Wimsey, Lord Peter Death Bredon
Hobby-Detektiv in London, Gentleman, jüngerer Sohn der Herzoginwitwe von Denver, Bruder von Gerald Duke of Denver und von Lady Mary Wimsey. Er wohnt Piccadilly 110 A, gegenüber dem Green Park, in einer sehr komfortablen Wohnung, in der er von Bunter, seinem Butler, bedient wird. In Clouds of Witness erfährt man, dass Wimsey nach dem Krieg lange seelisch und körperlich krank war und seine Detektivarbeit als Therapie betreibt (ein anderes Opfer von »shell shock« ist George Fentiman in Bellona-Club). Einmal wird »a blue-nosed, ragged veteran, who had once assisted to dig Major Wimsey out of a shell-hole« erwähnt, der über den Prozess in der Zeitung liest und zu sich sagt: »Gawd 'elp 'im, 'e 's a real decent little blighter« (Kap. 15, S. 256; ähnlich äußert sich Portier Padgett in Gaudy Night).
Peter Wimsey ist zunächst Anfang 30 (1890 geboren), mittelgroß, mager, mit schmalem, langem Gesicht, scharfer Nase, grauen Augen und einem flachsblonden Haarschopf. Er trägt oft ein Monokel und raucht Pfeife. Seine Stimme klingt kühl und etwas heiser. Er liebt Luxus im Alltag: Bad, Kleidung, Essen und Trinken, dabei assistiert sein perfekter Butler Bunter. Am üblichen Zeitvertreib seiner Klasse ist er wenig interessiert, er sammelt alte Bücher und kennt die Weltliteratur. Er ist reich, unter anderem durch Häuserbesitz in London (vgl. Busman’s Honeymoon). In Unnatural Death hat er sich ein rasantes Auto angeschafft, den neuen »Daimler Doppel-Sechs«, in Busman’s Honeymoon ist es der neunte seiner Art (die Autos heißen immer »Mrs. Merdle«; vgl. Strong Poison, Kap. 6).
Wimsey redet gern respektlos, manchmal leichtfertig und witzig – à la Wodehouse –, auch rücksichtslos (worüber er in Clouds of Witness Bunter befragt). Es kommt vor, dass er nicht ernst genommen wird, weil er so gern den Narren spielt und albern daherredet. Oft tarnt er sich durch Geschwätzigkeit und garniert seine Rede mit unpassenden literarischen Zitaten, wie ein Collegestudent. Nicht zufällig klingt sein Name wie »whimsy«; dem entspricht das Motto auf seinem Wappen: »As my Whimsy takes me«, das im übrigen drei rennende Mäuse und eine lauernde Katze abbildet (dies gehört zur Who is Who-Eintragung, die seit dem ersten Roman in manchen Ausgaben zitiert wird).
Gutes Essen findet er so wichtig, dass er in Bellona Club versucht, in der Küche der armen Sheila Fentiman, Frau des kriegsbeschädigten George, mit primitiven Mitteln etwas für sie zu kochen. Nach dem Prozess in Clouds of Witness isst er sogar einmal in einem Volkslokal. Er benimmt sich entwaffnend liebenswürdig gegenüber Menschen niedrigeren Standes, besonders bei denen, die trotzig ihr Klassenbewusstsein zur Schau tragen.
In einigen Ausgaben findet sich am Anfang oder Ende ein biografischer Abriss, den Onkel Paul Austin Delagardie (Bruder der Herzoginwitwe, der in der Familie als frivol gilt) über seinen Lieblingsneffen geschrieben hat. Der Onkel erzählt von Peters Kindheit: er hatte oft Albträume, war intellektuell und apart, aber sportlich, was ihn in Eton und Oxford vor Spott bewahrte. Nach einem sehr guten Abschluss – Examen in Geschichte – etablierte ihn der Onkel in Paris, wo er Frauen und Welt kennen lernte, nachdem er ihn schon vorher in London den guten Geschmack lehrte. Dann aber verliebte Peter sich in eine englische Barbara; sie war zu jung zum Heiraten, und es kam der Krieg. Während er an der Front war, heiratete sie einen anderen (davon erzählt er selbst auch Harriet Vane in Strong Poison). Er hatte nichts dagegen, im Gefecht zu fallen, stattdessen wurde er Major und mit Orden dekoriert. Nach dem Krieg kam der Nervenzusammenbruch, allmählich gelang es ihm »to put himself together again« (Gaudy Night, S. 562). Danach legte Peter sich eine komödiantische Maske zu.
