Isaak (Jizchak)
Isaak, Jaakobs und Esaus Vater, ist Abrahams ›wahrhafter Sohn‹, der spätgeborene ›Sohn der Rechten‹, Sarais, und der Halb- und ›Gegenbruder‹ Ismaels, des ›Roten‹. »Isaak, der wahrhafte Sohn«: Diese Wendung kehrt bei seiner Erwähnung viele Male wieder (IV, 121 u.ö.), ebenso die Wendung »Isaak, das verwehrte Opfer« (IV, 166 u.ö.), die Anspielung auf die in letzter Minute verhinderte Opferung des Knaben durch seinen Vater Abraham (Genesis 22,12).
Trotz dieser Bezugnahmen auf die biblische Überlieferung ist der Erzähler überzeugt, dass Isaak unmöglich der Sohn von ›Ur-Abram‹ sein kann. Für möglich hält er es allerdings, dass Isaak »sich wenigstens zum Teil mit dem um ein Haar geschlachteten Isaak verwechselte, obgleich er in Wirklichkeit ein viel späterer Isaak war und von dem Ur-Abiram generationsweise weit abstand« (IV, 128). Das liege an der »schwankenden Bewußtseinslage« der Menschen dieser Zeit, »die nicht recht wissen, wer sie sind« (ebd.), also ein schwach ausgeprägtes Ich-Bewusstsein haben. Seit den Tagen des Urvaters habe »so mancher Abraham, Isaak und Jaakob die Geburt des Tages aus der Nacht geschaut, ohne daß der einzelne es mit der Zeit und dem Fleische übertrieben genaugenommen, seine Gegenwart von ehemaliger Gegenwart sonnenklar unterschieden und die Grenzen seiner ›Individualität‹ gegen die der Individualität früherer Abrahams, Isaaks und Jaakobs sehr deutlich abgesetzt hätte« (IV, 129).
Isaaks Selbstverständnis als Sohn des Ur-Wanderers und »verwehrtes Opfer« bestätigt auch sein Sterben. Denn in der »Weihestunde des Todes« redet er »in hohen und schauerlichen Tönen, seherisch und verwirrt, von ›sich‹ als von dem verwehrten Opfer und von dem Blute des Schafsbocks, das als sein, des wahrhaften Sohnes, Blut habe angesehen werden sollen, vergossen zur Sühne für alle«. Er versucht dabei »mit dem sonderbarsten Erfolge wie ein Widder zu blöken«, nennt den Widder ›Vater‹ und ›Gott‹ und weissagt schließlich nach »uralt-poetischem Wort« (»Einen Gott soll man schlachten«) die Umkehrung des Opfers: Nicht mehr werde »das Tier an des Menschen Statt« geopfert, sondern »es wird geschlachtet werden der Mensch und der Sohn statt des Tieres und an Gottes Statt, und aber werdet ihr essen« (IV, 185 f.).
Den Umstehenden kommt dabei das ›Unterste zuoberst‹, denn »in des Sterbenden Wort und Wesen war etwas Ur-Unflätiges, greuelhaft Ältestes und heilig Vorheiliges gewesen, was unter allem Geschicht der Gesittung in den gemiedensten, vergessensten und außerpersönlichsten Tiefen ihrer Seele lag [... ]: ein Spuk und Unflat versunkener Vorzeit vom Tiere, das Gott war [...] und dessen göttliches Stammesblut sie voreinst, in unflätigen Zeiten, vergossen und genossen hatten, um ihre tiergöttliche Stammesverwandtschaft aufzufrischen – bevor Er gekommen war, der Gott aus der Ferne, Elohim, der Gott von draußen und drüben« (IV, 186 f.).
Isaak lebt die längste Zeit seines Lebens an seinem Geburtsort Beerscheba, wo auch seine Söhne Jaakob und Esau aufwachsen. Erst nach Rebekkas Tod verlegt er sein Lager nach Hebron, in den Hain Mamre (IV, 166), und wird im Erbbegräbnis Machpelach, der »zwiefachen Höhle« bei Hebron, begraben (V, 1778).
Seine Ehe mit Rebekka war auf Betreiben Abrahams zustandegekommen, der darauf bestanden hatte, dass »Isaak, der wahrhafte Sohn, nur ein Weib nehme aus seinem Geschlecht und seines Vaters Hause, nämlich aus dem Nachors von Charran, auf daß man wisse, was man bekäme« (IV, 254). Abrahams Erster Knecht Eliezer hatte den Brautwerber gemacht (IV, 122). Dessen Nachfahre, Jaakobs Ältester Knecht Eliezer, ist nach Überzeugung des Erzählers ein ›natürlicher Sohn‹ Isaaks, den dieser mit einer Magd gezeugt hat (IV, 121, 421).
