Straaten, Ezechiel Van der (Ezel)
Berliner »Financier« (I/5), Ehemann von Melanie Van der Straaten, die ihn »Ezel« nennt, Vater zweier Töchter, Lydia und Heth. Das Paar, das seit zehn Jahren verheiratet ist, trennt ein Altersunterschied von 26 Jahren, bei der Hochzeit war Melanie 17 und Van der Straaten 43 Jahre Jahre alt (vgl. I/7). Im Winter lebt die Familie in einer geräumigen Stadtwohnung, im Sommer in einer Villa am Nordwestrand des Tiergartens (vgl. II/8). Van der Straaten hält sich allerdings nur alle drei Tage besuchsweise in der Villa auf und zieht erst im September dort ein, um sich der Obstzucht zu widmen, seiner zweiten Leidenschaft neben dem Sammeln von Gemälden (vgl. VII/46).
Als Finanzmann genießt Van der Straaten uneingeschränkte Anerkennung, während ihm in gesellschaftlicher Hinsicht ein erheblicher Mangel an »Weltschliff« nachgesagt wird. Das schert ihn wenig: Als »reicher Leute Kind« ist er es gewohnt, zu tun und zu sagen, was und wie es ihm behagt, und seine »Vorliebe für drastische Sprüchwörter und heimische ›geflügelte Worte‹ von der derberen Observanz« (I/5) ist Ausdruck seines »Unabhängigkeitsgefühls und einer immer ungetrübten Laune« (I/6). Er ist eine »sentimental-humoristische Natur« (ebd.), die »sich gern in dem Gegensatze von derb und gefühlvoll, überhaupt in Gegensätzen« bewegt (III/16). Seiner Frau bereitet er damit regelmäßig Verlegenheiten, denn er »weiß so wundervoll alles zu treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt« (X/76), dass sie ein hohes Maß an Selbstkontrolle aufbringen muss, um mit den stets wiederkehrenden peinigenden Situationen umzugehen (vgl. VII/46). Dass er »aller Freundschaft unerachtet« keinen Freund oder Vertrauten hat, mag damit zusammenhängen (II/14).
Seine Frau ist »fast noch mehr sein Stolz als sein Glück« (I/7), deshalb aber auch Gegenstand einer wiederkehrenden Eifersucht, die gleich zu Beginn des Romans, bei der Anlieferung eines Gemäldes, in Szene gesetzt wird. Es handelt sich um eine Kopie von Tintorettos »L’Adultera«, die Van der Straaten während einer Venedig-Reise in Auftrag gegeben hatte und die ihm, wie er seiner Frau erklärt, als eine Art »Memento mori« dienen soll, in dessen Betrachtung er sich seelisch auf Melanies Treuebruch vorbereiten will, den er für gewiss hält, weil Untreue in seiner Familie »erblich« sei (II/14).
Melanies Ermahnung, dass man »den Teufel nicht an die Wand malen soll« (II/15), erweist sich als hellsichtig, denn einige Wochen später zieht Ebenezer Rubehn auf Einladung Van der Straatens als »Logirbesuch« in das Stadthaus ein (III,18).
Bei aller Furcht vor einem Treuebruch seiner Frau bemerkt Van der Straaten von der zwischen Melanie und Rubehn entstehenden Liebe nichts. »In seiner Scharfsicht oft übersichtig und Dinge sehend, die gar nicht da waren, übersah er eben so oft andere, die klar zu Tage lagen.« (XIII/98) Rubehns häufige Besuche bei Anastasia Schmidt gründlich missdeutend, ist er fest überzeugt, dass Rubehn ein Auge auf Anastasia geworfen hat (vgl. XIII/97), und ist zudem sicher, dass er anderweitig verlobt ist, obwohl Rubehn dies entschieden bestreitet (vgl. XIII/99).
Als Melanie ihn dann tatsächlich verlässt, zeigt er Großmut, bittet sie inständig zu bleiben und erklärt sich bereit, das Kind, das sie von Rubehn erwartet, als sein Kind anzunehmen. Aber auch dafür findet er nicht den rechten Ton. Er bagatellisiert das Vorgefallene und behandelt es »mit einem starken Anfluge von cynischem Humor«, so dass Melanies anfängliche Erschütterung verletztem Stolz weicht. »Es war eben immer dasselbe Lied. Alles, was er sagte, kam aus einem Herzen voll Gütigkeit und Nachsicht, aber die Form, in die sich diese Nachsicht kleidete, verletzte wieder.« (XVI/116)
Nach der Scheidung ist er unglücklich, findet aber nach Ansicht Friederike von Sawatzkis seine Ruhe wieder (vgl. XX/140). Bei einem Spaziergang mit Duquede im Tiergarten begegnet er Melanies und Rubehns Töchterchen, der kleinen Anninette, in Begleitung ihrer Kinderfrau und freut sich über die Schönheit des Kindes und seine Ähnlichkeit mit der Mutter (vgl. XXII/161 f.). Kurz darauf schickt er zum Weihnachtsfest ein Julklapp-Päckchen. Darin findet Melanie unter anderem ein kleines Medaillon, in dem eine Miniatur von Tintorettos »L’Adultera« steckt. »King Ezel in all his glories«, kommentiert Rubehn: »Immer derselbe. Wohlwollend und ungeschickt.« (XXII/163).
Die Namensgebung spielt auf die Figur des Manasse Vanderstraaten in Karl Gutzkows Drama »Uriel Acosta« (1846) an. Van der Straaten stellt den intertextuellen Bezug selbst explizit her mit der Feststellung, dass er »jede Verwandtschaft mit dem von der Bühne her so bekannt gewordenen Manasse Vanderstraaten ablehnen müsse, 1. weil er seinen Namen nicht einwortig, sondern dreiwortig schreibe, 2. weil er trotz seines Vornamens Ezechiel, […] getauft worden sei […], und 3. und letztens, weil er seit längerer Zeit des Vorzugs genieße, die Honneurs seines Hauses nicht durch eine Judith, sondern durch eine Melanie machen lassen zu können, durch eine Melanie, die, zu weiterem Unterschiede, nicht seine Tochter, sondern seine ›Gemahlin‹ sei« (I/6 f.).
Bei der Gemäldekopie der »L’Adultera«, die Van der Straaten aus Venedig hat kommen lassen, handelt es sich vermutlich um eine Kopie des lange Zeit Tintoretto zugeschriebenen Gemäldes »Cristo e l‘adultera« von Hans Rottenhammer (vgl. auch den Kommentar, 213 f.). – Das Bild bezieht sich auf die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Johannes 8, 2-11) – Vgl. die Abbildung in WikimediaCommons.