Seine Erfahrung bei der militärischen Abwehr im Krieg befähigte ihn 1921, einen Kriminalfall aufzuklären (die ›Attenbury Emeralds‹), und er machte die Kriminalistik dann zu seinem Hobby. Allerdings kehren am Ende jedes Falls, wenn das Urteil auf Todesstrafe lautet, die Albtraum-Symptome der Schützengraben-Neurose (shell shock) zurück.
[Whose Body/Ein Toter zu wenig] – Als Lord Peter der Fall der anonymen Leiche in der Badewanne begegnet, ist er begeistert und bemerkt alle Indizien scharfäugig, »with the air of the late Joseph Chamberlain approving a rare orchid« (Kap. 1, S. 11). In diesem Roman betreibt er die Kriminalistik wie Spiel oder Sport, weil das Leben sonst zu langweilig sei. Sein Freund Inspektor Parker analysiert und kritisiert diese Einstellung. Nach der nächtlichen Lektüre von Julian Frekes neuestem Buch bekommt Peter einen Panikanfall und glaubt, er sei wieder verschüttet, wie an der Front im Krieg. Bunter beruhigt ihn, indem er sich darauf einlässt und als Sergeant mit seinem Major spricht. Am nächsten Tag holt die Herzoginwitwe ihn nach Duke’s Denver, wo er sich rasch erholt.
[Clouds of Witness/Diskrete Zeugen] – Peter ist gerade von einer Wanderreise mit Bunter nach Korsika zurückgekommen, und die Nachricht von der Verhaftung seines Bruders erreicht ihn in Paris. Er reist sofort nach Riddlesdale und macht sich zusammen mit seinem Freund Inspektor Parker auf die Suche nach dem Mörder, mit Beachtung jedes noch so winzigen Details, z. B. eines Löschblatts mit kaum entzifferbaren Buchstaben auf einem Schreibtisch im Jagdhaus. Das Haus wird untersucht, Zeugen befragt, z.B. Oberst Marchbanks und seine Frau und das Paar Pettigrew-Robinson als Gäste des Herzogs (beide treten auch in anderen Romanen am Rande auf, so in Unnatural Death und The Unpleasantness at the Bellona Club).
Wimsey geht vor allem den Spuren der Schuhgröße 45 nach, die zu einem Mann mit Motorrad und Beiwagen gehören. Nach einer Befragung gerät er mit Bunter ins Moor und rutscht in ein berüchtigtes Moorloch. Bunter, auf dem Bauch liegend, hält ihn mühsam bei den Schultern mit einem Stock; ihre Hilferufe werden schließlich gehört, und zwei Männer kommen und retten sie. So kommt er wieder in das Haus des bösen Bauern Grimethorpe, der ihn schon einmal mit den Hunden von seinem Hof gehetzt hat. Nun muss er ihn aufnehmen. Dabei findet Wimsey den Brief, den sein Bruder am Abend des Todes von Cathcart bekommen hatte. Ihm wird klar, dass Gerald ein Liebesverhältnis mit Grimethorpes schöner Frau hatte und deshalb über seinen Verbleib in jener Nacht schweigt. Er beschwört sie, im Prozess für Gerald auszusagen, obwohl ihr Mann sie dann wohl umbringen würde.
In London lässt Wimsey sich kurz vor dem Prozess von einer Bekannten in den Sovietclub einladen, wo er auf Goyles, den Freund seiner Schwester Mary – »Schuhgröße 45« –, trifft. Der läuft weg und schießt dabei auf Wimsey. Danach ist Mary bereit, die Wahrheit über jene Oktobernacht zu sagen: dass sie nämlich um halb drei Uhr mit Goyles verabredet war, um mit ihm zu fliehen.
