Gellenhagen, Roswitha
Dienstmädchen der Witwe Rode, das nach dem plötzlichen Tod der Witwe verlassen an deren Grab auf dem Kessiner Friedhof sitzt, wo Effi sie trifft und spontan als Kindermädchen für Annie engagiert (vgl. 13/131 f.). Die »gute, robuste Person« (13/129) war ihr schon vorher aufgefallen: »Gute braune Augen, die einen treu und zuversichtlich ansehen. Aber ein klein bißchen dumm.« (13/125) Was Roswitha an Intelligenz fehlt, macht ihre Herzensbildung wett. Sie ist der einzige Mensch, der Effi auch nach der Scheidung die Treue hält. Sie gibt ihre Stellung in Innstettens Haushalt auf und teilt Effis bescheidenes Leben in Berlin, ist auch in Hohen-Cremmen an ihrer Seite und sorgt mit einem Bittbrief an Innstetten dafür, dass Rollo, den Effi bei ihren einsamen Spaziergängen vermisst, nach Hohen-Cremmen kommt.
Roswitha stammt aus dem Eichsfeld, sie ist eine »Kattolsche«, die es im protestantischen Norden schwer hat (13/131). Als junges Mädchen wurde sie schwanger, der Vater, ein Schmied, ging mit einer glühenden Eisenstange auf sie los, der sie mit knapper Not entkam. Nach der Entbindung nahm man ihr das Kind weg, und sie verdingte sich als Amme in Halle (vgl. 21/208 f.; 13/132). Das traumatische Erlebnis belastet sie dauerhaft. »Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den andern Tag wie zerschlagen. Solche grausame Angst ...« (21/208)
Roswitha mildert mit ihrer bloßen Gegenwart Effis Furcht vor dem ›Spuk‹ und nimmt ihr die Angst vor der Niederkunft (vgl. 14/134 f.). Das besondere Vertrauensverhältnis, dass Effi zu ihr unterhält, verschafft ihr eine leicht bevorzugte Stellung gegenüber Johanna, die es aber nicht zu Rangstreitigkeiten kommen lässt, weil sie, die ihrerseits Effis volle Wertschätzung genießt, sich der »halb bäurisch gebliebene[n]« Roswitha überlegen fühlt (26/267).
Dass Effi nach der Scheidung sparsam leben muss, schreckt Roswitha nicht davon ab, die gut bezahlte Stellung bei Innstetten aufzugeben und fortan Effi als Hausmädchen zu dienen. »Für Roswitha ist alles gut, was sie mit der gnädigen Frau teilen muß, und am liebsten, wenn es 'was Trauriges ist.« (32/312)
Ihren rührenden Bittbrief an Innstetten, Rollo betreffend, kommentiert Wüllersdorf kurz und trocken: »Ja, […] die ist uns über.« (35/339) Innstetten wühlt dieser Brief tief auf und provoziert ihn zu dem Geständnis, dass sein Leben »verpfuscht« sei (35/340).
Die identischen Anlaute der Namen Rollo und Roswitha sind wohl kein Zufall: Roswitha verkörpert in ihrer schlichten, gesellschaftliche Normen unterlaufenden Treue zu Effi das, was Fontane den »natürliche[n] Mensch[en]« nennt (Brief an Georg Friedländer vom 1. Mai 1890), Rollo die (als sittliche Qualität gedachte) Natur selbst.