Mont-kaw
Hausmeier des Peteprê, der Joseph von dem alten Midianiter kauft. Er leitet das gesamte Haus- und Wirtschaftswesen seines Herrn und macht ihn, der sich selbst »keines Dinges an[nahm]«, durch »Umsicht und uneigennützigste Genauigkeit immer reicher« (V, 929). Mont-kaw ist »ein kräftig untersetzter Mann von fünfzig mit ausdrucksvollem Haupt und dem entschiedenen Gebaren, das seine Stellung mit sich brachte, gemildert durch Wohlwollen«. Starke Tränensäcke lassen seine Augen »verschwollen und klein, fast als Schlitzaugen« erscheinen, und von seiner »wohlgeformten, wenn auch breitgelagerten Nase« laufen tiefe Furchen zum Mund hinab. Er trägt einen schon ergrauenden Knebelbart, und das Haar, das »schon weit von der Stirn und über den Schädel zurückgewichen«, am Hinterkopf aber noch »von dichter Masse« ist, steht ihm »fächerförmig hinter den Ohren«. In seiner Physiognomie liegt etwas »erbschlau Bäuerliches und wieder humoristisch Schiffsmannsmäßiges« (IV, 791). Trotz seiner kräftigen Statur fühlt er sich oft »nicht ganz extra«, weil ihn die Niere drückt (IV, 802). Das macht ihn empfänglich für Josephs sanfte Gute-Nacht-Grüße, von denen er schon bei den Verkaufsverhandlungen eine Probe hört, die ihm die Augen feucht werden lässt (vgl. IV, 802).
Mont-kaw ist »ein wissentlich schlichter, das ist: bescheidener, und ein redlicher, das ist: ein zugleich praktischer und gemütvoller Mann«, ein »nüchterner Erdensohn«, der »sich nicht einbildete, besser zu sein als das Leben, und vom Gewagten und Höheren im Grunde nichts wissen wollte – nicht aber aus Niedrigkeit, sondern aus Bescheidenheit« (V, 982 f.). Bescheidenheit bestimmt schon den jungen Mont-kaw, der zwar auf Betreiben seines Vaters Achmose, eines »mittleren Beamten vom Schatzhause des Montu-Tempels zu Karnak«, die Schule des Tempels mit Erfolg besuchte, aber »um keinen Preis hoch hinauswollte«, sondern »sich im Mäßig-Anständigen zu halten entschlossen war« (V, 983 f.). Seinen Charakter prägt eine eigentümliche »Art von eingeborener Resignation, die sich als redliche Tüchtigkeit äußert und auch als ruhige Duldsamkeit gegen Unbilden des Lebens«. Als seine geliebte Frau Beket bei der Geburt ihres ersten Kindes starb, »beweinte [er] sie bitterlich, wunderte sich aber nicht allzusehr über den Schlag und fuchtelte nicht viel vor den Göttern herum«, sondern fügte sich in sein Los und »blieb Witwer und allein« (V, 984 f.). Seine »Schicksalsmischung« ist, wie Joseph mit Sympathie feststellt, »die eines ›Weh-Froh-Menschen‹ […], die Gilgameschmischung, begünstigt und geschlagen zugleich« (V, 990).