Wimsey gelingt es, Einzelnes von dem Löschblatt auf dem Schreibtisch des Jagdhauses zu entziffern: es ist offenbar ein französischer Liebes- und Abschiedsbrief. »Manon Lescaut« fällt ihm ein, und er reist Hals über Kopf nach New York. Dort lebt jetzt Cathcarts Pariser Geliebte, Simone Vonderaa, mit einem reichen alten Amerikaner (van Humperdinck). Er bringt sie dazu, nach dem Brief zu suchen, den Cathcart ihr am 13. Oktober als Antwort auf ihren Abschiedsbrief aus Paris geschrieben hatte. Nach einem gefährlichen Nachtflug von New York nach London mit einem berühmten Piloten stürmt Wimsey in dem Moment in den Gerichtssaal, als Geralds Geliebte aussagen soll. Er kann diese Aussage verhindern, indem er dem Verteidiger seines Bruders Cathcarts Abschiedsbrief überreicht, der dessen Tod eindeutig als Selbstmord erweist.
Nach Geralds Freilassung betrinkt er sich abends mit Inspektor Parker und dem Honourable Freddy Arbuthnot und wird von dem darob recht verwirrten Inspektor Sugg am Parliament Square im freundschaftlichen Streit mit Freddy um ein Taxi angetroffen, während Parker am Fuße des Palmerston-Denkmals fest schläft. Schließlich werden alle drei expediert, und der Polizist sagt: »Thank Gawd, there weren't no witnesses« (S. 299).
[Unnatural Death/Keines natürlichen Todes] – Bei einer Befragung der verdächtigen Mrs. Forrest mit Inspektor Parker spielt Wimsey Theater, als habe ihn eine eifersüchtige Frau geschickt. Bei Schwester Forbes tritt er als Mr. Simms-Gaythorpe auf, der Vater werden soll und eine Betreuerin für seine Frau sucht. Er legt bei der Befragung von potentiellen Informanten unendliche Geduld an den Tag, auch Raffinesse. Dabei kommt unter anderem ein Porträt vieler kleiner und größerer Leute zustande, die vor allem durch ihre Sprache charakterisiert werden.
Als ein dritter Mord geschieht, ist er bei der Auffindung der Leiche schockiert; muss er sich Vorwürfe machen wegen seiner Hartnäckigkeit bei der Verifizierung des ersten Verdachts? Neugier und Gerechtigkeitssinn sind seine Motive. Am Ende kann er erst im letzten Moment seine treue Helferin Miss Climpson retten und ist sehr niedergeschlagen über den Ausgang seiner Untersuchungen.
[The Unpleasantness at the Bellona Club/Ärger im Bellona Club] – Im ›Bellona Club‹ wird die Leiche eines Mitglieds, des sehr alten Generals Fentiman, gefunden, der offenbar in seinem Sessel gestorben ist. Doch fällt Wimsey Merkwürdiges daran auf. Es gibt auch ein ungewöhnliches Testament von Fentimans jüngerer Schwester Felicity, Lady Dormer, das ihn (bzw. seine Erben) begünstigt, wenn er sie überleben würde, aber ihre junge Freundin Ann Dorland, wenn er vor ihr stürbe. Sie stirbt aber fast gleichzeitig mit ihm. Offenbar hat jemand ihn früher sterben lassen wollen. Profitieren würde davon Miss Dorland. Wimsey geht dem nach und ermittelt schließlich, wer da nachgeholfen hat.
[Strong Poison/Starkes Gift] – Wimsey nimmt am Prozess gegen Harriet Vane wegen Giftmordes an ihrem Geliebten Philip Boyes teil und verliebt sich auf der Stelle in sie. Als er im Gefängnis zum ersten Mal mit ihr spricht, macht er ihr einen Heiratsantrag, aber sie kann ihn nicht ernstnehmen. Er setzt nun alles daran, ihre Unschuld zu beweisen, an die weder ihr Verteidiger Biggs noch Inspektor Parker glauben. In Norman Urquhart findet er einen Verdächtigen. Aber Harriet bleibt skeptisch. Er dachte, heißt es, noch nach 20 Jahren an das schreckliche Weihnachtsfest, bei dem die Gäste in Duke’s Denver über die Giftmischerin schwatzten. Als Harriet freigesprochen ist, informiert Wimsey schon mal seine Familie über seine Heiratsabsichten, ohne dass die Erwählte zugestimmt hat.
