L'Adultera (1880)
Theodor Fontane: L’Adultera. Herausgegeben von Gabriele Radecke. Berlin: Aufbau 1998 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk. Bd. 4) – Nachweise von Zitaten erfolgen unter Angabe der Kapitel- und Seitenzahl (z.B. IV/25 = Kapitel IV, S. 25).
Obwohl der Roman außer Hinweisen auf Jahreszeiten, Monate oder Tage keine Datierungen vornimmt, lässt sich die erzählte Geschichte aufgrund der zeitgeschichtlichen Anspielungen in Kapitel V auf die Zeit von Januar 1875 bis Dezember 1877 datieren (vgl. Kommentar 210). Die im Folgenden in Klammern genannten Jahreszahlen sind mithin erschlossen.
Christel
Melanie van der Straatens alte Dienerin, die ihr bei der Vorbereitung ihrer nächtlichen Flucht behilflich ist und vergeblich versucht, sie zum Bleiben zu bewegen. Sie erzählt ihr die Geschichte ihrer früheren Herrschaft, des Ehepaars Vernezobre, das in ähnlicher Situation zuletzt doch zusammen geblieben sei (vgl. XV/108-110), und legt ein gutes Wort für Van der Straaten ein: »Denn dabei bleib ich, er is eijentlich auch ein juter Mann, ein sehr juter, un blos ein bischen sonderbar. Und sonderbar is nichts Schlimmes. […] Un daß er immer so spricht un solche Redensarten macht, als hätt‘ er keine Bildung nich un wäre von 'n Wedding oder so, ja, Du himmlische Güte, warum soll er nich?« (XV/111)
Duquede, Baron
Mitglied des ›engeren Zirkels‹ der Van der Straatens (vgl. IV/22), ein über sechzigjähriger Legationsrat a.D., der dem Haus schon zu Zeiten von Van der Straatens Vater freundschaftlich verbunden war (vgl. IV/23). Er trägt den Beinamen »Herr Negationsrath«, weil er nichts und niemanden gelten lässt, über fast alles und jeden, besonders über Bismarck, eine »milzsüchtige Krakehlerei« anstimmt und nahezu jede positive Bewertung eines Ereignisses oder einer Person als ›Überschätzung‹ abtut (IV/24). Zwischen ihm und Melanie herrscht eine »stille Gegnerschaft«, seit diese seine Empörung darüber, dass viele Berliner seinen »altmärkischen Adelsnamen« französisch aussprechen, nicht geteilt hat (ebd.). – Wie Major Gryczinski und Reiff begegnet auch Duquede Ebenezer Rubehn mit einer »vornehm ablehnenden Kühle« (XII/96).
Der ungenannte Mann, der Van der Straaten bei der zufälligen Begegnung mit der kleinen Anninette im Tiergarten begleitet, ist unverkennbar Duquede. Kinderfrau Vreni, die von der Begegnung berichtet, nennt ihn »der [sic] garstige Spindelbein«, weil er den Liebreiz des Kindes in Abrede gestellt habe: Van der Straaten solle das Kind nicht ›übertaxen‹, habe er gesagt, es sei ein »Kind aus 'm Dutzend« (XXII/162).
Emil, genannt Ehm
Van der Straatens Kutscher, ein Mecklenburger aus »Fritz Reuter’schen Gegenden« (VI/39). Er fährt das Ehepaar Gryczinski und die beiden Maler Gabler und Schulze nach dem Diner nach Hause. Schulze nimmt neben ihm auf dem Bock Platz und fragt ihn unterwegs nach Ebenezer Rubehn aus, dessen Ankunft kurz bevorsteht.
Gabler, Arnold
Mitglied des ›engeren Zirkels‹ der Van der Straatens (vgl. IV/22), ein Landschaftsmaler. Wie Duquede und Reiff ist er »ein Erbstück aus des Vaters Tagen her« (IV/24). Er und Elimar Schulze nehmen auch an der Landpartie nach Stralau und Treptow teil.
