Menz, Lehnert
Held der Geschichte, bei deren Beginn ein »schlanker, hübscher Mensch von siebenundzwanzig« (1/5). Durch Vermittlung seines Mentors, Pastor Siebenhaar, hat er eine gute Schulbildung in Jauer genossen, dann seinen Militärdienst absolviert und im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bei den Görlitzer Jägern gedient. Nun lebt er mit seiner alten Mutter in Wolfshau bei Krummhübel im Riesengebirge, wo er die Werkstatt seines früh verstorbenen Vaters, eines Stellmachers und Schreiners, weiterführt (vgl. 2/8).
Er ist stolz und leicht reizbar, nach dem Urteil Siebenhaars »ein Trotzkopf, voll Selbstgerechtigkeit«, der glaubt, »alles am besten zu wissen« (2/11). Er hasst den Untertanengeist in Preußen, liest liberale Blätter und hat undeutliche Ideen von einer freiheitlichen Republik, die er in dem »glücklichen Amerika« verwirklicht glaubt (2/11). Ihm ist »alles so klein und eng hier, ein Polizeistaat, ein Land mit ein paar Herren und Grafen, so wie unserer da, und sonst mit lauter Knechten und Bedienten« (8/63). Das hindert ihn freilich nicht, seinerseits Standesdünkel zu hegen und etwa eine Heirat mit Christine auszuschließen: »Christine ist eine Magd, und eine Magd heirathe ich nicht« (8/62 f.). Er »hat einen Nagel«, stellen auch seine ehemaligen Kriegskameraden fest, es sei »schwer, Friede mit ihm halten«, weil er aufbrausend und immer »gleich aus dem Häuschen« sei; gleichwohl schätzen sie ihn, denn im Grunde sei er »ein guter Kerl und ein guter Kamerad und dabei grundehrlich« (3/24 f.).
Mit seinem Nachbarn, dem gräflichen Förster Opitz, verbindet ihn eine wechselseitige tiefe Feindschaft. Opitz hat ihn beim Militär »vom ersten Tag an« schikaniert (3/22), im Krieg seine verdiente Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz verhindert (vgl. 2/13 f.; 3/23 f.) und ihn nach dem Krieg zudem wegen Wilderei für zwei Monate ins Gefängnis gebracht. Pastor Siebenhaar verlangt von Menz, das alles zu vergessen (2/14), und versucht, auf beide versöhnlich einzuwirken. Unter seinem Einfluss kommt Lehnert auch zu der Einsicht, dass »er sein Recht geradeso heftig und eigensinnig vertrete wie Opitz das seine« und dass »Opitz' Recht […] das anerkannte, das gültige, das uralt bestätigte« Recht sei (7/59). Als der Streit aber erneut eskaliert, gewinnen Hass und verletztes Ehrgefühl wieder die Oberhand. Schließlich schießt er seinen Widersacher bei einer nächtlichen Begegnung im Gebirge nieder. Opitz verblutet qualvoll. Die Tat geschieht zwar in Notwehr, da Opitz zuerst auf ihn anlegt, ist aber doch halb und halb geplant. Auch wenn Menz nicht mit dem festen Vorsatz ins Gebirge geht, Opitz zu erschießen, sondern sich einredet, alles dem Zufall überlassen zu wollen, sucht er doch die Begegnung und bereitet die Tat vor, indem er sich mit einem falschen Bart unkenntlich macht. Als er tags darauf einen Schuss und einen Hilferuf des Sterbenden hört, ist er zutiefst erschüttert und macht dem Gerichtsmann Klose Meldung von dem Hilferuf, obwohl er sich damit in Gefahr bringt, als Täter entlarvt zu werden: »Nun denn, dann mag mir das Messer an die Kehle gehen. Ich kann ihn nicht verkommen lassen in seiner Noth und seinem Blut.« (13/105) Klose indes gibt nichts auf seine Meldung, Opitz wird erst am darauffolgenden Tag tot gefunden. Menz flieht, als der Verdacht auf ihn fällt, und schifft sich nach Amerika ein.
