Hornbostel, Obadja
Oberhaupt der Mennonitengemeinde in Nogat-Ehre, Vater von Tobias und Ruth Hornbostel, auf dessen Hof Lehnert Menz ein Unterkommen findet. Er ist 73 Jahre alt, stammt aus Westpreußen, wo er mit seiner ersten Frau und seinen beiden ältesten Söhnen in einem Mennonitendorf lebte, und wanderte vor fast vierzig Jahren (vgl. 25/211) mit seiner Familie, Maruschka und Totto (vgl. 24/191, 194) nach Amerika aus. Er lebte zunächst als Oberhaupt der Mennonitengemeinde Dirschau in Dakota. Nach einem »Streit mit dem Government«, zog er »wie Abraham und die ganze Kolonie mit ihm« nach Süden und gründete im Indian Territory (im heutigen Oklahoma) die Mennonitensiedlung Nogat-Ehre (17/143). Er ist dreifacher Witwer, die Kinder aus erster Ehe sind nach Preußen zurückgegangen, die der zweiten leben in Dakota. Tobias und Ruth, die Kinder aus dritter Ehe, leben bei ihm in Nogat-Ehre, ihre Mutter starb noch in Dirschau (vgl. 18/151).
Der »Hohepriester von Nogat-Ehre« (25/211), der nach L’Hermites Urteil etwas von einem Mormonen hat (vgl. 22/183), ist der unangefochtene Patriarch in Haus und Gemeinde, sieht auch, wie Kaulbars bemerkt, aus »wie Abraham oder wie Noah oder so einer von die Allerältesten« (25/206). »Er befiehlt nie« (17/144), man »sah kein Regieren«, ein »Geist der Ordnung und Liebe sorgte dafür, daß alles nach Art eines Uhrwerks ging« (21/166). Auch ist ihm »alles Erziehen, wenn es sich nicht von selbst machte, zuwider« (22/176). Der Alte weiß freilich auch, »wo Bartel Most holt« (25/207), und hat »nach Art vieler Frommen einen stark ausgebildeten Sinn für die Güter dieser Welt« (22/181). Er ist ein erfolgreicher, Neuerungen aufgeschlossener Farmer mit ausgeprägtem Geschäftssinn und hat ein offenbar nicht geringes Vermögen, das er auf verschiedene Banken in Amerika und Europa verteilt hat. »Er hat überall was liegen.« (25/207)
Lehnert Menz fühlt sich von dem Leben in seinem Haus an einen Schaukasten erinnert, den er in San Francisco gesehen hat und in dem einander feindliche Tiere friedlich miteinander lebten: »A happy family« (21/167). Die »happy family« von Nogat-Ehre verdankt sich nach Lehnerts Überzeugung ganz dem »Hausgeist«, Obadja selbst, »der das Friedensevangelium nicht bloß predigte, sondern in seiner Erscheinung und in seinem Tun auch verkörperte« (21/167). Das gilt auch für seinen Umgang mit seinem neuen Verwalter, dem er sogleich die Schuld ansieht, die auf seiner Seele lastet, und den er dennoch im Geist christlicher Vergebung und Liebe willkommen heißt (vgl. 19/158). Seine Toleranz und freiheitliche Gesinnung lassen sich an seiner Hausgemeinschaft ablesen, in der Andersgläubige wie Maruschka und Kaulbars oder der Atheist und Kommunarde L’Hermite einen Platz gefunden haben. Grundsätzlich überzeugt von der Republik, sieht er sie dennoch kritisch: »Denn die Freiheit, deren wir uns hier rühmen und freuen, ist ein zweischneidig Schwert, und die Despotie der Massen und das ewige Schwanken in dem, was gilt, erfüllen uns, so sehr ich die Freiheit liebe, mit einer Unruhe, die man da nicht kennt, wo stabile Gewalten zu Hause sind.« (19/156)
Bei Gelegenheit der gemeinsamen abendlichen Lektüre von Pestalozzis Roman »Lienhard und Gertrud« legt Fontane ihm ein kleines literaturkritisches Manifest in den Mund. Der Alte begrüßt den »republikanische[n] Geist« des Romans und fährt dann fort: »Und daß derselbe hier lebendig ist, hier in dieser herrlichen alten Schweizergeschichte, das ist ein Vorzug, dessen sich nur wenig deutsche Bücher rühmen dürfen. Ueber allen deutschen und namentlich über allen preußischen Büchern, auch wenn sie sich von aller Politik fern halten, weht ein königlich preußischer Geist, eine königlich preußische privilegierte Luft; etwas Mittelalterliches spukt auch in den besten und freiesten noch, und von der Gleichheit der Menschen oder auch nur von der Erziehung des Menschen zum Freiheitsideal statt zum Unterthan und Soldaten ist wenig die Rede. Darin ist die schweizerische Litteratur, weil sie die Republik hat, der deutschen überlegen, und alle Deutsche, die, wie wir, das Glück haben, Amerikaner zu sein, haben Grund, sich dieses republikanischen Zuges zu freuen.« (25/216)