Gryczinski, Jacobine
Jüngere Schwester Melanie Van der Straatens, »nicht voll so schön wie diese, aber rothblond, was in den Augen Einiger das Gleichgewicht zwischen beiden wiederherstellte«, seit drei Jahren verheiratet mit Major von Gryczinski (IV/23).
Melanies Brief aus Rom, in dem sie ihr ihre Heirat mit Rubehn mitteilt (vgl. XVII/122-126), beantwortet Jacobine nicht, und nach Melanies und Rubehns Rückkehr nach Berlin muss sie auf Geheiß ihres Mannes jeden Kontakt meiden, schreibt ihrer Schwester jedoch einem Brief, in dem sie ihr ankündigt, sie heimlich sehen zu wollen, sobald Gryczinski auf Reisen ist (vgl. XIX/137).
Kurz vor Ostern (1877) macht sie ihr Versprechen wahr und lädt Melanie zu sich ein, dazu auch ihre beiden Töchter (vgl. XX/142 f.). Das Wiedersehen mit ihrer Schwester bewegt sie nur oberflächlich, sie »betrachtete das Ganze vom Standpunkt einer dramatischen Matinée« (XX/145).
Gryczinski, Major von
Melanie Van der Straatens Schwager, Ehemann ihrer jüngeren Schwester Jacobine, ein junger Major »mit abstehendem, englisch gekräuseltem Backenbart und klugen blauen Augen« (IV/23), Mitglied des Generalstabs, sehr ehrgeizig. In Gesellschaft ist er ein »Schweiger« (ebd.).
Wie Duquede und Reiff begegnet auch Gryczinski Ebenezer Rubehn mit einer »vornehm ablehnenden Kühle« (XII/96). Nach der Rückkehr Melanies und Rubehns nach Berlin unterbindet er jeden Kontakt, weil er um seine Beförderung fürchtet. Er weist die Dienerschaft an, Besuche seiner Schwägerin abzuwehren, und verbietet seiner Frau, Melanie zu sehen (vgl. XIX/136 f.).
Kagelmann
Van der Straatens Gärtner auf dem Anwesen am Tiergarten, den Melanie und Rubehn beim Besuch des Palmenhauses treffen. Er ist ein 60-jähriger, kleiner und »ziemlich häßliche[r]« Junggeselle, dem von den Schläfen des ansonsten kahlen Kopfes zwei lange, glatte Haarsträhnen bis auf die Schultern hängen (XII/88). Er wohnt in einem kleinen, von Efeu überwachsenen Häuschen neben dem alten Treibhaus, das Van der Straaten ihm überlassen hat und das er für den »Betrieb eines sehr einträglichen Privat-Geschäftes« nutzt (XII/87). Er ist eine »typische Gärtnerfigur: unfreundlich, grob und habsüchtig«; nur gegen Melanie zeigt er sich »auffallend verbindlich und guter Laune« (XII/88). Er erzählt Melanie und Rubehn von einem Gärtnerkollegen, der mit 56 Jahren eine 30-jährige Witwe geheiratet hat, die ihn später wegen eines jungen Liebhabers verlassen hat (vgl. XII/89 f.).
Reiff
Mitglied des ›engeren Zirkels‹ der Van der Straatens (vgl. IV/22), Polizeirat, um die Sechzig, »ein kleiner behäbiger Herr mit rothen und glänzenden Backenknochen, auch Feinschmecker und Geschichtenerzähler« (IV/24). Als letzterer brilliert er besonders in Abwesenheit der Damen. Er gehörte schon zu Zeiten von Van der Straatens Vater zum engeren Zirkel des Hauses. Wie Major Gryczinski und Duquede begegnet auch er Ebenezer Rubehn mit einer »vornehm ablehnenden Kühle« (XII/96).
Nach Melanie und Rubehns Rückkehr nach Berlin ist er der erste, der Melanie seine Aufwartung macht (vgl. XIX/132 f.). Rubehn ist überzeugt, dass er sie »aushorchen« wollte (XIX/134).
Rubehn, Anninette
Töchterchen Melanies und Rubehns, das im Herbst (1876) in Venedig zur Welt kommt (vgl. XVII/127).