[Five Red Herrings/Fünf falsche Fährten] – Lord Peter macht im August Ferien in Schottland. In dem Fischer- und Künstlerdorf Kirkcudbridge kennt man ihn schon seit Jahren und akzeptiert seine Marotten, obwohl er Engländer ist (S. 2). Als der Landschaftsmaler Campbell mittags am Fuß einer Klippe tot aufgefunden wird, genießt Wimsey die Autofahrt dorthin, »a wellmade road, a lively engine and the prospect of a good corpse« begeistern ihn. »He was a man who loved simple pleasures« (S. 13).
Er merkt sehr schnell, dass der Maler nachts gestorben sein muss und die Staffelei samt angefangenem Bild und Malutensilien nachträglich erstellt wurden (S. 23). Im übrigen sucht er intensiv einen kleinen Gegenstand, aber die Erzählerin erklärt, die Leser sollten selbst herausfinden, was er suche (S. 21; die Aufklärung kommt S. 310).
Wimsey machte eine Liste von fünf Verdächtigen, es kommt dann noch ein sechster dazu, Ferguson (S. 27 f.). Wimsey meint, dieser Fall ähnele der Handlung eines Romans von Wilkie Collins, »in which everything happens just too late to prevent the story from coming to a premature happy ending« (S. 172). Bei der Verzögerung spielen Verkehrsmittel eine Rolle: Fahrrad, Autos, Eisenbahnen und ihre Fahrpläne.
Am Ende haben die fünf beteiligten Polizisten ›Beweise‹ gegen jeweils andere Verdächtige und bitten Wimsey um Hilfe (S. 308 ff.). Er hatte die Gewohnheiten der Maler beim Arbeiten studiert, dabei taucht das bisher verschwiegene Indiz einer fehlenden weißen Farbtube auf (S. 310). Nun wird, mit dem Maler Ferguson, der ganze Hergang noch einmal inszeniert, der Chief Constable Jamieson spielt die Leiche. So wird Ferguson als Täter überführt. Er gesteht, dass er einen Kampf mit Campbell hatte und der mit dem Kopf auf den Ofen schlug und sofort tot war (S. 360 f.). – Die Jury entscheidet sich dann für Totschlag und befürwortet eine Begnadigung (S. 361).
[Have His Carcase/Zur fraglichen Stunde] – Eineinhalb Jahre nach ihrem Mordprozess findet Harriet Vane bei einem Wanderurlaub im Südwesten des Landes einen Toten auf einem Felsen am Meer, der dann von der Flut fortgespült wird; es ist Paul Alexis, ein junger Eintänzer. Sie informiert die Presse in London, und am nächsten Morgen ist Peter Wimsey auch schon in ihrem Hotel in Wilvercombe. Sie arbeiten gemeinsam an der Lösung des Falles, immer wieder irritiert von ihren wechselseitigen Affekten. »Fair tied to that young woman’s apron-strings«, reflektiert Inspector Umpelty (Kap. 4, S. 50). Manchmal spielt Harriet mit, dann wieder wendet sie sich heftig gegen Lord Peter, weil sie sich einbildet, sein Auftreten hänge mit der von ihr zu erwartenden Dankbarkeit zusammen. Sie spielt viel lieber ihr eigenes Spiel und kann seinen ernsthaften Liebeserklärungen nicht glauben. Aber davon, dass er mit Pferden umgehen kann, ist sie tief beeindruckt (Kap. 16, S. 213). Auch ruft sie ihn dringlich herbei, als sie glaubt, dem Mörder begegnet zu sein.
Mit Inspektor Umpelty aus Wilvercombe fährt Wimsey nach London, um dort ein Mannequin – Olga Kohn – und eine Schauspieler-Agentur aufzusuchen. Der Inhaber, Mr. Sullivan, glaubt in dem wartenden Lord Peter den richtigen Akteur für »The Worm that Turned« gefunden zu haben und sagt begeistert zu Mr. Rosencrantz: »J’ ever see such a perfect type? [...] The nose alone would carry the play for you« (Kap. 23, S. 312).
