Das Theater des Neuen. Eine Ankündigung (1926)

Nach dem Vorbild der Berliner Bühne »Das junge Deutschland« initiierten die Schauspieler des Wiener Josefstädter Theaters 1925 »Das Theater des Neuen«, eine Reihe, in der ausschließlich expressionistische Dramen gespielt werden sollten. Das Projekt war nicht von langer Dauer: neben Brechts »Baal« wurden nur noch Walter Liebleins »Der Niemand. Drama in vier Akten« und Theodor Csokors »Die Stunde des Absterbens. Eine Höllenfahrt in fünf Akten« gespielt. Für die Eröffnung mit Brechts »Baal« am 21. März 1926 schrieb Hofmannsthal den Prolog »Das Theater des Neuen. Eine Ankündigung«, in dem sich die Schauspieler selbst spielen und sich über ihr Projekt unterhalten. In einem Beiblatt zu den Bühnentyposkripten schreibt Hofmannsthal, der Prolog solle durch den »Ausgleich von Revolution und Tradition« das »geistige Gesicht der Epoche« zeigen (XVII, 1169).

Friedell

Betritt das Büro in dem Moment, als Waniek telefoniert. Er kommentiert Wanieks Telefonat über die anstehende Autorisierung des Theaterprojekts spitz und sorgt mit seinem Verhalten für eine gewisse Komik (»Ah. Dann ist also keine so brennende Eile. Da kann ich indessen meine Arbeitsstätte aufsuchen. Geht an den Diwan und entnimmt dessen Innerm eine Schnapsflasche, ein Gläschen und einige Zeitungen.« XVII, 326). In der Diskussion mit seinen Kollegen übernimmt er die Rolle des (selbst)ironischen Fundamentalskeptikers. Zu Beginn stellt er beispielsweise das gemeinsame Theaterprojekt grundsätzlich in Frage, indem er die perspektivisch bedingte Relativität des Vorhabens zu bedenken gibt: »Fest steht, daß sich der ganze Plan und seine Eignung, hier realisiert zu werden, auch von einem vollkommen entgegengesetzten Standpunkt ansehen läßt, von dem aus sich ein abratender Bescheid der Direktion sehr gut begreifen ließe.« (XVII, 327) Das Gespräch über Ausdrucksformen und Intention des expressionistischen Theaters begleitet Friedell mit Kommentaren, die ihn weder als klaren Befürworter noch als vehementen Kritiker des Expressionismus ausweisen. Er plädiert zwar dafür, dass »der Zeitstoff endlich geballt werde« (XVII, 330), hält das ›vertikale Denken in Ahnenreihen‹ für eine »Infektion, die in der Wiener Luft liegt« (XVII, 331) und ist der Meinung, die Sprache habe es »satt bekommen, in aller Mund zu sein. Auf die Dauer ist das keine Existenz für ein geistiges Wesen« (XVII, 332). Im Unterschied zu Homolka geht es ihm aber nicht um eine programmatische Verteidigung des Expressionismus. Nachdem die Unterhaltung durch die Nachricht unterbrochen worden ist, dass die Telefonverbindung mit der Theaterleitung in Berlin hergestellt sei, formuliert Friedell die provokante These, dass die Zeit vom Individuum »erlöst« werden wolle (XVII, 333): »Sie [die Zeit] schleppt zu schwer an dieser Ausgeburt des sechzehnten Jahrhunderts, die das neunzehnte großgefüttert hat.« Er würde sogar »so weit gehen, zu behaupten, daß alle die ominösen Vorgänge in Europa, denen wir seit zwölf Jahren beiwohnen, nichts sind als eine sehr umständliche Art, den lebensmüden Begriff des europäischen Individuums in das Grab zu legen, das er sich selbst geschaufelt hat« (ebd.). Friedell ist der Ansicht, dass das Ich nicht länger als »absolute Einheit« zu denken ist (XVII, 336), dass es kein ›dogmatisches Ich‹ gibt (XVII, 337), und versteht den Schauspieler als ›symbolischen Menschen‹, weil er »die Amöbe unter den Lebewesen« sei (ebd.). Obwohl Thimig, Waldau und Homolka grundsätzlich andere Standpunkte vertreten, einigen sie sich zum Schluss auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, dass nämlich »die herkömmlichen historischen und sozialen Grenzen des Individuums« für den ›neuen Menschen‹ keine Bedeutung haben (XVII, 338). Die Unterhaltung endet mit dieser ›außerordentlichen Übereinstimmung‹ (ebd.), die mit der von Waniek überbrachten Nachricht zusammenfällt, dass das »Theater des Neuen« am 21. März eröffnen kann (vgl. ebd.). Friedell beschließt den Prolog daraufhin mit dem sinnfälligen Satz: »Das heißt ja geradezu, einem den Boden unter den Füßen wegziehen.« (XVII, 339)