Rubehn, Ebenezer (Ruben)
Ältester Sohn eines Geschäftsfreundes Van der Straatens aus Frankfurt, der nach Aufenthalten in Paris, London und New York nach Berlin kommt, wo er eine Zweigstelle der väterlichen Bank aufbauen soll und für längere Zeit als »Logirbesuch« bei Van der Straatens in der Stadtwohnung wohnt (III/18). Er ist getaufter Jude und Leutnant der Reserve, hat im Deutsch-Französischen Krieg im 5. Dragoner-Regiment gedient und das Eiserne Kreuz empfangen (vgl. III/20).
Bei seiner Ankunft in Berlin Anfang Mai (1875) ist Melanie bereits in die Sommerwohnung der Familie, die Villa am Tiergarten, umgezogen. Als er sie dort zum ersten Mal besucht, bekennt er zu ihrer Freude seine Liebe zur Musik und insbesondere zur Musik Richard Wagners (vgl. VII/54 f.). Den Sommer über begleitet er Van der Straaten regelmäßig bei seinen Besuchen in der Villa. Dessen anzügliche Reden während der Landpartie nach Stralau und Treptow stoßen ihn ab (vgl. IX/73). Auf der nächtlichen Bootsfahrt nach Treptow spricht Melanie offen über ihr Leiden an den ungehobelten Manieren ihres Mannes (vgl. X/76 f.).
Eine Woche später, bei einem Besuch des Palmenhauses im Park der Tiergarten-Villa, gestehen beide sich ihre Liebe (vgl. XII/94). Melanie nennt ihn fortan »Ruben« – nach dem ältesten Sohn Jakobs (vgl. XI/80). Nach ihrer Rückkehr in das Stadthaus Ende September treffen sie sich heimlich in Anastasia Schmidts Wohnung (vgl. XIV/105), weshalb Van der Straaten ihm ein Verhältnis mit Anastasia nachsagt (vgl. XIII/97). Rubehn lässt sich nun immer seltener bei den häuslichen Gesellschaften in Van der Straatens Haus sehen, zumal Major Gryczinski, Duquede und Reiff ihm mit einer »vornehm ablehnenden Kühle« begegnen (XII/96).
Nach der Flucht aus Berlin am 31. Januar (1876) verhält er sich vorbildlich. »Er kannte nur Rücksicht; keine Mißstimmung, keine Klage wurde laut, und über das Vornehme seiner Natur wurde die Zurückhaltung darin vergessen.« (XVII/126). Nach der Rückkehr nach Berlin im Dezember nimmt er die Ablehnung der ›guten Gesellschaft‹ mit heiterer Gelassenheit hin und ist bemüht, Melanie über die Enttäuschungen hinwegzuhelfen.
Als das väterliche Bankhaus im darauffolgenden Jahr (1877) in Konkurs geht, arbeitet er als »amerikanischer Correspondent« in einem Bankhaus, während Melanie, in der er gegen seine Erwartung eine treue Gefährtin findet, eine Stellung als Französisch- und Musiklehrerin in einigen reichen Häusern annimmt (XXII/158). Beide richten sich in einer bescheideneren Wohnung ein und gewinnen schon bald die Anerkennung der Gesellschaft zurück, die sie vorher verurteilt hatte. Nun nennt man sie die »Inséparables« und freut sich, »über ihre ›treue Liebe‹ sentimentalisiren zu können« (XXII/160).
Sawatzki, Friederike von (Riekchen)
Eine der beiden älteren Damen, die Melanie Van der Straaten jedes Jahr während der Sommermonate in der Tiergarten-Villa als »Dames d’honneur« Gesellschaft leisten (VII/47; die zweite ›Ehrendame‹ ist Anastasia Schmidt). Das »kleine verwachsene Fräulein« (ebd.) mit dem »Eulengesicht« (VIII/62), meist »Riekchen genannt« (VII/48), ist eine verarmte und vereinsamte Adelige mit langem Adelstitel (vgl. VII/49). Im August unterbricht sie ihren Aufenthalt in der Tiergarten-Villa für einen Monat, um die Kinder von Verwandten auf dem Land zu hüten (vgl. XI/78 f.).
