Niebuhr, Martin
Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt Mecklenburg, seit 1933 Schleusenwärter an der Havelschleuse bei Wendisch Burg. Ehemann von Heinrich Cresspahls Schwester Gertrud Niebuhr, Onkel und Ziehvater von Günter und Klaus Niebuhr, den Söhnen seines Bruders Peter Niebuhr und seiner Frau Martha, geb. Klünder, die 1943 ums Leben kommen.
17 Im August 1931 hat Heinrich Cresspahl »seine Schwester verheiratet an einen Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, Martin Niebuhr. [...] Er hatte sich Niebuhr zwei Tage lang angesehen, ehe er ihm tausend Mark gab, als Darlehen.«
113 Auf einem Bild von Heinrich und Lisbeth Cresspahls Hochzeit im Oktober 1931 sieht man auch »Martin Niebuhr, freundlich und starr in seinem ungelüfteten Festtagsanzug«.
281 Bei der Beerdigung seiner Schwiegermutter Berta Cresspahl im März 1933 in Malchow am See gehören Martin und sein Bruder Peter Niebuhr zu den Sargträgern.
473 Ende 1935 sieht »selbst Martin Niebuhr [...] nun ein, daß das Wasserstraßenamt ihm niemals etwas Größeres geben würde als die Schleuse bei Wendisch Burg«.
728-730 Am 9. November 1938 sind Heinrich und Gesine Cresspahl bei Gertrud und Martin Niebuhr zu Besuch. Zu ihrem Haus an der Havelschleuse gelangen sie von Wendisch Burg aus mit dem Postauto, »dessen Fahrer Cresspahl zuliebe mitten in einem kahlen Mischwald anhielt. Dann war zwischen den Baumstämmen ein niedriges rotes Dach zu sehen, in müde schleichendem Nebel. Das war die Havelschleuse Wend. Burg.« Sie treffen dort auch Peter und Martha Niebuhr aus Berlin mit ihrem ersten Kind Klaus an. Hinter dem Haus steht eine Schaukel, »und auch einen Sandkasten hatten die kinderlosen Niebuhrs angelegt«. – Martin zeigt seinem Schwager »mit bescheidendem Stolz« sein Haus und Grundstück und die Schleusenanlage. – Nach Heinrich Cresspahls Einschätzung hat Peter Niebuhr »an Verstand, Kraft, Stehvermögen, was dem älteren Martin mit Schußligkeit, Trödelei, Bequemlichkeit abging«. – Am nächsten Morgen (10.11.1938) erhält Cresspahl telefonisch die Nachricht von Lisbeths Tod.
765 Gesine bleibt drei Tage allein bei den Niebuhrs in Wendisch Burg und fährt dann mit ihnen am Beerdigungstag ihrer Mutter (14. November 1938) zurück nach Jerichow. »Die Niebuhrs hatten ihr nichts sagen mögen, und sie hatte deren gedrücktes Wesen, die mitleidige Streichelei nur aus Gehorsam gegen den Vater ertragen.«
767 Beim Leichenschmaus nach Lisbeth Cresspahls Beerdigung ärgert sich Lisbeths Mutter Louise Papenbrock über die »Niebuhrs aus Wendisch Burg, weil sie so niedergeschlagen und still dasaßen, als verstünden sie das Trauern doch besser als eine Gastgeberin, die immerhin die Ohren vollhat«.