Egon Friedell (1878-1938) war von 1924 bis 1929 Ensemblemitglied des Josefstädter Theaters. Im ›Baal‹ spielte er die Rolle des Mjurk. Friedell (ursprünglich Friedmann) war Sohn und Erbe des wohlhabenden jüdischen Seidentuchfabrikanten Moriz Friedmann. 1897 konvertierte er zum evangelisch-lutherischen Glauben. Er studierte in Berlin, Heidelberg und Wien Philosophie, Germanistik und Naturwissenschaften; 1904 promovierte er mit einer Dissertation über Novalis. Ab 1914 litt er verstärkt unter Alkohol- und Gewichtsproblemen, die wiederholte Sanatoriumsaufenthalte bedingten. Als Schriftsteller, Journalist, Theaterkritiker, Kabarettist, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler in Berlin und Wien machte Friedell sich deutschlandweit einen Namen. Internationale Popularität verschaffte ihm seine dreibändige »Kulturgeschichte der Neuzeit«, in der er die Geschichte von der Renaissance bis zur Neuzeit essayistisch-anekdotisch interpretierte. Als 1938 die Gestapo vor seiner Tür stand, beging er Selbstmord, indem er sich aus dem Fenster stürzte. Sein Nachlass wurde beschlagnahmt.

Homolka

Ist der Baal-Darsteller des Eröffnungsstücks und befindet sich mit Waniek, dem Regisseur, im Büro des Theaters in der Josefstadt, als das Telefon klingelt und Waniek erfährt, dass er die Theaterleitung in Berlin sogleich telefonisch über das Programm des ›Theaters des Neuen‹ in Kenntnis setzen soll, um eine Autorisierung des Projekts zu erwirken. Homolka unterstützt Waniek mit Nachdruck, indem er überzeugt für das »Theater des Neuen«, den »Baal« und die Leitideen des Expressionismus eintritt, Thimigs ›konservative‹ Position zu entkräften und Waldau milde zu stimmen versucht. Er propagiert einen forcierten Avantgardismus, der Körperlichkeit als »neue Sprache« versteht und »Ding«, »Blut«, »Wesen« beschwört (XVII, 331). In der ins übermenschlich Mythische gesteigerten Figur des Baal sieht Homolka die Revolution des Geistes und die Vision des ›neuen Menschen‹ realisiert. Der Name ›Baal‹ bedeute »das Letzte, den Durchbruch ins Unbedingte, Neue, Elementare« (XVII, 329). Baal sei Sinnbild des elementaren Lebenshungers: »Er ist der Mythos unserer Existenz, die elementare Erfassung unseres Daseins. Der Mensch von heute geht durch alles durch, er saugt alles Lebendige in sich, um schließlich zur Erde zurückzukehren« (ebd.). In Brechts Stück gestalte sich die Idee ihre eigene, dynamische Realität, hier seien »Gebärde und Wort eins. Innere Gewalt entlädt sich und schafft den neuen Lebensraum, indem sie ihn mit sich erfüllt« (XVII, 328). Für Homolka hat die »Sprache als Vehikel dessen«, was Thimig »Geist« nenne, »bis auf weiteres abgewirtschaftet« (XVII, 331), zumal der ›neue Mensch‹ nicht mehr (wie Thimig) genealogisch, sondern im »Querschnitt der Gegenwart« denke (ebd.). In der von Friedell angestoßenen Diskussion um den Individualbegriff vertritt Homolka die Auffassung, dass das Individuum an sich nicht mehr existiere. Die Menschen seien – und das könne man an seiner Interpretation der Baal-Figur sehen – nurmehr »anonyme Gewalten. Seelische Möglichkeiten« (XVII, 333). Gegen Ende des Prologs relativiert Homolka seine Ansichten, um einen Kompromiss mit Waldau und Thimig zu finden. Sie einigen sich schließlich darauf, dass das »dogmatische Ich« nicht mehr existiert (XVII, 337). Homolka freut sich über den unvermittelt zustande gekommenen »Ausgleich von Revolution und Tradition« und fasst zusammen (XVII, 1169): »Ich habe nie mehr behauptet. Ich habe gesagt, daß der neue Mensch sich vor allem als Träger potentieller Energien weiß. […] Daß die herkömmlichen historischen und sozialen Grenzen des Individuums für ihn keine Bedeutung haben.« (XVII, 338)