Sie verteidigt Van der Straatens unfeine Manieren gegen Melanies Kritik und lobt sein »gutes Herz« und Mitgefühl (VII/50). Ebenezer Rubehn hat in ihren Augen ein zu sicheres Auftreten und erscheint ihr »kalt« (X/75).
Nach Melanies und Rubehns Rückkehr nach Berlin stattet sie Melanie mit Wissen und Zustimmung Van der Straatens einen Besuch ab und verspricht ihr, mit Jacobines Hilfe dafür zu sorgen, dass sie ihre Kinder wiedersehen kann (vgl. XX/142).
Schmidt, Anastasia
Eine der beiden Damen, die Melanie Van der Straaten alljährlich während der Sommermonate in der Tiergarten-Villa als »Dames d’honneur« Gesellschaft leisten (VII/47; die zweite ›Ehrendame‹ ist Friederike von Sawatzki). Das »stattlich hochaufgeschossene Clavier- und Singe-Fräulein« (ebd.) erteilt Melanies Töchtern Klavierunterricht. Bei Rubehns erstem Besuch in der Villa hört man sie »Wotans Abschied« (aus Wagners ›Walküre‹) spielen (VII/53).
Bei der Landpartie nach Stralau und Treptow macht Elimar Schulze ihr den Hof (vgl. VIII/63), zieht sich dann aber wieder zurück. Das kümmert sie wenig, weil sie inzwischen ganz in dem »Wonnegefühl« aufgeht, »ein anderes hochinteressantes Verhältniß unter ihren Augen und ihrem Schutze heranwachsen zu sehen« (XIII/98). Denn Melanie und Rubehn treffen sich heimlich in ihrer Wohnung (vgl. XIV/105), und sie hat ein »unbeschreibliche[s]« Vergnügen daran, den »ihr au fond unbequemen und widerstrebenden« Van der Straaten gehörnt zu sehen (XIII/98.).
Später, nach Melanies und Rubehns Rückkehr nach Berlin, verhält sie sich »vertraulich und beinah überheblich« gegen Melanie (XVIII/129).
Schulze, Elimar
Mitglied des ›engeren Zirkels‹ der Van der Straatens (vgl. IV/22), ein Porträt- und Genremaler, dessen Aufnahme in den Hauskreis Melanie Van der Straaten betrieben hat, weil er nicht nur Maler, sondern auch Musiker und »enthusiastischer Wagnerianer« ist (IV/25). Er und Gabler nehmen an der Landpartie nach Stralau teil, wo er Ballspiele und akrobatische Kunststücke vorführt und dabei fast ins Wasser fällt (vgl. VIII/61, IX/67). Er macht Anastasia Schmidt den Hof (vgl. VIII/63), engagiert sich dabei aber »weit über Wunsch und Willen« und zieht sich später wieder von ihr zurück (XII/98).
Straaten, Ezechiel Van der (Ezel)
Berliner »Financier« (I/5), Ehemann von Melanie Van der Straaten, die ihn »Ezel« nennt, Vater zweier Töchter, Lydia und Heth. Das Paar, das seit zehn Jahren verheiratet ist, trennt ein Altersunterschied von 26 Jahren, bei der Hochzeit war Melanie 17 und Van der Straaten 43 Jahre Jahre alt (vgl. I/7). Im Winter lebt die Familie in einer geräumigen Stadtwohnung, im Sommer in einer Villa am Nordwestrand des Tiergartens (vgl. II/8). Van der Straaten hält sich allerdings nur alle drei Tage besuchsweise in der Villa auf und zieht erst im September dort ein, um sich der Obstzucht zu widmen, seiner zweiten Leidenschaft neben dem Sammeln von Gemälden (vgl. VII/46).
