Lot

Von Lot ist im Zusammenhang mit den Geschichten Abrahams einige Male die Rede. Nach der Überlieferung der Jaakobsleute war er ein Sohn von Abrahams Bruder Charran (Haran), mithin ein Neffe Abrahams (IV, 116; vgl. Genesis 11,26 f.), der mit seinem Onkel aus Charran nach Kanaan auswanderte und in seinem Gefolge blieb, bis beide so »schwer […] an Schafen, Rindern und Hütten« waren, dass »das Land sie beide nicht trug« und sie sich trennen mussten. Lot zog an den unteren Jordan bis nach Sodom und nahm die »ganze Jordansaue« in Besitz (IV, 117; Genesis 13, 11-12). Als »Könige aus Osten« ins Land einfielen und Lot samt Anhang und Habe gefangennahmen, trieb Abraham sie mit »dreihundertachtzehn hausbürtige[n] Knechte[n]« vor sich her »bis über Damaschki« und befreite den Neffen (IV, 103, 132 f.; V, 1453; vgl. Genesis 14). Die Geschichten von Lots Errettung vor dem Untergang Sodoms, von seiner zur Salzsäule erstarrten Frau und von seinen Töchtern, die mit ihm Moab und Ammon (Ben-Ammi), die Stammväter der Moabiter und Ammoniter, zeugten, gehören zu den Geschichten, die Joseph dem im Sterben liegenden Mont-kaw erzählt (V, 994; vgl. Genesis 19).

Dass Lot Abrahams »Brudersohn« war, wie die Überlieferung berichtet (vgl. Genesis 12,5), hält der Erzähler für eine Erfindung und Verwechslung. Lot sei ein Proselyt gewesen, ein von Abraham Bekehrter, der ihm eben deshalb nach Kanaan gefolgt sei: »Gewiß, Lot von Sodom war ein Sohn Charrans, da er von dort stammte, so gut wie der Ur-Mann. Aber aus Charran, der Stadt des Weges, einen Bruder des Ur-Mannes und also aus dem Proselyten Lot einen Neffen von ihm zu machen, war eitel Träumerei und Gedankenspiel« (IV, 17). Dass Abraham ihn »als seinen Neffen zu betrachten und Bruder zu nennen pflegte«, habe damit zu tun, dass er ein Bruder Saras, also Abrahams Schwager gewesen sei (IV, 124).

Lot habe Abrahams Rückführung aller Dinge auf nur einen einzigen Gott erschreckt, und »bleichen Angesichts« habe er ihn gefragt: »Wenn aber dein Gott dich verläßt, so bist du ja ganz verlassen!« Abrahams Umkehrschluss, dass ihn das Bündnis mit diesem einen Gott aber auch unbesiegbar mache, habe ihn überzeugt, er habe »sich stark gemacht und zu ihm gesprochen: ›So will ich dein Bruder sein!‹« (IV, 428)

Die Geschichte von Lots Befreiung gilt dem Erzähler als Paradebeispiel für seine Überzeugung, dass »die Sphäre rollt«, dass sich die Geschichten »entsprechungsweise und zugleich hier und dort«, am Himmel und auf der Erde, abspielen. Es gebe nämlich eine von ›jüngeren Redaktoren‹ der Vätergeschichten favorisierte Variante, in der Abraham die Könige aus Osten nicht mit dreihundertachtzehn Knechten, sondern ganz allein mit Eliezer geschlagen habe. Das sei eine »der Wahrheit dienliche Zurückführung des Vorkommnisses auf seine himmlische Form«, die Beschreibung eines Kampfes zweier Götter gegen »eine Überzahl von Riesen oder minderen Elohim« (IV, 422 f.).

Joseph setzt diese »Lieblingsprahlgeschichte« seines Stammes (IV, 422) geschickt ein, um bei Echnatôns Mutter Teje zu punkten mit der Einsicht, dass Gottesklugheit mit »Rüstigkeit« gepaart sein muss (V, 1453 f.).

In Abrahams und Lots Trennung erblickt Jaakob ein wiederkehrendes Muster der Trennung ungleicher Brüder, das ihm die Entstehung von Völkern erklärt und das er auch in seiner Trennung von Esau (nach dem Wiedersehen beider am Jabbok; IV, 151) wiedererkennt (vgl. IV, 118 f.).

Das Tote Meer wird auch »Meer des Lot« oder »Lotmeer« genannt (IV, 364), denn »der bleierne Laugensee lag dort, wo ihre [d.i. Sodoms und Gomorras] Unzucht geblüht hatte« (IV, 16).

In die Darstellung Lots sind einige Motive aus den »Sagen der Juden« eingeflossen. Sara wird dort »Tochter Harans« genannt (Gorion II, 46); darauf stützt sich wohl die Bezeichnung Saras als Schwester Lots (IV, 124), womit der Erzähler implizit seiner These widerspricht, dass Abrahams Bruder Haran (Charran) eine Erfindung bzw. Verwechslung mit dem Ort Charran und Lot lediglich ein Proselyt gewesen sei (IV, 17). Auch die »himmlische« Variante von Abrahams Kampf gegen die »Könige aus Osten«, in der er ganz allein bzw. nur mit Hilfe Eliezers gekämpft hat, entstammt den »Sagen« (Gorion II, 172 f.). Dasselbe gilt für den Entstehungsmythos des Toten Meeres: »Und Gott ließ Schwefel und Feuer über Sodom vom Himmel regnen, und nach drei Tagen ward die ganze Gegend zu dem Wasser, das man heute das Salzmeer nennt.« (Gorion II, 226)

Letzte Änderung: 14.02.2015  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück