Opetfest
Einer der Höhepunkte des ägyptischen Festjahres ist zugleich der Höhe- und Endpunkt der Geschichte von Joseph und Mut-em-enet, denn der Verführungsversuch der verzweifelt Verliebten, der mit Josephs Aburteilung durch Potiphar endet, fällt auf den Tag des Opetfestes im zehnten Jahr von Josephs Aufenthalt in Ägypten (V, 1238).
Das Opetfest findet am »Tag des Beginnes der Nilschwelle«, dem ›amtlichen Neujahrstag‹, statt. Es ist der »große Festtag von Amun-Rê's Besuch im Südlichen Frauenhause« (V, 1240). Dabei wird das im Tempel von Karnak verwahrte Bildnis des Amun mit großem Pomp und unter Begleitung des Pharao von Karnak zum »Säulenhause am Fluß«, dem Südlichen Frauenhaus, gebracht. Das Bildnis, »ein eigentümlich unförmiges Hockepüppchen«, sitzt »heilig versteckt in seiner verschleierten Kapelle« auf einer »widderkopfgeschmückten Barke«, die nun – begleitet von den Barken der Mut und des Chonsu – »auf langen Schulterstangen von vierundzwanzig Blankschädeln in gestärkten Überschürzen« aus der »heiligste[n] Dunkelkammer« auf den Platz vor dem Tempel getragen wird, wo das Ritual des »Gänsefliegens« stattfindet und Pharao dem Gott ein Brandopfer darbringt (IV, 1243 f.). Danach werden die Barken der heiligen »Dreiheit« in einem Festzug an den Fluss gebracht, wo die Reise zu Schiff weitergeht, begleitet von einer großen Volksmenge, die, angeführt von einem Amunspriester, dem Zug der Barken am Ufer zu Fuß folgt (V, 1244 f.).
In Luxor angekommen, wird die Barke mit dem Gottesbild zum Tempel getragen, »empfangen und eingeholt unter Knicksen, Leibeswindungen und Zweiggewedel von Amuns irdischen Nebenfrauen, den Damen vom Hohen Hathorenorden in Dünngewändern, die nun vor dem Hochgemahl (nämlich vor dem gewickelten Hockepüppchen in seiner verhüllten Kajüte) tanzten, Handpauken schlugen und sangen mit allseits beliebten Stimmen« (V, 1246). Mut-em-enet nimmt dieses Mal nicht an dem »schönen Dienst ihrer Schwestern, der Amunskebsen« teil. Sie lässt sich entschuldigen und lässt sagen, sie sei »unpaß« (V, 1248).
Der Verlauf des Festes wird ausgiebig geschildert (V, 1240-1246), »um die Hörerschaft mit dem öffentlichen Rahmen vertraut zu machen, in welchem die Hochstunde unserer Geschichte, der privaten und eigentlichen, sich abspielte«, denn die »großzügigste Kenntnis dieses Rahmens genügt, um zu verstehen, wie sehr in Anspruch genommen Peteprê, der Höfling, an diesem Tage war« (V, 1246 f.).
Die Schilderung des Festes stützt sich auf Blackman (56-62), Erman (198 f.) und bei der Beschreibung der Barke wohl auch auf Erman/Ranke (313 f.) und die dort eingefügte Abbildung einer Amunsbarke aus dem Totentempel Sethos I. in Abydos. – Das Ritual des »Gänsefliegens« gehört eigentlich zum Fest des Gottes Min, dessen (teilweise ähnlicher) Verlauf bei Erman/Ranke (71 f.) beschrieben wird. – Vgl. auch Wiedemann (371 f.) und zur Datierung des Neujahrstages Erman/Ranke (16). – Nach Erman sind Opetfest (198 f.) und Neujahrsfest (371 f.) zwei verschiedene Feste.
Abb.: (1) Die Barke des Amun auf einem Relief in Karnak. – (2) Das »Gänsefliegen«. – (3) Tanzende Frauen in einem Festzug.