Adonis
Adonis, der schöne Jüngling, ist die syrisch-phönizische bzw. griechische Entsprechung des mesopotamisch-kanaanäischen Tammuz und des ägyptischen Usir (Osiris). Sein Name taucht zwar nur zweimal auf (IV, 71, 457), ist aber in den zahlreichen Bezugnahmen auf Tammuz und Osiris, mit denen er weitgehend identifiziert wird, stets gegenwärtig. »Er ist Tammuz, der Hirte, der da Adonis heißt, aber im Unterlande Usiri«, erklärt Joseph seinem Bruder Benjamin (IV, 457).
Die hebräische Gottesbezeichnung Adon (Adoni, Adonai), aus der TMs Quellen zufolge (z. B. Jeremias I, 385) der Name ›Adonis‹ abgeleitet ist, wird denn auch bevorzugt als Beiname des Tammuz und des Osiris verwendet, erscheint zudem häufig als Bestandteil fester Fügungen, so etwa in »Usir-Adonai« (IV, 32), in »Adon-Tammuz« (IV, 434) oder »Tammuz-Adoni« (IV, 440).
Auch in der Bezeichnung der Kultstätte des Tammuz-Kults in dem nahe Hebron gelegenen Myrten-Hain, dem »Adonishain«, den Joseph und Benjamin oft aufsuchen (IV, 440), sind Adonis und seine enge Verwandtschaft mit Tammuz präsent. Und die Variante des Tammuz-Mythos, die Joseph seinem kleinen Bruder dort erzählt (IV, 454-457), integriert Teile des griechischen und des syrisch-phönizischen Adonis-Mythos (aus dem der griechische abgeleitet ist).
Auf den syrisch-phönizischen Ursprung des Adonis-Mythos wird angespielt, wenn es von dem Stadtgott von Schekem heißt, dass er »eine Form des syrischen Schäfers und schönen Herrn, des Adonis und jenes Tammuz war, des blühenden Jünglings, den der Eber verstümmelte und den sie drunten im Unterlande Usiri, das Opfer, nannten« (IV, 71).
Auch Atôn, der Name des von Pharao Echnatôn wieder zur Geltung gebrachten (und weitergedachten) ägyptischen Sonnengottes Atum-Rê, wird auf den syrisch-phönizischen Adonis bezogen: Atum-Rê, so heißt es, sei in seiner »Ausdehnungslust« geneigt, »sich in Beziehung und in ein weltläufiges Einvernehmen zu setzen mit allen möglichen Sonnengöttern der Völker«. Er nenne sich – »mit eigentümlichem Anklang, der niemandem entging« – Atôn und nähere »damit seinen Namen dem Namen des vom Eber zerrissenen Jünglings an, um den die Flöte klagte in Asiens Hainen und Schluchten« (V, 941).
Die Geschichten von Tammuz, Adonis, Osiris (und – präfigurativ – Christus), insbesondere das in ihnen präsente Muster von Tod und Auferstehung, sind das ›mythische Schema‹, das der Roman der Geschichte Josephs unterlegt. Näheres bei Tammuz.
Die weitgehende Identifizierung von Tammuz, Adonis und Osiris (und Christus) fand Thomas Mann bei seinen Gewährsleuten vor, so etwa bei Jeremias I, der vor allem Tammuz und Adonis identifiziert (278 u.ö.), aber auch auf beider Nähe zu Osiris verweist (343, 385, 460 u.ö.). Ähnlich Mereschkowskij: »Tammuz – Adonis – Adonai, von Babylon bis Israel ist es immer der gleiche Hirtengott« (204). – Heute geht man davon aus, dass Adonis und Tammuz in der Tat (zumindest für Kanaan und Phönizien) gleichzusetzen sind. Vgl. J. Cornelis de Vos: Herr / Adonaj / Kyrios. In: WiBiLex.