932 Nach dem Tod von Martha und Peter Niebuhr im Sommer 1943 kommen ihre beiden Söhne Günter und Klaus zu Gertrud und Martin Niebuhr nach Wendisch Burg. »So kamen Gertrud und Martin Niebuhr zu zwei Kindern, die sie noch zehn Jahre lang ihr eigen nennen konnten.«
975-976 Martin Niebuhr in Heinrich Cresspahls Erinnerung: Ein Bild »von einem geduckten, langarmigen Mann in blauem Maschinistenzeug, der seine Kraft ohne Eile einsetzt, langsam ist im Reden wie in Entschlüssen, nahezu verschlafen«, der aber im April 1945 »überraschend ›aufgewacht‹ ist, nicht nur umsichtig auch schnell handelt, notfalls verschlagen, schließlich richtig«. Anlass dazu gibt die SS, die im April 1945 zwei Pioniere beauftragt, Niebuhrs Havelschleuse zu sprengen, um die kurz vor Wendisch Burg stehende Rote Armee aufzuhalten. Dazu sagt Niebuhr »kurz und endgültig: Dat geit nich.«
977-980 Die Niebuhrs laden die beiden mit der Schleusensprengung beauftragten Pioniere zum Abendbrot ein, danach schenkt Niebuhr ihnen reichlich Schnaps ein und setzt ihnen auseinander, dass eine Sprengung der Schleuse »doch eher gegen die zivile Bevökerung gerichtet sei«. Er ruft den Schleusenwärter der ersten Schleuse südlich von Wendisch Burg an und muss »seinen Hoch- und Landesverrat gar nicht selber einleiten«, denn dort meldet sich ein sowjetischer Offizier, den er über die Verteidigungsmaßnahmen der SS in Wendisch Burg in Kenntnis setzt. So wird die Stadt vor einem verlustreichen ›Endkampf‹ bewahrt. Die beiden Pioniere ziehen »bei Niebuhrs ihre Uniformen aus, verkauften ihm das Dynamit und das Motorrad, zogen zu Fuß durch den Wald in Richtung Müritz, zu einem Dorf, in dem Martin Niebuhr Leute kannte«. Und Cresspahl, von dem Gesine von alledem weiß, »schloß seine Geschichte mit dem Spruch, der in den Balken eines Hauses in der Alten Straße in Wendisch Burg gehackt ist [...]: Allen / zu Gefallen / tut ein / Mallen.« [Allen zu Gefallen handelt ein Narr.]
977 Zu derselben Zeit halten die Niebuhrs »einen jungen Panzersoldaten auf ihrem Dachboden versteckt, der desertiert war«. Es ist Karsch. Der hat »durch die Stubendecke« gehört, dass der sonst so stille, gutmütige Martin Niebuhr beim Gespräch mit den beiden Pionieren am Abendbrottisch sogar laut geworden ist.
1753 Im Sommer 1951 ist Gesine Cresspahl vier Wochen bei den Niebuhrs zu Gast und segelt mit Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde »auf dem Oberen und dem Stadtsee von Wendisch Burg«.
Anhang IX-X Heinrich Cresspahl 1949 über Martin Niebuhr: »Ehemals Vorarbeiter beim Wasserstraßenamt, seit 1933 Wärter der Schleuse Wendisch Burg, nicht eben zur Belohnung befördert, sondern zur Versorgung. [...] Keine Kinder, und einen Kinderspielplatz hinter dem Haus, für Kinder aus Berlin-Friedenau und Jerichow zu Besuch. Imkerei, Gärtnerei, linkisch in Städten. Dann bekamen sie die Kinder des Bruders. Das Beamtentum Martin Niebuhrs, dem die S.S. im April 1945 eine Niederlage verdankte. Wo jetzt die Havel mitten durch einen großen trockenen Fleck fließe, habe Martin Niebuhr Schluß gemacht mit dem Krieg. Er geniere sich ungemein dafür, daß man Aufhebens machen könne von seiner Tapferkeit, und es wäre roh, ihn darauf anzusprechen. Er sei recht gut versteckt hinter seinem trödeligen Gehabe, und am Ende werde er doch der bessere Vater für die Kinder seines Bruders sein, und Gertrud eine nicht ungeschickte Mutter.«
Vgl. auch 633. 1853.
Vgl. Karschs Erinnerungen an den Aufenthalt bei den Niebuhrs und sein Wiedersehen mit Martin Niebuhr an der Havelschleuse 15 Jahre später in »Karsch und andere Prosa« (1964), S. 52-58.