Der Film- und Theaterschauspieler Oskar Homolka wurde 1898 (nach anderen Angaben 1901) in Wien geboren und starb 1978 in Sussex/England. Seine Ausbildung absolvierte er an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Wien, wo er 1918 auch sein Theaterdebüt gab. Homolka war an verschiedenen Bühnen in Wien engagiert und spielte 1924 in der Welturaufführung von Brechts »Leben Edwards II. von England« in München. 1926 verpflichtete Max Reinhardt ihn für das Deutsche Theater in Berlin und für das Josefstädter Theater, wo er jeweils die Rolle des Baal übernahm. In Berlin spielte er außerdem am Theater am Schiffbauerdamm, am Künstler- und am Lessingtheater. Bekannt wurde Homolka vor allem durch seine Karriere als amerikanischer Filmschauspieler. Nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten arbeitete er am Broadway und hatte Rollen in Hollywood-Produktionen. Mit seiner massigen Statur und seinen buschigen Augenbrauen war er ideal für düstere Rollen. Homolka spielte unter anderem neben Marlene Dietrich und John Wayne (»Das Haus der sieben Sünden«), Marilyn Monroe (»Das verflixte 7. Jahr«) und Katharine Hepburn (»Die Irre von Chaillot«). Für seine Leistungen als Nebendarsteller in »Geheimnis der Mutter« erhielt er 1948 eine Oscar-Nominierung.

Nitschmann, Fräulein

Die Sekretärin der Theaterdirektion ist keine handelnde Figur, ihr Name wird von Waniek genannt, als Fräulein Nitschmann ihn telefonisch darüber informiert, dass die Theaterleitung ihn in der Angelegenheit des ›Neuen Theaters‹ zu sprechen wünscht. Fräulein Nitschmann setzt Waniek zu Beginn des Prologs darüber in Kenntnis, dass die Entscheidung über die Autorisierung des ›Theaters des Neuen‹ kurz bevor steht und er der Berliner Direktion das vorgesehene Programm kurz am Telefon erörtern möge (vgl. XVII, 325). Die Telefonverbindung mit der Direktion in Berlin kommt aber erst später zustande, als die Schauspielerkollegen sich gerade rege über Form und Intention des expressionistischen Theaters austauschen (vgl. XVII, 332).