Als Finanzmann genießt Van der Straaten uneingeschränkte Anerkennung, während ihm in gesellschaftlicher Hinsicht ein erheblicher Mangel an »Weltschliff« nachgesagt wird. Das schert ihn wenig: Als »reicher Leute Kind« ist er es gewohnt, zu tun und zu sagen, was und wie es ihm behagt, und seine »Vorliebe für drastische Sprüchwörter und heimische ›geflügelte Worte‹ von der derberen Observanz« (I/5) ist Ausdruck seines »Unabhängigkeitsgefühls und einer immer ungetrübten Laune« (I/6). Er ist eine »sentimental-humoristische Natur« (ebd.), die »sich gern in dem Gegensatze von derb und gefühlvoll, überhaupt in Gegensätzen« bewegt (III/16). Seiner Frau bereitet er damit regelmäßig Verlegenheiten, denn er »weiß so wundervoll alles zu treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt« (X/76), dass sie ein hohes Maß an Selbstkontrolle aufbringen muss, um mit den stets wiederkehrenden peinigenden Situationen umzugehen (vgl. VII/46). Dass er »aller Freundschaft unerachtet« keinen Freund oder Vertrauten hat, mag damit zusammenhängen (II/14).
Seine Frau ist »fast noch mehr sein Stolz als sein Glück« (I/7), deshalb aber auch Gegenstand einer wiederkehrenden Eifersucht, die gleich zu Beginn des Romans, bei der Anlieferung eines Gemäldes, in Szene gesetzt wird. Es handelt sich um eine Kopie von Tintorettos »L’Adultera«, die Van der Straaten während einer Venedig-Reise in Auftrag gegeben hatte und die ihm, wie er seiner Frau erklärt, als eine Art »Memento mori« dienen soll, in dessen Betrachtung er sich seelisch auf Melanies Treuebruch vorbereiten will, den er für gewiss hält, weil Untreue in seiner Familie »erblich« sei (II/14).
Melanies Ermahnung, dass man »den Teufel nicht an die Wand malen soll« (II/15), erweist sich als hellsichtig, denn einige Wochen später zieht Ebenezer Rubehn auf Einladung Van der Straatens als »Logirbesuch« in das Stadthaus ein (III,18).
Bei aller Furcht vor einem Treuebruch seiner Frau bemerkt Van der Straaten von der zwischen Melanie und Rubehn entstehenden Liebe nichts. »In seiner Scharfsicht oft übersichtig und Dinge sehend, die gar nicht da waren, übersah er eben so oft andere, die klar zu Tage lagen.« (XIII/98) Rubehns häufige Besuche bei Anastasia Schmidt gründlich missdeutend, ist er fest überzeugt, dass Rubehn ein Auge auf Anastasia geworfen hat (vgl. XIII/97), und ist zudem sicher, dass er anderweitig verlobt ist, obwohl Rubehn dies entschieden bestreitet (vgl. XIII/99).
Als Melanie ihn dann tatsächlich verlässt, zeigt er Großmut, bittet sie inständig zu bleiben und erklärt sich bereit, das Kind, das sie von Rubehn erwartet, als sein Kind anzunehmen. Aber auch dafür findet er nicht den rechten Ton. Er bagatellisiert das Vorgefallene und behandelt es »mit einem starken Anfluge von cynischem Humor«, so dass Melanies anfängliche Erschütterung verletztem Stolz weicht. »Es war eben immer dasselbe Lied. Alles, was er sagte, kam aus einem Herzen voll Gütigkeit und Nachsicht, aber die Form, in die sich diese Nachsicht kleidete, verletzte wieder.« (XVI/116)
Nach der Scheidung ist er unglücklich, findet aber nach Ansicht Friederike von Sawatzkis seine Ruhe wieder (vgl. XX/140). Bei einem Spaziergang mit Duquede im Tiergarten begegnet er Melanies und Rubehns Töchterchen, der kleinen Anninette, in Begleitung ihrer Kinderfrau und freut sich über die Schönheit des Kindes und seine Ähnlichkeit mit der Mutter (vgl. XXII/161 f.). Kurz darauf schickt er zum Weihnachtsfest ein Julklapp-Päckchen. Darin findet Melanie unter anderem ein kleines Medaillon, in dem eine Miniatur von Tintorettos »L’Adultera« steckt. »King Ezel in all his glories«, kommentiert Rubehn: »Immer derselbe. Wohlwollend und ungeschickt.« (XXII/163).