Der Mord – wenn es kein Selbstmord war, wie die Polizei glaubt – hat völlig unverständliche Aspekte, auch Wimsey blickt zeitweise überhaupt nicht durch und zitiert zum Trost das zweite Gesetz der Thermodynamik, d. h. zunehmende Unordnung (Kap. 22, S. 306). Zur Tatzeit, durch Harriets Fund und Aussage des Arztes ermittelt, haben alle Verdächtigen wasserdichte Alibis. Es gibt rätselhafte chiffrierte Briefe an Alexis, die Harriet und Peter mühsam dechiffrieren (er hatte im Krieg mit dergleichen zu tun). Nachdem Bunter als Detektiv den Spuren eines Mr. Bright in London gefolgt war, klärt sich schließlich alles auf. Peter wiederholt seinen Heiratsantrag noch einmal, in Gegenwart des Superintendenten und des Inspektors, was ihr die Antwort leicht macht (Kap. 25).
[Murder Must Advertise/Mord braucht Reklame] – Wimsey lässt sich von Mr. Pym, Chef einer Reklame-Firma in London, anstellen, um herauszufinden, ob der Mitarbeiter Victor Dean zufällig durch einen Treppensturz zu Tode kam oder ob jemand nachgeholfen hat. Man erfährt dabei viel über die Werbewirtschaft der 1930er Jahre. Die Firma hat an die hundert Mitarbeiter, die sich alle damit beschäftigen, Werbeslogans zu erdenken, um den Zeitungslesern zugunsten der Firmen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wimsey verdient 4 Pfund in der Woche (48 Mark) und muss in der Welt der Kleinbürger überzeugen.
Er tritt unter seinen mittleren Namen »Death Bredon« auf. »Death« könne man auf »teeth« oder auf »death« reimen, erklärt er (Kap. 14, S. 260). Auf einer Masken- und Drogenparty liefert er als Harlekin ein akrobatisches Kunststück (obwohl er über 40 ist). Das trägt ihm das Interesse von Dian de Momerie ein, einer reichen jungen Alkohol- und Drogenkonsumentin. Er stoppt eines Nachts eine wilde Autojagd, und als Dian im Dunkeln herumirrt, neckt er sie mit Pfeifen von einem Baum herunter, im Harlekinkostüm. Sind wir in einem Sommernachtstraum? Peter bleibt anonym und geht nicht auf Dians Werbung ein. Er beeindruckt auch mit seinem riesigen »Saloon«-Wagen Marke Daimler (merkwürdig, dass er dadurch nicht identifiziert wird).
Dian hat auf der Heimfahrt nach ihrem Rauschzustand eine Art zweites Gesicht und sieht eine Henkersszene. An einem Abend dringt sie mit ihrem Freund Major Tod Milligan, einem Drogendealer, in eine geladene Gesellschaft des Herzogs von Denver, Peter Wimseys Bruder, ein. Wimsey macht den beiden weis, dass nicht er der Harlekin ist, sondern sein sonderbarer Vetter Bredon, der ihm leider ähnlich sehe. Dabei redet er ebenso hochmütig wie – scheinbar – vertraulich mit ihnen und legt einen Köder für Milligan aus. Am Ende gelingt es ihm herauszufinden, wer in der Werbefirma für den Drogenring arbeitet und wer Victor Dean umgebracht hat. Vorher entgeht er mehreren Mordanschlägen und bewährt sich so eindrucksvoll bei einem Cricketspiel zweier Firmen, dass er von einem älteren Zuschauer als »Wimsey of Balliol«, der Cricketheld, identifiziert wird.
Wimsey ist ein Komödiant in diesem Buch, eine multiple Person mit erstaunlichen Talenten. Er reflektiert über die beiden ihm fremden Welten, in denen er sich unter Masken und angenommenen Identitäten bewegt. Seine individuelle Geschichte bleibt suspendiert, auch der snob-appeal ist gering (Bunter wird tritt nur einmal, am Schluss, kurz auf).
