Agathe

Schwester des Mannes ohne Eigenschaften, Ulrich. Sie trifft ihren Bruder beim Begräbnis des Vaters wieder. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 27 Jahre alt, seit fünf Jahren verheiratet mit einem Gymnasiallehrer, dem Professor Gottlieb Hagauer, nachdem sie schon mit 19 Jahren Witwe geworden war. Agathe und Ulrich kennen sich als Erwachsene kaum, wenn Ulrich auch bei ihrer zweiten Hochzeit anwesend war. Als Kinder wurden sie nach dem frühen Tod der Mutter getrennt und in verschiedenen Internaten erzogen (III, 1., 673). Nur als Agathe zehn Jahre alt war, waren sie einmal längere Zeit in den Ferien zusammen zu Hause. Bei ihrer ersten Begegnung im Trauerhaus, in dem der Vater aufgebahrt liegt, haben beide zufällig Pyjamas an, die beide wie ein  »Pierrotkleid« aussehen, schwarz-grau und grau-rostrot gewürfelt (675 f.). Agathe ist groß, schlank, blond, sie hat »etwas Hermaphroditisches«, findet Ulrich (III, 2., 686).

An Einzelheiten aus der Vergangenheit beginnen sich die Geschwister nun zu erinnern und an die »Verlassenheit ihrer Kindheit« (III, 3.,706; 5.). Agathe war, anders als Ulrich, ein äußerlich angepasstes Kind (III, 9., 727). Sie hat ihr bisheriges Leben widerstandslos hingenommen, auch ihre Ehen. »Männer waren eine Ergänzung und Vervollständigung des eigenen Körpers, aber kein seelischer Inhalt« (9., 732). Agathe findet ihren Mann, Hagauer, hässlich und etwas abstoßend; auf der Reise zum Begräbnis hatte sie beschlossen, nicht zu ihm zurückzukehren. Sie ist diese »Mißheirat« (III., 10., 733) eingegangen, um sich zu bestrafen, weil sie einen »unwürdigen« Geliebten gehabt hatte (III, 12., 759, 764). Eigentlich möchte sie Hagauer gern ganz und gar loswerden, vielleicht umbringen (10., 743).

Agathe und Ulrich bereuen fast ihr ganzes bisheriges Leben – es war ohne Sinn (10., 735 ff.). Der Erzähler wendet sich an die Leser mit dem Hinweis, »wer das, was zwischen diesen Geschwistern vorging«, nicht schon erkannt habe, möge den Bericht fortlegen. Es werde darin eine »Reise an den Rand des Möglichen« beschrieben, ein Abenteuer, das er niemals billigen könne (12., 761).

Agathe hat das Testament ihres Vaters gefälscht, zuungunsten ihres Mannes (III, 15., 798). Ulrich konnte dem nichts außer der ›Moral‹ entgegensetzen, die er selbst für äußerlich hält. »Für die Dauer der Scheidung« möchte Agathe zu Ulrich übersiedeln (800). Ulrich: »Weißt du, daß wir in das Tausendjährige Reich einziehn?« (801). Das bedeute, denkt er später, »mit Hilfe gegenseitiger Liebe« in einer gehobenen weltlichen Verfassung zu leben (III, 22., 874).

Vor dem Umzug denkt Agathe lange über sich nach (III, 21., 857).Wie Ulrich hatte sie sich vorgenommen, ihr Leben zu beenden, wenn es sich nicht ändere. Ihre Giftkapsel trägt sie jetzt auf der Brust (862).

Dann trifft sie bei Ulrich ein, der sein Haus gar nicht auf sie vorbereitet hat. Gemeinsam schaffen sie eine neue Ordnung. Sie sprechen viel miteinander und möchten sich am liebsten als Zwillinge betrachten, denn sie sind sich sehr ähnlich (III, 25., 908). Auch Platos Gleichnis vom ganzen Menschen, der dann in Mann und Frau geteilt wurde, beschreibt ihre Zusammengehörigkeit (904).

Agathe wird bei Diotima eingeführt, die sie zuerst mit Misstrauen betrachtet. Doch sie gewinnt Diotimas Wohlwollen, weil sie selbst ganz ohne Ehrgeiz ist (III, 27., 934).

Ulrich und Agathe leben eine Zeitlang harmonisch und glücklich zusammen, bis Briefe von Agathes Mann eintreffen (III, 29.). Nun sieht sie ihr Tun zum ersten Mal aus dessen Perspektive und fühlt sich schlecht. Ulrich reagiert kühl (III, 30.).

Sie läuft fort, bis sie nach langen Wegen zu einem einsamen Dichtergrab kommt, das die Inschrift trägt: »Ich war euch nichts« (III, 31., 965). Der Dichter hatte sich vor langer Zeit getötet, und auch sie hatte wieder an Selbstmord gedacht. In dieser Situation, die an einen Roman der Romantik erinnert, erscheint ein Herr, der versucht, sie mit allgemeinen Belehrungen zu trösten. Er heißt Lindner und ist Lehrer am Gymnasium wie ihr Mann, den er kennt (971).

Am Abend desselben Tages nimmt Agathe mit Ulrich an Diotimas großer Abendgesellschaft teil, und sie sind einander wieder sehr nah (III, 38., 1024 f., 1029). Aber Ulrich muss weiter mit den anderen Gästen reden, und sie geht vorzeitig.

Am nächsten Morgen denkt sie im Gespräch mit ihm: »Wie schön wäre es, wenn er nichts sagte als: ›Ich will dich lieben wie mich selbst [...]‹« (1059). Und dann geht sie, denn »›im nächsten Augenblick hätte es uns aus den Kleidern geschält wie ein silbernes Messer [...]‹« (1062).

Sie sucht Lindner auf, um Rat zu finden und eine »Lebensschulstunde« nachzuholen (1071). Der durch sie erregte Tugendprediger mahnt sie wortreich zur Pflicht gegenüber ihrem Mann, aber am Ende ist sie die Überlegene, und er bleibt beschämt zurück. Agathes Gewissen bleibt dennoch manchmal bedrückt (1097).

An einem Mondschein-Abend zu Hause kommen sich Agathe und Ulrich sehr nahe mit Seelen und Körpern; aber Agathe sagt ihm plötzlich Gute Nacht (1087).

Kapitel 46 heißt »Mondstrahlen bei Tage«. Agathe und Ulrich verbringen viel mußevolle Zeit im sommerlichen Garten. Er spricht über »taghelle Mystik«, die Einheit der Gegensätze (1089 f.). Sie denkt: »Er will nicht, daß es bloß eine Liebesgeschichte werden soll«; ihre sei »überhaupt die letzte Liebesgeschichte, die es geben kann!« (1094). Aber ihre »ungewisse Leidenschaft, die sich nicht an einem Verbot gebrochen hatte, sondern an einer Verheißung«, schlägt auch ungesund in die Körper zurück (1096). Sie haben sich ganz aus der Gesellschaft zurückgezogen, wandern durch die Stadt und sprechen über Liebe und Schönheit. Sie sind »die Ungetrennten und Nichtvereinten« (1104).

Beide verbergen etwas voreinander: Ulrich schreibt Tagebuch, Agathe liest es, und sie geht noch mehrmals zu Lindner, um im Streit mit ihm ein Ventil zu haben. Aber es ist auch eine  »Widersetzlichkeit« gegen die Abhängigkeit von Ulrich (1180). (In einem Entwurf gibt es ein Kapitel, in dem Agathe mit einem Rechtsanwalt über ihre Scheidung spricht; vgl. 1472 ff.).