Nachdem er Joseph von dem alten Midianiter gekauft hat, vergisst er ihn zunächst oder will ihn vielmehr vergessen, weil er sich vor sich selbst schämt, den Jüngling auf den ersten Blick »halb und halb« für einen Gott, für Thot, gehalten zu haben (vgl. IV, 797). Seine Vergesslichkeit »entsprang der Scheu; sie entsprang, unter uns gesagt, dem Gefühl, das auf dem Grunde der Welt liegt und also auch auf dem Grunde von Mont-kaws Seele lag: der Erwartung« (IV, 838). Erst nach Josephs erster Begegnung mit Peteprê im Palmengarten (vgl. IV, 883-898) nimmt er sich seiner an und zieht ihn zu seinem Nachfolger heran. Grund dafür ist Josephs zartfühlender Umgang mit Peteprê, der nicht nur diesen selbst, sondern auch seinen Hausvorsteher tief berührt. Der treue Diener, der »seinen Herrn liebte und […] seiner Seele behilflich zu sein wünschte« (IV, 842), erkennt »verblüfft, ungläubig, dankbar« und ohne Eifersucht, dass Joseph »etwas tat, was zu tun ihn selbst, den Vorsteher, [...] die Liebe zum edlen Herrn gelehrt hatte, der es aber auf viel höhere, zartere und wirksamere Weise tat« (IV, 893), so dass ihm auch bei dieser Gelegenheit die Augen feucht werden. Er bestimmt, dass Joseph neben seinem Dienst als Peteprês Leib- und Lesediener mit ihm sein soll als sein »Lehrling und Junggeselle« (IV, 902), »daß ich dich einführe in des Hauses Wirtschaft und dich lehre den Überblick« (IV, 903). Wie einst Jaakob fragt er ihn, ob er den Herrn liebe, und wie Jaakob blickt er ihm dabei »mit eindringlich-schmerzlichem Forschen« in die Augen (IV, 901). Er schließt mit Joseph einen Bund, »daß wir einverstanden sein wollen im Dienst und in der Liebe des Herrn, Peteprê's« (IV, 903). Dieser Bund soll über den »Tod des Älteren« hinaus gelten (ebd.), denn Mont-kaw ist »bei aller geflissentlichen Schlichtheit ein ahnungsvoller Mann«, er fühlt, dass seine Tage gezählt sind (V, 985), und sorgt vor. Er gehört »zu den Ruben-Menschen […], die das Glück und die Würde ihrer Seele darin finden, […] daß sie ihre Pläne, selbst im Sinne der eigenen Abdankung, freudig mit denen höherer Mächte vereinigen« (IV, 900).
Zwischen beiden entsteht rasch eine von Vertrauen und freundschaftlicher Zuneigung geprägte Verbindung, sie nennen einander »Vater« und »Sohn«, und jeden Abend sucht Joseph seinen Vorsteher in dessen Zimmer, dem »Sondergemach des Vertrauens«, auf, um ihm einen Gute-Nacht-Gruß zu sagen, dessen »milde Wünsche und wohllautende Einflüsterungen« den Erschöpften wie am ersten Tag berühren (V, 936). Gegen Ende der sieben Jahre, in denen Joseph bei dem Meier in die Lehre geht, betraut Mont-kaw ihn »mehr und mehr und dann zur Gänze mit der Aufsicht des Hauses« und zieht sich »am Ende von allen Geschäften zurück« (V, 979). Sein Nierenleiden, das ihn seit seinem zwölften Lebensjahr wiederholt geplagt hat, schreitet voran, und eine Erkältung, die er sich bei der Beerdigung eines Verwandten zugezogen hat, wirft ihn schließlich aufs Krankenlager, von dem er sich nicht wieder erheben wird. Der Erzähler erblickt darin einen höheren Plan, der Josephs Erhöhung dient, nennt Mont-kaws Tod einen »Opfertod« (V, 982), und Joseph, der ähnlich denkt, »erschrak sehr, als er Gottes Absichten erkannte« (V, 988), und macht »sich ein Gewissen [...] aus seinem Leiden und Sterben« (V, 990).
Mont-kaws Krankenlager und »bescheidenem Sterben« ist ein eigener langer Abschnitt gewidmet (V, 978-1003). Der brave Mann muss einen mehrwöchigen Todeskampf durchstehen. Joseph schlägt sein Bett neben dem Lager des Freundes auf, pflegt ihn Tag und Nacht und erzählt ihm die Geschichten seines Stammes. Sogar Peteprê besucht ihn und lässt sich das Versprechen abnehmen, Joseph zu seinem Nachfolger zu bestimmen, so dass Mont-kaw seinen »Sohn« zwar nicht segnen, aber »segnend beglückwünschen« kann, während sich »das Haupt des Hochstrebenden unter die Hand des Bescheidenen« neigt (V, 998). Zuletzt gibt er genaueste Anweisungen für seine Bestattung, und während Joseph ihm einen letzten langen Gute-Nacht-Gruß sagt, hört er auf zu atmen. Sein Körper wird gesalzen und gewickelt und nach der obligatorischen Schiffsreise nach Abôdu zu Osiris‘ Grab in der »ersparte[n] Felsenkammer« bei Theben »mit mittlerem Gepränge« beigesetzt. »Joseph aber gedachte dieses Vaters nie, ohne daß die Augen ihm feucht wurden.« (V, 1003)
Abb.: Büste des Montuemhat (26. Dynastie), die als Vorlage für Mont-kaws Erscheinungsbild gilt (vgl. Wysling 250 f.; Kurzke, 74 f.).