Die Namensgebung spielt auf die Figur des Manasse Vanderstraaten in Karl Gutzkows Drama »Uriel Acosta« (1846) an. Van der Straaten stellt den intertextuellen Bezug selbst explizit her mit der Feststellung, dass er »jede Verwandtschaft mit dem von der Bühne her so bekannt gewordenen Manasse Vanderstraaten ablehnen müsse, 1. weil er seinen Namen nicht einwortig, sondern dreiwortig schreibe, 2. weil er trotz seines Vornamens Ezechiel, […] getauft worden sei […], und 3. und letztens, weil er seit längerer Zeit des Vorzugs genieße, die Honneurs seines Hauses nicht durch eine Judith, sondern durch eine Melanie machen lassen zu können, durch eine Melanie, die, zu weiterem Unterschiede, nicht seine Tochter, sondern seine ›Gemahlin‹ sei« (I/6 f.).
Bei der Gemäldekopie der »L’Adultera«, die Van der Straaten aus Venedig hat kommen lassen, handelt es sich vermutlich um eine Kopie des lange Zeit Tintoretto zugeschriebenen Gemäldes »Cristo e l‘adultera« von Hans Rottenhammer (vgl. auch den Kommentar, 213 f.). – Das Bild bezieht sich auf die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Johannes 8, 2-11) – Vgl. die Abbildung in WikimediaCommons.
Straaten, Heth Van der
Jüngere Tochter von Melanie und Ezechiel Van der Straaten. Sie ist das Ebenbild des Vaters (vgl. I/8).
Straaten, Lydia Van der (Liddi)
Ältere Tochter von Melanie und Ezechiel Van der Straaten, Ebenbild der Mutter, »groß und schlank und mit herabfallendem, dunklem Haar«, nur ihre Augen sind, anders als die der Mutter, »ernst und schwermüthig, als sähen sie in die Zukunft« (I/8).
Gegen Rubehn hegt das Mädchen vom ersten Moment an eine Abneigung (vgl. VII/55 f.) und verwahrt sich dagegen, in seiner Gegenwart wie ein kleines Kind behandelt zu werden (vgl. XI/82).
Beim Wiedersehen mit der Mutter im Haus ihrer Tante Jacobine reißt sie ihre kleine Schwester Heth von Melanie fort und zerrt sie mit den Worten »Wir haben keine Mutter mehr« aus dem Raum (XX/146).
Straaten, Melanie Van der
Ehefrau Ezechiel Van der Straatens, 27 Jahre alt, Mutter von Lydia und Heth, eine dunkelhaarige Schönheit von »heitere[r] Grazie«, »Esprit« und »Liebenswürdigkeit« (I/7). Sie ist eine geborene de Caparoux, älteste Tochter eines Adeligen aus der französischen Schweiz, der lange als Generalkonsul in Berlin lebte, früh starb und nur Schulden hinterließ. Bei der Hochzeit mit dem damals 43-jährigen Van der Straaten war Melanie 17 Jahre alt. Seither sind 10 Jahre vergangen.
Ihre Ehe mit Van der Straaten ist vordergründig glücklich, sie weiß sich von ihrem Mann geliebt und kennt sein gutes Herz, leidet allerdings an seinem geringen Feingefühl und seinen derben, oft verletzenden Umgangsformen, die »alles […] treffen, was kränkt und bloßstellt und beschämt« (X/76). Der Umgang mit ihm, zumal in Gesellschaft, fordert ihr ein so hohes Maß an Selbstkontrolle ab, dass sie die Sommermonate, die sie regelmäßig allein mit ihren Töchtern und zwei Gesellschafterinnen in der Tiergarten-Villa verbringt, als große Befreiung erlebt. Dort hat sie »Ruhe vor seinen Liebesbeweisen und seinen Ungenirtheiten«, und das bereitet ihr ein »unendliches Wohlgefühl« (VII/46). Auch kann sie dort die Natur genießen, »deren Sprache sie wohl verstand« (ebd.), vor allem aber die Musik, die sie liebt, anders als ihr Mann, dessen Leidenschaft für die Malerei sie umgekehrt nicht teilt.