[The Nine Tailors/Der Glocken Schlag] – Ende der 20er Jahre, am Silvesterabend, in Eis und Schnee, verunglückt Wimseys Wagen in der Nähe von Fenchurch St. Paul (in East Anglia) und er findet mit Bunter Asyl bei Pfarrer Venables, der sogar seine Arbeit über das Sammeln von Inkunabeln kennt. In der Nacht werden neun Stunden lang die neun ehrwürdigen Glocken der eindrucksvollen Kirche geläutet, und weil ein Mann, Thoday, wegen Krankheit ausfällt, muss Wimsey seine Aufgabe übernehmen: er kennt sich aus, aber »change ringing« ist eine schwere und alle Konzentration erfordernde Arbeit. Das Auto wird repariert, und Wimsey fährt am 1. Januar weiter. Als Ostern darauf die Leiche eines unbekannten Mannes im Grab von Mrs. Thorpe gefunden wird, die am 1. Januar gestorben war, bittet Pfarrer Venables Wimsey um Hilfe, und der kommt, begeistert von dem Fall, sofort mit Bunter.
In Fenchurch St. Paul hatte es 1914 einen spektakulären Juwelen-Diebstahl bei der Familie Thorpe gegeben. Ist der Tote Nobby Cranton, der daran beteiligt war und kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde? Sein Kumpan Deacon, Butler bei den Thorpes, ist angeblich tot. Wimsey arbeitet eng mit der Polizei zusammen. Als er einen postlagernden Brief an »Paul Taylor« ausfindig gemacht hat (»Tailor Paul« ist der Name einer der Kirchenglocken), fährt er nach Frankreich und spricht mit der Farmersfrau, die ihn schrieb. Ihr Mann, der verschwunden ist, war ein 1918 desertierter Engländer. Tatsächlich war er Jeff Deacon, der Totgeglaubte, der seit dem 1. Januar wirklich tot ist. Cranton, mit dem er verabredet war, um die in der Kirche versteckten Juwelen zu holen, findet ihn dort und flieht, dann findet ihn Will Thoday und begräbt ihn.
Wimsey nimmt an allen Verhören teil und findet auch die in der Kirche versteckten Juwelen. Zwischendurch resigniert er, weil er bei der Untersuchung nicht weiterkommt und meint, man hätte alles auf sich beruhen lassen sollen. Der Pfarrer tröstet ihn, bevor er abreist.
Er kommt wieder in die Gegend, als in Walbeach, einer früheren Hafenstadt, der New Cut feierlich eröffnet wird und zwar vom Herzog von Denver, seinem Bruder. Der Durchbruch soll die Stadt vor dem Wasser schützen, aber Schleusenwärter und andere hatten schon prophezeit, dass die nächste Flut sich andere Wege suchen würde. So kommt es dann zu Weihnachten, das flache Marschland wird überschwemmt. Die Bewohner von Fenchurch St. Paul und der umliegenden Orte können sich noch, durch des Pfarrers überraschend kompetente Organisation, in die große Kirche retten. Lord Peter ist mit Bunter gerade wieder am Ort, weil Hilary Thorpe, deren Vermögens-Treuhänder er nach dem Tod ihrer Eltern geworden ist, ihn gern sehen wollte. Er und alle anderen bewähren sich zwei Wochen lang als Helfer. Allerdings kommt er selbst fast durch den ungeheuren Glockenschall zu Tode, als er in den Turm steigt und die Glocken zu läuten beginnen. Nun weiß er, dass Deacon nicht ermordet worden, sondern am Schall der Glocke gestorben ist.
[Gaudy Night/Aufruhr in Oxford] – In »Aufruhr in Oxford« ist Harriet Vane 1934 nach langen Auslandsreisen wieder in London. Sie erlaubt Peter, sie gelegentlich zum Essen einzuladen, weist aber seinen vierteljährlich wiederholten Heiratsantrag weiterhin zurück. Harriet fürchtet Peters Überlegenheit und kann nicht an Gleichheit in der Ehe glauben.
Im nächsten Jahr (1935) wird sie im März nach Oxford gerufen, weil in ihrem alten College allerlei bösartiger Schabernack getrieben wird; auch sie hat im Juni anonyme Schmähbriefe bekommen. Gleichzeitig muss Peter zum Kongress nach Rom reisen (Reden, Reden, Reden, um den drohenden Krieg vielleicht aufzuhalten, sagt er später, Kap. 14, S. 337). In Oxford lernt sie Peters Neffen Saint-George kennen, der in Schwierigkeiten steckt; so entsteht eine Korrespondenz zwischen ihr und Peter. Gelegentlich bereut sie ihre Härte und er staunt über einen sanfteren Brief.
