
Er notiert die Passage der Karawane des Alten für die Grenzprotokolle, die er, »auf schönes Papier übertragen, an die Ämter nach Theben« zu schicken hat, und zelebriert den Akt der Niederschrift ausgiebig: Er lässt sich von einem Gehilfen eine »gespitzte Binse« reichen, »tauchte sie in einen Tintennapf der Palette, die der Soldat neben ihn hielt, verspritzte spendend ein paar Tropfen, führte die Schreibhand in weitem Bogen zur Fläche«. Er schreibt im Stehen, »in delikater Vorwärtsneigung, gespitzten Mundes, fein blinzelnd, liebevoll, selbstgefällig und mit offenkundigem Genuß« (IV, 718).
Der junge Truppenoberst trägt eine an der Stirn gerade abgeschnittene hellbraune Perücke, die »spiegelnd glatt war bis zu den Ohren, von da an aber plötzlich aus kleinen Löckchen bestand und ihm so auf die Schultern fiel.« Über einem blütenweißen, zart gefältelten Leinenkleid trägt er ein »Schuppenwams«, auf dem »als Auszeichnung eine Fliege in Bronze hing«, und einen »fein plissierten Schurz, der ihm schräg in die Kniekehlen ging« (IV, 715). Er hat ein »ältliches Kindergesicht, kurz, mit Stumpfnase, kosmetisch verlängerten Augen und auffallend scharfen Furchen zu seiten des immer etwas gespitzten und lächelnden Mundes« (IV, 716).
Die Rede von Hor-waz' »delikater Vorwärtsneigung« mag durch die Darstellung eines Schreibers des neuen Reichs (Abb. 1) bei Erman/Ranke (S. 125, Abb. 38) und die Beschreibung seiner eigentümlichen Perücke durch die Abbildung des Reliefs des Chaemhet (Abb. 2) bei Erman/Ranke (S. 249, Abb. 93) inspiriert sein. Kurzke betrachtet letzteres (mit Bezug auf V, 1018 f.) als »eindeutige Vorlage« für den »ägyptischen Joseph« (66). Das schließt freilich nicht aus, dass es auch bei der (recht ähnlichen) Beschreibung von Hor-waz' Haartracht Pate gestanden haben könnte, zumal es bei Erman/Ranke als Illustration für eine in der 18. Dynastie modische Frisur dient. Bei dieser Frisur wurde »der Teil des Haares, der auf den Schultern aufliegt, zu kleinen einzelnen Löckchen gestaltet, die dann zu den meist glatten Strähnen des Kopfes in eigentümlichem Gegensatz stehen« (Erman/Ranke, 249).
Fischer (468) sieht in der Kalksteinfigur eines hockenden Schreibers (Steindorff II, 188; Breasted, Abb. 66 und 67) ein mögliches Vorbild für Hor-waz' Gesicht und in der Holzstatuette eines Offiziers aus Steindorff II (216 Mitte) ein Vorbild für seine Gestalt.
Die Fliege an Hor-waz' Schuppenpanzer versinnbildlichte »den unablässig seinen Feind verfolgenden Krieger« und war ein besonderes militärisches Ehrenzeichen (Erman/Ranke, 631). – Das Verspritzen von etwas Tinte (IV, 718) geht ebenfalls auf Erman/Ranke (378) zurück, wonach Schreiber des Neuen Reichs auf diese Weise »eine Spende für den uralten Imhotep, den berühmten Baumeister König Zosers« darbrachten (bei Erman/Ranke ist allerdings von Wasser, nicht von Tinte die Rede).
Über die sorgfältige Registratur der Ein- und Ausreisenden, die Hor-waz obliegt und durch die Joseph später von der Einreise seiner Brüder erfährt (vgl. V, 1590), berichtet Wiedemann (161 f.): »In den Grenzorten, von denen sich einige [...] allmählich zu wichtigen Städten entwickelten, wurde über die nach Asien ausziehenden und die von dort zurückkehrenden Reisenden genau Buch geführt und auch sonst eine stetige Aufsicht über den auswärtigen Verkehr Ägyptens ausgeübt.« (161 f.)
Abb.: (1) Schreiberfigur aus einem Grab bei Amarna (Bildquelle: Lepsius III, 97b). – (2) Detail eines Reliefs aus dem Grab des Chaemhet in Theben. – (3) Sitzender Schreiber. Kalksteinfigur (vgl. auch die Fotos auf der Webseite des Louvre).