Myrte (Kräutlein Rührmichnichtan)

Die Myrte ist nach Josephs Worten ein »Gleichnis der Jugend und Schönheit« und »Opferschmuck« (V, 922), Braut- und Todesschmuck zugleich (V, 1524). Der Kranz von herb duftenden Myrtenzweigen, mit dem sich der junge Joseph zu schmücken liebt (IV, 443), ist, wie er seinem Bruder Benjamin im »Adonishain« erklärt, »der Schmuck des Ganzopfers und ist aufgespart den Aufgesparten und vorbehalten den Vorbehaltenen. Geweihte Jugend, das ist der Name des Ganzopfers« (IV, 445). Deshalb wird die Myrte auch das »Kräutlein Rührmichnichtan« genannt (IV, 445, 922, 1058).

Joseph beansprucht den Myrtenkranz für sich und gibt seinem kleinen Bruder, der sich auch einen Myrtenkranz wünscht, sanft aber deutlich zu verstehen, dass ihm dieser Schmuck nicht zusteht (IV, 443 f.). Seine Rede vom bitteren Duft der Myrte und von ihrer doppelten Bedeutung erfüllt Benjamin mit unbestimmter Sorge und Melancholie (IV, 446, 459).

Josephs Selbstverständnis als ›geweihter Jüngling‹, als bräutlich Aufgesparter und »Ganzopfer«, das sich in seinem Anspruch auf den Myrtenschmuck spiegelt, ist wiederholende Nachahmung eines mythischen Musters seines eigenen Stammes, der (von Abrahams Gott geforderten und dann verhinderten) Opferung Isaaks (vgl. IV, 104-107; V, 923). Es verbindet sich für ihn aber auch stark mit der Figur des schönen ›Jüngling-Gottes‹ Tammuz-Adonis.

Seine »Eifersucht auf den Myrtenschmuck« (IV, 444) verweist auf die ausgeprägte Egozentrik, die sich mit dem Bewusstsein der Auserwähltheit paart. Sie weicht nach der heilsamen Fahrt in die erste ›Grube‹, einer bescheideneren Haltung, wie sein Gespräch mit Potiphar über Myrtenschmuck und Auserwähltsein zeigt (vgl. V, 922 f.). Potiphar nennt Joseph bei sich »Knabe Rührmichnichtan« (V, 1189).

Bei Josephs Hochzeit sind sein ganzes Haus wie auch die Festgäste mit Myrthenlaub geschmückt, das »den Liebesgöttern und den Toten zugleich gehört« (V, 1524), wie denn auch die ägyptischen Hochzeitszeremonien »einen starken Einschlag von Begräbnis« haben (V, 1521).

Als Benjamin beim zweiten Aufenthalt der Brüder in Ägypten neben dem noch unerkannten Joseph an der Tafel sitzt, ist ihm als spüre er »Kindheitsduft, strengen, würzig erwärmten, der die Essenz aller Bewunderung, liebenden Vertraulichkeit, aller bestürzenden Ahnung, alles kindlichen Nicht-Verstehens und Doch-Verstehens, aller Gläubigkeit und zärtlicher Besorgnis war: Myrtenduft« (V, 1658).

Jaakob hält bei seiner Hochzeit ein »weißblühendes Myrtenzweiglein« in der Hand (IV, 300, 303).

Band IV: 62, 65, 99, 300, 303, 440, 443-447, 453, 459, 531, 871. – Band V: 922 f., 1005, 1058, 1189, 1522, 1524, 1552, 1587, 1658.

Abb.: Botanische Zeichnung der Myrte. – Bildquelle: www.biolib.org.

Letzte Änderung: 08.08.2013  |  Seitenanfang / Lexikon   |  pfeil Zurück