Thimig

Hermann Thimig,  klassisch gekleidet im Sakkomantel, mit Handschuhen und Hut, kommt nach Wanieks Telefonat mit Fräulein Nitschmann ins Büro im Theater in der Josefstadt und wundert sich, dass er seine Kollegen nicht »in voller Arbeit« vorfindet (XVII, 326). Er drängt – trotz fehlender offizieller Bestätigung des Projekts durch die Theaterleitung – zu raschen, pragmatischen Entscheidungen, das Repertoire betreffend. Als er feststellt, dass die Wahl des Eröffnungsstücks ohne seine Mitsprache bereits auf Brechts »Baal« gefallen ist, versucht er bei Homolka Erkundigungen über das Stück einzuholen: »O bitte, aber darf ich vielleicht doch sehen! ... ich interessiere mich begreiflicherweise« (XVII, 328). Homolka, der sich als Expressionismus-Experte inszeniert, nimmt seinen unkundigen ›konservativen‹ Kollegen Thimig, der vermutet, es handele sich um ein ›historisches‹ Stück, aber nicht ernst und reagiert unwirsch: »›Baal‹ von Brecht. Ich glaube, das sagt genug. […] Ein Blick würde Ihnen nichts sagen. […] Historisch? Wie kommen Sie zu dem gespenstischen Begriff?« (ebd.). In der Diskussion, die sich daraufhin entspinnt, vertritt Thimig eine skeptische Grundhaltung gegenüber den Leitideen des Expressionismus und meldet an Homolkas Bewertung des »Baal« Zweifel an: Homolkas Interpretation des Stücks sei für die Wiener Zuschauer nicht nachvollziehbar: »Und Sie nehmen an, daß dies ohne weiteres verstanden werden wird? Ich meine: hier. Hier ist doch schließlich nicht Berlin. […] Wenn wir wollen, daß ein neuer Dichter in einer neuen Sprache durch uns zu ihnen rede, so müssen wir auch wollen, daß sie ihn verstehen« (XVII, 329). Im Gegensatz zu Homolka und Waniek verwahrt Thimig sich insbesondere gegen die innovativ-experimentellen Stilformen des Expressionismus und gegen eine »rohe, unartikulierte Sprache« (XVII, 332). Im Unterschied zur jungen Generation plädiert er für die traditionelle Geformtheit des Kunstwerks und verteidigt die Sprache als generationenübergreifendes Kulturgut und als Trägerin geistiger Inhalte: »Die überkommene Sprache ist nun einmal die Brücke, auf der stehend wir den Hinsturz der Generationen überdauern.« (XVII, 331) Auch in der anschließenden, von Friedell angestoßenen Debatte über »den Individualbegriff im Allgemeinen« (XVII, 334) zeigt er sich verständnislos gegenüber den ›neuen Ideen‹. Trotzig-sarkastisch macht er sich über das von Homolka propagierte ›Ende des Individuums‹ lustig. Als Waldau eintritt und fragt, ob sich etwas Neues ereignet habe, antwortet Thimig kurz: »Jawohl. Das Individuum existiert nicht mehr. […] Diese beiden Herren [Friedell und Homolka] haben mich sozusagen mit der Zeit in Kontakt gebracht.« (Ebd.) Während Thimig zunächst »am Ende seiner Geduld« zu sein scheint (XVII, 333), kokettiert er sodann selbstironisch mit seiner Antiquiertheit (»Ich bin nur entsetzlich rückständig. Ich habe bis jetzt geglaubt, ein Individuum zu sein und kraft meiner Individualität Individuen darzustellen«, XVII, 335). Und am Ende wohnt er dem Gespräch sogar »lächelnd« und »völlig entspannt« bei (XVII, 336, 337). Nachdem sich die Diskutanten auf das Ende des ›dogmatischen Ich‹ (vgl. XVII, 337), auf die Bedeutungslosigkeit der »herkömmlichen historischen und sozialen Grenzen des Individuums« (XVII, 338) und auf den ›neuen Menschen‹ als »Träger potentieller Energien« (ebd.) geeinigt haben, reicht Thimig Homolka versöhnlich die Hand (vgl. ebd.).