Als die Bedrohungen im College immer furchterregender werden, bittet sie ihn um Hilfe. Er kommt gerade aus Warschau zurück und sie treffen sich in Oxford, er inmitten seiner alten Bekannten aus der Studienzeit. »Wimsey of Balliol« ist er nun wieder, der ein Einser-Examen in Geschichte machte und als Repräsentant der besten Manieren galt. Auf der anderen Seite wird er herzlich vom Portier des Shrewsbury Colleges, Padgett, begrüßt, der im Krieg Corporal war und half, Major Wimsey aus dem Granattrichter zu graben. Harriet kennt seine Biographie kaum, noch weniger seine Schwächen.
Er sei 20 Jahre lang vor sich selbst davongelaufen, sagt er einmal (Kap. 15, S. 368). Harriet lässt sich ein chinesisches Schachspiel von Peter schenken, das dann im College grausam zerstört wird. Die Situation wird bedrohlich, jemand lauert nachts im Gebüsch, und auf Harriet wird ein Attentat verübt, das ohne Peters Vorsichtsmaßnahmen (Hundehalsband als Schutz gegen Erdrosselung) tödlich hätte enden können. Er kommt von einer Reise zurück und hat nun fast alle Hinweise auf die Attentäterin: es ist der Rachefeldzug einer Hausangestellten gegen gelehrte Frauen allgemein und Miss de Vine im besonderen, die ihrem Mann die Karriere verdorben hat.
Das College ist beruhigt, Harriet gerettet – und nun? In New College Lane fragt Peter sie ein letztes Mal, ob sie ihn heiraten wolle; beide tragen ihre akademischen gowns und caps, und er fragt sie: »Placetne, magistra?« Und sie antwortet: »Placet« (Kap. 23, S. 557).
[Busman’s Honeymoon/Hochzeit kommt vor dem Fall] – Der Roman beginnt mit der Hochzeit von Peter und Harriet im Oktober 1935. Peter ist jetzt 45 Jahre alt. Es fallen gelegentlich Andeutungen über sein früheres lebhaftes Liebesleben, das sich auf dem Kontinent abgespielt hat, in Paris und Wien (mit einer berühmten Sopranistin).
Am Tag nach der Verlobung im Mai in Oxford war Peter vom Auswärtigen Amt nach Rom geschickt worden wegen der Abessinienkrise. Inzwischen lernt seine Mutter Harriet kennen und ist sehr von ihr angetan. Der verständnisvollen Herzoginwitwe tut die mit ihren Gefühlen alleingelassene Harriet leid. Als Ersatz erzählt sie Harriet viel von Peter. In dieser Perspektive wirkt er nicht überlegen wie sonst, sondern eher rührend. Inzwischen gibt Peter sein diplomatisches Engagement auf und kehrt im September nach London zurück.
Die Hochzeit wird heimlich auf den 8. Oktober und nach Oxford verlegt, um die Presse zu täuschen. Die Herzoginwitwe ist auf ihrer Seite, alles geht gut, und Peter küsst die »Brautjungfern« vom College. Nach der Feier fahren sie nach Paggleham in Hertfordshire, das Harriet von früher vertraut ist. Peter hat dort von einem Mr. Noakes ein Bauernhaus »Talboys« aus dem 17. Jahrhundert gekauft. Sie finden das Haus verschlossen und ungastlich vor, Noakes ist nicht da, es gibt kein Feuer, kein Licht. Nachbarn und Bunter helfen, es einigermaßen bewohnbar zu machen. Vor der Hochzeitsnacht muss Bunter seinen Herrn dann erstmal unter der Pumpe abschrubben. Am Tag danach betrachtet Peter seelenruhig und humoristisch die Vorkehrungen zur Sanierung des Hauses, so die Reinigung des 12 Meter hohen rußverstopften Schornsteins am Kamin, aus der Bunter, der Pfarrer Goodacre und der ganze Raum geschwärzt hervorgehen. Die Nachbarschaft ist bei ihnen versammelt, als Mr. Noakes erschlagen im Keller gefunden wird.