Während einer Hungersnot war Isaak, wie rückblickend erzählt wird, nach Gerar in Philisterland gezogen, wo sich die sonderbare Geschichte, die das Alte Testament zweimal von Abraham und Sara erzählt (Genesis 12,10 ff und Genesis 20,2 ff; vgl. IV, 123-126), mit nur leichten Abweichungen zum dritten Mal, nun mit Isaak und Rebekka, wiederholt hatte (Genesis 26,1 ff.; vgl. IV, 126-128): Aus Furcht, um seiner schönen Frau willen erschlagen zu werden, hatte Isaak sie als seine Schwester ausgegeben. König Abimelek hatte sich in sie verliebt, aber bevor er überhaupt zum Zuge kommen konnte, hatte er durch ein Fenster Isaak mit ihr ›scherzen‹ gesehen. Er hatte sich zwar bei Isaak über die Irreführung beklagt, aber die Enttäuschung hatte ihn nicht gehindert, ihn unter seinen besonderen Schutz zu stellen, unter dem Isaak »ebenso zunahm wie einst Abraham dort oder in Ägypten« (IV, 127).
Dass Isaak seinen Sohn Esau mehr als Jaakob geliebt haben soll, wie Genesis 25,28 berichtet, schließt der Erzähler aus. Denn je älter die Zwillinge wurden, »desto deutlicher wurde, wer beide waren, in welchen Spuren sie gingen und auf welchen Geschichten sie fußten, der Rote und der Glatte, der Jäger und der Häusliche« (IV, 200). Und da Isaak selbst »mit Ismael, dem Wildesel, das Brüderpaar gebildet hatte« und »nicht Kain gewesen war, sondern Habel, nicht Cham, sondern Sem, nicht Set, sondern Usir, nicht Ismael, sondern Jizchak, der wahrhafte Sohn«, hält der Erzähler es für ganz und gar abwegig anzunehmen, er hätte »sehenden Auges an der Übereinkunft festzuhalten vermocht, er bevorzugte Esau« (ebd.). Vielmehr habe Isaak darüber erblinden müssen (IV, 198).
Die Blindheit, die er durch Vernachlässigung seiner Augen befördert habe (IV, 199), sei ihm sehr »wünschenswert« gewesen, »weil nur in ihr geschehen konnte, was zu geschehen hatte«, damit der ›große Mythus‹ (von den ungleichen Brüderpaaren und der Bevorzugung des jüngeren, ›zeltfrommen‹ Sohnes) sich gegen den ›kleinen Mythus‹ seiner Esauliebe (IV, 198) behaupten konnte: »Darum nahmen seine Augen ab, wie der sterbende Mond, und er lag im Dunkeln, auf daß er betrogen werde samt Esau, seinem Ältesten« (IV, 200).
Jaakob betrachtet den Verlust Josephs als Verwirklichung der verwehrten Opferung Isaaks und hadert mit Gott, weil er ihm den Sohn ungefragt genommen und ihn nicht, wie Abraham, »erst der Probe gewürdigt« hat (IV, 643). Später, nachdem er aufgehört hat, mit Gott zu hadern, kommt er zu der Überzeugung, dass er das »Isaaksopfer« aus freien Stücken gebracht hat (V, 1543).
Als Jaakob sich nach Ägypten aufmacht, um seinen verloren geglaubten Sohn wiederzusehen, sieht er seinen Aufbruch als Wiederkehr ähnlicher Ereignisse in der Geschichte seines Stammes, darunter auch als Wiederkehr von Isaaks Reise ins Philisterland nach Gerar (V, 1722).
Am Ende seines Lebens nehmen auch Jaakobs Augen ab, und er »hielt gewissermaßen darauf und machte es sich des feierlichen Ausdrucks wegen zunutze, indem er sich Isaak, den blinden Segensspender, dabei zum Muster nahm« (V, 1769). Diesem Muster folgend vertauscht er Josephs Söhne Ephraim und Menasse beim Segen (V, 1784 f.).
Das ›uralt-poetische Wort‹, das einen Gott zu schlachten fordert, stammt aus babylonischen Quellentexten und betrifft die Erschaffung des Menschen aus einer Mischung von Lehm und dem Blut und Fleisch des geschlachteten Gottes. TM zitiert vermutlich nach Mereschkowskij (212, 214), der den Satz dem babylonischen Weltschöpfungsepos »Enuma elisch« zuschreibt, oder nach Ungnad (55), der aus einem altbabylonischen Fragment folgendes zitiert: »Enki tat seinen Mund auf / Und spricht zu den großen Göttern: / ›Einen Gott soll man schlachten, . . . / Mit seinem Fleisch und seinem Blute / Soll Nin=hursag Lehm vermischen.‹« – Joseph zitiert den Satz »Einen Gott soll man schlachten« im Zusammenhang mit seiner Erzählung von Ninib, dem Keiler, der Tammuz-Adonis tötet (IV, 449 f.).