Hermann Thimig (1890-1982) entstammt der Schauspielerdynastie Thimig. Er war der älteste Sohn des Schauspielers, Regisseurs und Theaterdirektors Hugo Thimig (1854-1944) und Bruder der Schauspielerin und Regisseurin Helene Thimig (1889-1974) sowie des Schauspielers Hans Thimig (1900-1991). Er selbst avancierte ohne jede Schauspielausbildung zu einem populären Theater- und Filmschauspieler. Nachdem er in den Jahren 1902 bis 1908 zunächst in einem Laientheater mitwirkte, bekam er 1910 bis 1914 sein erstes Engagement am Hoftheater in Meiningen. 1916 holte Max Reinhardt ihn ans Deutsche Theater in Berlin, wo er bis 1932 mitwirkte. Seit 1924 spielte er auch in Reinhardts Theater in der Josefstadt in Wien. In Brechts »Baal« trat er dort als »ein Mann« auf. Seit 1925 wirkte er bei den Salzburger Festspielen mit, 1934 bis 1968 war er am Burgtheater in Wien beschäftigt. Als Filmschauspieler hatte er seinen Durchbruch erst 1932/33 mit dem Tonfilm.

Waldau

Der zurückhaltende, freundliche und auf Harmonie bedachte Waldau kommt erst zur Gruppe hinzu, als Waniek sich bereits entfernt hat, um das Telefonat mit der Theaterleitung in Berlin zu führen. Bei seinem Eintreffen diskutieren Homolka, Friedell und Thimig gerade über den Individualbegriff und versuchen den neu Hinzugekommenen über ihren Gesprächsinhalt aufzuklären. Als Homolka erklärt, es gebe »keinen einzelnen in Ihrem [Waldaus] Sinn« (XVII, 335), reagiert Waldau zunächst irritiert: »Ich habe bisher mein bescheidenes Ich für eine Privatangelegenheit gehalten. […] In meiner Haut hab’ ich doch geglaubt zu Haus’ zu sein, das heißt mindestens in den trivialeren Momenten.« (XVII, 336) Allerdings merkt er an, dass der Schauspieler tatsächlich ungeeignet sei, »für die Grenzen des Individuums in die Schranken zu treten«: »Ich weiß nicht, ob einer von Ihnen sich so ganz im klaren ist, wo er anfängt und wo er aufhört... ich bin es nicht. [...] Diese gewissen ungewissen Verbindungen mit dem Unbekannten, die wir beständig eingehen...« (XVII, 336 f.). Obwohl Waldau mit seinen Äußerungen gewiss nicht dasselbe im Sinn hat wie Homolka, nutzt dieser Waldaus Aussagen aber, um sie im Sinn seiner expressionistischen Leitideen zu interpretieren und damit einen Kompromiss zwischen den Diskutanten herbeizuführen: »Wären Sie bereit, diese Verbindungen mit dem Unbekannten unter einer kleinen Versetzung des Akzents Geburtswehen der Zukunft zu nennen? […] Und zuzugestehen, daß dieses sich gebärende Zukünftige, Überpersönliche das zufällige Ich zersprengen darf und muß?« (Ebd.) Nachdem Waldau höflich sein Einverständnis gegeben hat, freuen sich beide über »eine außerordentliche Übereinstimmung« (XVII, 338).

Gustav Waldau (1871-1958) war das Künstlerpseudonym für den auf Schloss Piflas geborenen Gustav Freiherr von Rummel, Spross einer alten Offiziersfamilie, der seinen Offiziersdienst in einem Münchner Garderegiment quittierte, um zunächst Journalist, dann Schauspieler zu werden. Gustav (auch Gustl) Waldau blieb vor allem der Münchner Bühne treu und gehörte über Jahrzehnte dem Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels an. 1921 war er der erste Darsteller des Grafen Kari Bühl bei der Uraufführung von Hofmannsthals »Der Schwierige« im Münchner Residenztheater. Als einer der bedeutendsten Darsteller der deutschen Bühnen spielte er aber auch in Köln, Berlin und Wien und unternahm Gastspielreisen nach Amerika und Petersburg. In Wien, wo er seit 1924 vorwiegend am Theater in der Josefstadt arbeitete, wurde er vom Publikum wie ein Landsmann gefeiert. Waldau spielte im »Baal« nicht mit, er übernimmt in Hofmannsthals Prolog die Rolle des Seniors des Wiener Ensembles. Als Filmschauspieler setzte Waldau sich besonders in den dreißiger und vierziger Jahren durch. Er erhielt – sowohl während der Zeit des Nationalsozialismus als auch danach – zahlreiche Auszeichnungen. 1956 wurde ihm das Verdienstkreuz Erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Waniek