Dort nimmt der Erzähler ihn sechs Jahre später wieder in den Blick. Er ist in den »Indian-Territories« südlich von Kansas unterwegs von Fort Mac Culloch zum Fort Holmes. Ein Empfehlungsschreiben des Kommandanten von Fort Mac Culloch, wo er nach einem Eisenbahnunfall ärztlich versorgt und gesundgepflegt worden ist, unterrichtet über sein Leben in den zurückliegenden Jahren: Er hat als Goldgräber ein Vermögen gemacht und wieder verloren und ist nun auf dem Weg zum Mississippi, wo er als Schreiner oder Zimmermann arbeiten will. Eine Zufallsbegegnung mit Tobias Hornbostel, dessen Vater Obadja er schon sechs Jahre zuvor als Oberhaupt einer Mennonitengemeinde in Dakota kennengelernt und erwogen hatte, in dessen Farm einzutreten, verändert seine Pläne. Er nimmt die erneute Begegnung als Zeichen des Schicksals und bittet Hornbostel, der mit seiner Gemeinde inzwischen nach Nogat-Ehre (Oklahoma) umgesiedelt ist, um Aufnahme in seine Farm. Er schließt Freundschaft mit dem ebenfalls auf dem Hof lebenden Camille L’Hermite, einem ehemaligen Pariser Kommunarden, der wie er einen (freilich politisch begründeten) Mord auf dem Gewissen hat. L’Hermite nennt ihn »Caïn le Sentimental« (22/183). Mit Ruth, der Tochter des Hauses, verbindet ihn eine lange Zeit uneingestandene Liebe. Ihr glockenreiner Gesang beim Gottesdienst zum »Fest der Fußwaschung« löst in ihm ein religiöses Erweckungserlebnis aus, er beichtet Obadja Hornbostel seine Tat, tritt der Glaubensgemeinschaft bei und hofft auf Erlösung von seiner Schuld (vgl. Kap. 24 f.). Bei der gemeinsamen Lektüre von Pestalozzis »Lienhard und Gertrud« identifiziert er sich mit seinem literarischen Namensvetter (vgl. 25/216). Am ersten Weihnachtstag hält er um Ruths Hand an, die Obadja Hornbostel ihm weder verwehrt noch umstandslos zuspricht, er soll nach seinem Willen um sie dienen wie Jakob um Rahel, allerdings denn doch keine sieben Jahre. Schon ein Jahr nach seinem Eintreffen in Nogat-Ehre, nachdem er Ruth nach einem Schlangenbiss das Leben gerettet hat (vgl. 31/262), rückt die Hochzeit in greifbare Nähe (vgl. 32/264 f.).
Lehnerts Glück bekommt einen Dämpfer durch L’Hermite, der ihm prophezeit, dass aus der Ehe mit Ruth nichts werden kann, weil »Leute wie wir« vom »Schicksal« bestraft werden, »wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen« (32/267). Er behält recht: Bei dem Versuch, den bei der Jagd vermissten Tobias zu retten, verunglückt Menz im Gebirge und stirbt ähnlich lang und qualvoll wie Opitz, dessen Hilferuf er noch einmal zu hören meint (vgl. 34/278). Und wie dieser hinterlässt er einen Zettel mit einer letzten Nachricht. Darauf steht, mit Blut geschrieben: »Vater unser, der Du bist im Himmel ... Und vergieb uns unsere Schuld ... Und Du, Sohn und Heiland, der Du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich ... Und vergieb uns unsere Schuld ... Ich hoffe: quitt.« (35/283). Obadja Hornbostel lässt ihn in seiner Familiengruft begraben und schreibt einen Brief nach Wolfshau mit der Nachricht von seinem Tod (vgl. 36/287 f.).