Seit der Ankunft Ebenezers Rubehns verstärkt sich ihr Leiden an den Umgangsformen ihres Mannes. Nun schämt sie sich seiner (vgl. IX/71), und auf der Bootsfahrt von Stralau nach Treptow bringt sie diese Scham Rubehn gegenüber sogar offen zum Ausdruck (vgl. X/76 f.). Eine Woche später, bei einem Besuch des Palmenhauses im Park der Tiergarten-Villa, gestehen beide sich ihre Liebe (vgl. XII/94). Nach ihrer Rückkehr in das Stadthaus Ende September (1875) treffen sie sich heimlich in Anastasia Schmidts Wohnung (vgl. XIV/105). Als sie schwanger wird, reift ihr und Rubehns Entschluss zur Flucht, den sie am 31. Januar (1876) in die Tat umsetzen.
Ihrem Mann erklärt Melanie: »Ich will fort, nicht aus Schuld, sondern aus Stolz, und will fort, um mich vor mir selber wieder herzustellen. […] Und das kann ich nur, wenn ich […] mich offen und vor aller Welt zu meinem Thun bekenne. […] Alles ist eitle Selbstgerechtigkeit. Und ich weiß auch, es wäre besser und selbstsuchtsloser, ich bezwänge mich und bliebe, freilich immer vorausgesetzt, ich könnte mit einer Einkehr bei mir selbst beginnen. Mit Einkehr und mit Reue. Aber das kann ich nicht. Ich habe nur ein ganz äußerliches Schuldbewußtsein, und wo mein Kopf sich unterwirft, da protestiert mein Herz.« (XVI/117 f.) Dieselbe Ehrlichkeit und ein feines Gespür für falsche Gefühle leiten sie auch bei der Entscheidung, vor ihrem Weggang nicht noch einmal nach ihren Kindern zu sehen (vgl. XVI/118 f.; XX/141).
Melanie und Rubehn reisen nach Italien, kommen Ende Februar in Rom an, wo sie einige Monate später, nachdem Van der Straaten in Berlin die Ehescheidung vollzogen hat, heiraten. Melanie ist für einige Zeit »glücklich, unendlich glücklich« (XVII/121), fällt aber bald wieder »in ihre frühere Melancholie« zurück (XVII/126). In Venedig kommt sie mit einer Tochter nieder, danach gewinnt sie wieder Lebensmut (vgl. XVII/127 f.). Nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz kehrt das Paar im Dezember (1876) nach Berlin zurück und bezieht eine »reizende Mansarde« in der Nähe des Tiergartens (vgl. XVIII/128 f.).
Melanies Hoffnung, bald wieder in die ›gute Gesellschaft‹ aufgenommen zu werden, wird enttäuscht. Sie wird geschnitten. Rubehn hilft ihr mit seiner heiteren Gelassenheit über die »tiefe Niedergedrücktheit« hinweg (XX/138). Auch in dieser Situation bewahrt sie die für sie charakteristische Ehrlichkeit, nimmt die Reaktion der Menschen als »Sühne« für ihre »Schuld« oder doch immerhin als »Ausgleich«, denn: »Es braucht nicht alles Tragödie zu sein.« (XX/139) Das unglückliche Wiedersehen mit ihren Kindern trifft sie allerdings tief (vgl. XX/146).
Als Rubehn im darauffolgenden Jahr (1877) durch den Konkurs des väterlichen Bankhauses sein Vermögen verliert, bewährt sich Melanies Liebe. Während Rubehn als »amerikanischer Correspondent« in einem Bankhaus arbeitet, nimmt sie eine Stellung als Französisch- und Musiklehrerin in »ein paar großen, schlesischen Häusern« an, »die gerade vornehm genug waren, den Tagesklatsch ignoriren zu können« (XXII/158). Beide richten sich in einer bescheideneren Wohnung ein und gewinnen schon bald die Anerkennung der Gesellschaft zurück, die sie vorher verurteilt hatte. Nun nennt man sie die »Inséparables« und freut sich, »über ihre ›treue Liebe‹ sentimentalisiren zu können« (XXII/160).