Naphta, Dr. Leo
Im zweiten Teil des Romans tritt Leo Naphta auf den Plan: Settembrini ist in das Haus des Damenschneiders Lukacek gezogen, in dem der wohlhabendere Naphta schon wohnt. Naphta ist klein, hässlich, bartlos, hat scharfe Züge und dicke Brillengläser und wirkt »ätzend« (VI, 562f.); seine Stimme klingt wie ein gesprungener Teller – er ist Settembrinis Gegensatz, auch in ideologischer Hinsicht. Er stammt aus einer frommen jüdischen Familie von der galizisch-wolhynischen Grenze, sein Vater war Schächter, er wurde durch Kreuzigung ermordet. Leo (Leib) trat dennoch in den Jesuitenorden ein (VI, 663 ff.). Castorp und Ziemßen werden Zeugen erbitterter Wortfehden zwischen Naphta und Settembrini. Naphta ist religiöser Fundamentalist und Fanatiker, er lehnt die Evolution ab wie die ganze Natur. Da die Menschen unterworfen werden müssen, plädiert er für »Terrorismus« und wünscht sich die Diktatur des Proletariats als Schreckens-Durchgang zum Heil der Welt (VI, 591 ff.).
Am Ende steigert sich Naphta, der immer kränker wird, so in seinen Hass gegen Settembrini hinein, dass er ihn zum Duell auf Pistolen fordert. Settembrini schießt in die Luft, und Naphta erschießt sich im Zorn darüber selbst. Dies geschieht im Februar 1913 und gilt als weiteres Symptom der verwirrten, »gereizten« Zeitstimmung, die im Krieg 1914 kulminiert.
Naphtas Thesen kehren auch in den Debatten des Kridwiß-Kreises im »Doktor Faustus« wieder.