Busman’s Honeymoon – was tut der Busfahrer in den Ferien bzw. Flitterwochen? Er fährt Bus. Was tut Lord Peter? Als diesmal eine Leiche gefunden wird, ist er erschrocken: nun würde alles wieder losgehen – eigentlich hatte er das Detektivspielen hinter sich gelassen. Diesmal sieht er sich den Toten nicht an, bevor die Polizei kommt. Aber dann rechtfertigt er sein Engagement Harriet gegenüber: er kann nicht anders, gerade weil er Gewalt hasst.
Während der Untersuchung des Falls müssen beide erst ihre Rollen finden. Sie akzeptiert seine Besessenheit, möchte aber teilhaben. So überlegen sie gemeinsam alle möglichen Hypothesen.
Peter gesteht, dass er während des fast sechsjährigen Wartens auf sie alle Kriminalgeschichten von ihr gelesen hat, deren er habhaft werden konnte. Er ist nach wie vor verwirrt und verunsichert durch seine und ihre Liebe, Ironie hilft nicht immer. Beide erleben emotionale Wechselbäder zwischen leidenschaftlicher Zuneigung und dem Bedürfnis, sich selbst zu bewahren. Fast ununterbrochene äußere Störungen tun ein übriges: so platzt Miss Twitterton in einen Liebesdialog hinein, dann erscheinen die Geldeintreiber für die Gläubiger des Mr. Noakes und beginnen, das Haus auszuräumen.
Es gelingt Peter den Fall aufzuklären – aber damit ist es für ihn nicht getan. Er leidet furchtbar unter der Verantwortung, die er auf sich genommen hat, und fällt dadurch fast in sein Kriegstrauma zurück. Seine Mutter erklärt Harriet, dass er im Krieg vor allem unter seiner Verantwortung als Offizier gelitten habe, dass er krank und unansprechbar zurückgekommen sei und schließlich Bunter ihn gerettet habe. Um den Mörder vor dem Galgen zu bewahren, engagiert Peter Sir Impey Biggs als Verteidiger, aber es nützt nichts, zumal der Täter trotzig und verstockt gestanden hat. In der Nacht vor der Hinrichtung ist Peter außer sich, und Harriet hält sich ganz zurück. Schließlich kehrt er von einer wilden Autofahrt mit Bunter um 2 Uhr heim nach Talboys, und zwei Stunden später findet er den Weg zu ihr.
Viel mehr erfahren wir nicht von Peter Wimsey, dem Helden, kompetent auf fast allen Gebieten: Gelehrter (er schrieb eine Monographie über Inkunabeln), Kundiger der alten und neuen Sprachen, bewandert in der schönen Literatur, Diplomat und Sportler (berühmt für sein Cricketspiel) mit akrobatischen Fähigkeiten, rasanter Fahrer schneller Autos und sicher zu Pferde, Klavierspieler, logischer Denker und genauer Beobachter, erprobt in der schweren Kunst des Glockenläutens, unübertroffen in Bezug auf Kleidung und Manieren, ein renommierter Bettgenosse schöner und berühmter Frauen. Er hat nur zwei Schwächen: sein Kriegstrauma und seine Liebe zu Harriet Vane. Hat er jetzt das eine durch die andere überwunden? So scheint es, denn in einer späteren Erzählung, The Peach Thief (Der Pfirsichdieb), lebt die Familie im Sommer in Paggleham, und Peter Wimsey ist ein vergnügter Vater von drei kleinen Söhnen.
In »The Times« vom 8. Oktober 1985 wurde der Goldenen Hochzeit des Paares gedacht, wofür sich Lord Peter (vertreten durch Barbara Reynolds, die Biographin von Dorothy L. Sayers) im März 1986 gerührt bedankte. – Im März 1986 druckte »The Times« einen (ebenfalls von Reynolds verfassten) Brief von Lord Peter ab, in dem er sich für die diskrete Behandlung des Attenbury-Falles durch Dorothy L. Sayers bedankt: »Miss Sayers, with admirable discretion, left the story untold« (zitiert nach: From One Small Spark. The Dorothy L. Sayers Society. Hurstpierpoint 2006).