Effinger, Lotte
Erstes Kind von Paul und Klara Effinger, geboren 1894. Schwester von Fritz Effinger, Cousine und Ehefrau von Erwin Effinger, Mutter von Susanne und Emmanuel Effinger.
Lotte wächst mit ihren Eltern in einem Arbeiterviertel in einer Mietwohnung auf (310f.), obwohl ihr Vater inzwischen vermögend ist (313). Selbstbewusst verteidigt sie das Viertel gegen ihre Cousine Marianne, die in der vornehmen Gegend am Tiergarten aufwächst (312). Trotzdem fühlt sie sich ihr unterlegen und fühlt sich neben ihr unscheinbar und hässlich (351). Wie Marianne bedrückt auch sie das Elend des Proletariats, das sie aber, anders als ihre Cousine, nicht zu tätigem Handeln führt (352). Als Vierzehnjährige unterhält sie einige Zeit lang einen Briefwechsel mit ihrem Vetter Walter Mainzer (366f.). Kurz vor dem Ende ihrer Schulzeit schwankt sie zwischen verschiedenen Lebensentwürfen, denkt an ein Studium, aber auch an eine Heirat mit einem schönen Mann (407). Ihren heimlichen Wunsch, Schauspielerin zu werden, begräbt sie, als eine Schauspiellehrerin ihr abrät (408). Nachdem sie einen frauenrechtlerischen Vortrag über soziale Arbeit von Amalie Mayer gehört hat, möchte sie Abitur machen und studieren und danach soziale Arbeit leisten (412).
In der Tanzstunde verliebt sie sich in den Gymnasialschüler Ludwig Heesen (413f.), der sich wenig später umbringt (421f.). Der zwanzig Jahre ältere Merkel wirbt um sie; obwohl sie ihn nicht mag, lässt sie sich dazu überreden, mit auf sein Zimmer zu kommen, und gilt nun als gefallenes Mädchen. Die Eltern schicken sie im Juni 1914 zu ihrem Großvater nach Kragsheim (478), holen sie aber nach dem Kriegsausbruch wieder nach Berlin, wo sie in Mariannes Hilfsorganisation für mittellose Angehörige von Soldaten arbeitet (493). Die Arbeit wird ihr zunehmend zweifelhaft, sie bittet ihren Vater, Latein und Mathematik lernen zu dürfen (501f.). 1919 verlobt sie sich mit Edgar Anders (556), der ihr allerdings keinerlei Zärtlichkeit entgegenbringt und das Verlöbnis kurz vor der Hochzeit löst (572).
Einige Monate später nimmt sie in München ihr Studium auf (616). Dort wird sie Zeugin einer von nationalistischen Studenten anberaumten »Feier« für Graf Arco, den Mörder Kurt Eisners (622), und der Angriffe auf Professor Steindler (628). Im Sommersemester 1920 wechselt sie nach Heidelberg (646), wo sie offenbar Kunstgeschichte studiert (648). In dem Studentenführer Enkendorff findet sie den seit Jahren erwünschten Partner für »das große geistige Gespräch« (654), auch wenn er sie in ihrem Glauben an die Werte der Aufklärung verunsichert (658).
Im Sommer 1920 bekommt sie Besuch von ihrem Vetter Erwin und verliebt sich in ihn (667). Sie wird schwanger und beide heiraten umgehend noch in Heidelberg (678). Danach gehen sie nach Berlin zurück, wo Lotte ihr Studium fortsetzt. Wegen der Wohnungsnot lebt das Paar bei Erwins Eltern am Kurfürstendamm in einem Zimmer (682). Kurz vor der Geburt des Kindes gesteht Erwin seiner Frau, dass er sich in eine Achtzehnjährige verliebt hat, obwohl er sie nach wie vor liebt und glücklich mit ihr ist (698f.). Nach der Geburt lebt Lotte wie geplant mit dem Kind bei ihren Eltern, so dass die Eheleute sich kaum sehen. Ein Jahr später macht sie einen zweiten Versuch, Schauspielerin zu werden, und hat Erfolg. Als Angelika Oppen macht sie rasch Karriere (715). Das Kind wächst bei ihren Eltern auf (727). 1924 wechselt sie an das Haus des berühmten Theatermanns Bermann (740). 1926 verliebt sie sich unverhofft in Kipshausen (757), wird von ihm schwanger (769), lässt die Schwangerschaft aber abbrechen und kehrt zu Erwin zurück, der sich bereit erklärt hatte, das Kind als eheliches Kind anzuerkennen (769). Sie besucht ihre Tante Sofie in Griechenland und trifft auf der Rückfahrt Erwin in Südtirol (775), der inzwischen eine gemeinsame Wohnung in Berlin gemietet hat (776). 1929 wird ihr zweites Kind, Emmanuel, geboren (778).
Im Februar 1933 wird Lotte aus dem Ensemble ihre Theaters geworfen und muss Hals über Kopf aus Deutschland fliehen (847). Erwin bringt sie zunächst nach Prag (849). Sie bekommt Rollen in Prag und Wien (866). Erwin kommt mit Emmanuel bald nach, 1938 reisen sie zu dritt nach Palästina, um Susanne und Marianne in ihrem Kibbuz zu besuchen (872f.). In der Folgezeit hören ihre Verwandten kaum noch etwas von ihnen. Sie »rutschen von Ort zu Ort und von Land zu Land«, so Paul, und kommen nicht zur Ruhe (879).