Steht dem neuen Theaterprojekt vor und ist Regisseur des »Baal«. Er hält sich zu Beginn des Prologs mit Homolka in seinem Büro im Theater in der Josefstadt auf, wo sie gemeinsam das Repertoire für das »Theater des Neuen« festlegen möchten. Ihre Kollegen Friedell, Thimig und Waldau kommen nach und nach hinzu. Waniek, der davon ausgeht, dass das »Theater des Neuen« längst von der Theaterleitung autorisiert worden ist, wird telefonisch von Fräulein Nitschmann darüber in Kenntnis gesetzt, dass das von ihm erarbeitete Programm der Direktion noch gar nicht vorgelegen hat und er eine Präsentation seines Vorhabens nun »in vier bis fünf Minuten« (XVII, 325) am Telefon nachholen soll. Waniek ist empört: »Dinge dieser Art lassen sich doch nur Aug in Aug vertreten. Es handelt sich doch hier um die subtilste Schwebung, um Weltanschauliches und dessen Vertretung gegenüber Männern einer anderen Generation! Das kann man doch nicht in einen Apparat hineinbrüllen!« (XVII, 326) Im anschließenden Gespräch mit seinen Kollegen erklärt er das Anliegen seines ›Neuen Theaters‹: »Wir haben den magischen Raum zu schaffen, in dem die materiellen und sozialen Begrenzungen sich auflösen und der Mensch sich selber zum Sinnbild wird.« (XVII, 330) Indem er betont, dass er an ein »neues Seelenhaftes« glaube (ebd.) und der Mensch nicht ohne eine »mythenbildende Kraft« leben könne (XVII, 329), schreibt er Begriffe wie ›Verwesentlichung‹, ›Entdifferenzierung‹ und ›neue Sinngebung‹ auf die Fahnen des ›Neuen Theaters‹. Noch bevor die Diskussion um den Individualbegriff beginnt, verlässt Waniek das Büro, um mit der Theaterleitung in Berlin zu telefonieren: »Die Verbindung mit Berlin. Ja, ich komme. Was soll ich tun? Was soll ich sagen? [...] Kann ich eine geistige Welt, die man sich im monatelangen Nachdenken ausgebaut hat, am Telephon begründen?« (XVII, 332) Am Ende des Prologs überbringt er seinen Kollegen die freudige Nachricht, dass die Direktion das »Theater des Neuen« ohne Bedingungen, ohne Aufschub und ohne Hindernisse bewilligt hat, die Proben beginnen können und das Theater am 21. März eröffnen wird (vgl. XVII , 338).

Der österreichische Schauspieler und Regisseur Herbert Waniek (1897-1949) nahm ab 1918 Schauspielunterricht und debütierte 1919 am Landestheater Linz. In den Jahren 1920 bis 1924 war er an der Neuen Wiener Bühne, am Deutschen Volkstheater in Wien und am Deutschen Theater in Brünn tätig. Ab 1924 war er am Theater in der Josefstadt beschäftigt, wo er auch als Regisseur moderner Dramatik wirkte und zu den Begründern des »Theaters des Neuen in der Josefstadt« zählte. 1927 bis 1930 arbeitete Waniek als Schauspieler, Regisseur und Oberspielleiter am Schauspielhaus Zürich, wo er unter anderem Hofmannsthals »Jedermann« inszenierte. Sein Name stand sowohl für streng stilisierte Klassikerinszenierungen als auch für moderne Inszenierungen von Zeitdramen (z.B. unter Verwendung von Film- und Diaprojektionen). 1930 wurde Waniek als Oberspielleiter an die Städtischen Bühnen in Essen berufen, 1931 bis 1933 inszenierte er wieder am Schauspielhaus Zürich; seit 1933 war er Schauspieler und Hausregisseur, später Oberspielleiter am Burgtheater Wien. Waniek starb als designierter Direktor des Salzburger Landestheaters.

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